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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 20.01.2000
Aktenzeichen: 4 StR 365/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO § 354 Abs. 3
StGB § 323 c
StGB § 56 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 StR 365/99

vom

20. Januar 2000

in der Strafsache

gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Januar 2000, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Meyer-Goßner, die Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Kuckein, die Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 9. März 1999 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.

2. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Parchim - Strafrichter - zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg, soweit dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist; im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

2. Auf die Sachrüge hat die Überprüfung des Schuldspruchs keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Der Erörterung bedarf nur die Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung:

a) Der Strafbarkeit nach § 323 c StGB steht nicht entgegen, daß nach dem brutalen Vorgehen des früheren Mitangeklagten H. "für den Geschädigten P. praktisch keine Überlebenschance, auch nicht bei rechtzeitiger ärztlicher Hilfe" (UA 14) bestand. Die von P. erlittenen schweren Verletzungen stellen einen Unglücksfall dar, der den Angeklagten verpflichtete, Hilfe zu leisten. Die Hilfeleistung war hier auch erforderlich. Einem Verunglückten muß nämlich selbst dann Hilfe geleistet werden, wenn sich aus der Rückschau die befürchtete Folge des Unglücks als von Anfang an unabwendbar erweist. Nur von vorneherein offensichtlich nutzlose Hilfe braucht nicht geleistet werden; dies ist der Fall, wenn der Tod des Opfers bereits eingetreten ist (ständ. Rechtspr.; vgl. BGHSt 14, 213, 216; 16, 200, 203; 32, 367, 381; BGH NStZ 1985, 409; 1985, 501 = StV 1986, 201). Nach den getroffenen Feststellungen lebte das Tatopfer nach Beendigung der körperlichen Einwirkungen durch den Angeklagten H. indes noch; zu diesem Zeitpunkt "hörte [der Angeklagte] ... den Geschädigten röcheln und war der Meinung, dieser hätte ärztlicher Hilfe bedurft". Er verließ jedoch gemeinsam mit H. die Tatwohnung, ohne etwas zu unternehmen, "obwohl er sah, daß der Geschädigte nicht in der Lage war, allein Hilfe zu holen" (UA 13). Ungeachtet der vom Landgericht nicht geprüften Frage, ob dem Angeklagten nicht bereits während der körperlichen Übergriffe des H. , in dessen Verlauf dieser immerhin 40 bis 50 Schläge gegen das Opfer führte, ein Einschreiten möglich und zumutbar war, war eine Hilfeleistung somit auch nach Beendigung der Verletzungshandlungen, an deren Folgen das Opfer später zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt verstarb, nicht von vorneherein offensichtlich nutzlos und damit erforderlich im Sinne des § 323 c StGB.

b) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts wird § 323 c StGB hier nicht durch den vom Angeklagten ebenfalls verwirklichten Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) verdrängt. Zwar ist es richtig, daß der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung regelmäßig gegenüber der Beteiligung an der den Unglücksfall herbeiführenden Begehungstat als subsidiär zurücktritt (vgl. BGHSt 3, 65, 68; 39, 164, 166; Cramer in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 323 c Rdn. 34). Dies gilt jedoch nicht, wenn dem Verletzten ein über den gewollten Verletzungserfolg hinausgehender, vom Vorsatz des Täters nicht umfaßter weiterer Schaden, nämlich die Gefahr des Todes, erwächst (BGHSt 14, 282, 285/286; 16, 200, 203; vgl. auch Spendel in LK 11. Aufl. § 323 c Rdn. 204; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 323 c Rdn. 11). So verhält es sich hier: Der Angeklagte war zwar damit einverstanden, daß P. "umgehauen bzw. geschlagen" wird, er wollte aber nicht dessen Tötung. Von der Brutalität des Vorgehens des Mitangeklagten H. wurde er überrascht; er "hatte auch nicht damit gerechnet, daß dieser bei der Tat Schlagwerkzeuge einsetzen würde" (UA 13). Da das Landgericht bei dieser Sachlage eine Strafbarkeit des Angeklagten nach §§ 212, 13 StGB verneint hat (vgl. hierzu BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 14 = NStZ 1998, 83), ist die tatmehrheitliche (vgl. BGHSt 16, 200, 203) Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung nicht zu beanstanden.

2. Auch die Festsetzung der verwirkten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe hält rechtlicher Nachprüfung stand. Jedoch ist die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung nicht rechtsfehlerfrei begründet.

Das Landgericht hat - mit sehr knapper Begründung - die Auffassung vertreten, daß die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB nicht vorliegen. Auf die Frage, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose gestellt werden kann, ist es in diesem Zusammenhang nicht eingegangen. Dies war jedoch erforderlich. Nach ständiger Rechtsprechung kann nämlich die Frage einer günstigen Sozialprognose auch für die Beurteilung bedeutsam sein, ob Umstände von besonderem Gewicht im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB gegeben sind (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 4 m.w.N.). Auf diesem Mangel kann hier die Entscheidung beruhen. Es ist nicht auszuschließen, daß der Tatrichter dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose gestellt und bei Würdigung dieses Gesichtspunktes im Rahmen des § 56 Abs. 2 StGB die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hätte, zumal der Angeklagte bis dahin erst einmal, und zwar im Jahre 1994, wegen eines Verstosses gegen das Pflichtversicherungsgesetz bestraft worden war und sich in dieser Sache bereits über acht Monate in Untersuchungshaft befand. Die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung bedarf daher der erneuten tatrichterlichen Prüfung.

Der Senat verweist die Sache an den Strafrichter bei dem Amtsgericht Parchim zurück, da das weitere Verfahren sich nur noch gegen einen Erwachsenen richtet (BGHSt 35, 267) und die Strafgewalt des Amtsgerichts ausreicht (§ 354 Abs. 3 StPO).

Ende der Entscheidung

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