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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 03.05.2006
Aktenzeichen: 4 StR 40/06
Rechtsgebiete: StPO, BGB


Vorschriften:

StPO § 52
StPO § 52 Abs. 1
StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3
StPO § 52 Abs. 3
StPO § 52 Abs. 3 Satz 1
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
BGB § 1590 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 40/06

vom 3. Mai 2006

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 3. Mai 2006 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 28. September 2005 mit den Feststellungen aufgehoben

a) soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen verurteilt worden ist,

b) im gesamten Strafausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 15 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in zwei Fällen unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat dieses Urteil durch Beschluss vom 21. April 2005 - 4 StR 33/05 - auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurück. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in zwei Fällen unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen verurteilt worden ist, hat sein Rechtsmittel mit der zulässig erhobenen, auf eine Verletzung des § 52 Abs. 3 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg.

a) Opfer dieser vier dem Angeklagten vorgeworfenen Taten, die der Angeklagte nach den Feststellungen in der Zeit von 1986 bis 1990 beging, war der am 28. Oktober 1980 geborene Nebenkläger, dessen Mutter nach der Scheidung ihrer Ehe mit dem leiblichen Vater des Nebenklägers von 1984 bis 1993 mit dem Angeklagten verheiratet war. Der Nebenkläger ist gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, denn er ist mit dem Angeklagten als dessen Stiefsohn in gerader Linie verschwägert (Art. 51 EGBGB i.V.m. §§ 1589 Abs. 1 Satz 1, 1590 Abs. 1 BGB). Diese Schwägerschaft dauert gemäß § 1590 Abs. 2 BGB fort, auch wenn die Ehe, durch die sie begründet wurde, inzwischen geschieden ist.

b) Die Revision beanstandet zu Recht, dass der Nebenkläger in der Hauptverhandlung vor seiner Vernehmung zur Sache nicht ordnungsgemäß nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist. Wie die Sitzungsniederschrift vom 27. September 2005 (Bd. 2 Bl. 410, 411 d.A.) beweist (§ 274 Satz 1 StPO), wurden der Nebenkläger und seine Mutter, die für diesen Hauptverhandlungstag als Zeugen geladen waren, zusammen hereingerufen und mit dem Gegenstand der Untersuchung und der Person des Angeklagten bekannt gemacht. Sie wurden zur Wahrheit ermahnt, auf die Möglichkeit einer Beeidigung ihrer Aussage, die Bedeutung des Eides, die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage und auf ein möglicherweise bestehendes Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen. Soweit es die Vorschrift des § 52 StPO betrifft, ist folgendes in die Sitzungsniederschrift aufgenommen worden:

"Sie wurde(n) ferner darüber belehrt, dass sie berechtigt seien, falls sie zu den in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen des Angeklagten oder eines derzeit oder früheren Mitbeschuldigten gehöre(n), das Zeugnis und die Beeidigung des Zeugnisses zu verweigern."

Danach wurde der Nebenkläger ausweislich der Sitzungsniederschrift wie folgt vernommen:

"Erster Zeuge. Ich heiße Richard R. und bin 24 Jahre alt, z.Zt. noch in Haft im offenen Vollzug in der JVA mit dem Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert. Der Angeklagte war mein Stiefvater. Der Zeuge wurde zur Sache vernommen".

Der in der Sitzungsniederschrift unter Verwendung eines Vordrucks wiedergegebene, abstrakt gehaltene Hinweis auf die Vorschrift des § 52 Abs. 1 StPO reicht unter den hier gegebenen Umständen entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht aus, den Nebenkläger ordnungsgemäß über das ihm zustehende Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren.

Zwar steht die Art und Weise der Belehrung gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO im Ermessen des vernehmenden Richters, beim Kollegialgericht also des Vorsitzenden (vgl. BGHSt 9, 195, 197), wobei es unerheblich ist, ob sie vor oder nach der Vernehmung des Zeugen zur Person vorgenommen wird. Allerdings wird sich in der Regel der Fälle eine Belehrung nach den Angaben zur Person anbieten, weil sich häufig aus den persönlichen Daten das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts erst ergibt (vgl. BGH StV 1984, 405). Die Belehrung muss so klar und sachgemäß sein, dass der Zeuge das Für und Wider seiner Entscheidung abwägen kann (vgl. BGHSt 9, 195, 197; BGH StV 1984, 405). Hierfür kann es ausreichen, dass ein Zeuge darauf hingewiesen wird, dass er ein Zeugnisverweigerungsrecht habe, "falls" er zu den in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen des Angeklagten gehöre (vgl. BGHSt 32, 25, 30 f.; BGH StV 1984, 405). Dies gilt jedoch nur, wenn der Zeuge eine solche Belehrung für den - wie er weiß - auf ihn zutreffenden Fall erhält, dass er Angehöriger des Angeklagten ist (vgl. BGHSt 32, 25, 31). So liegt es hier jedoch nicht. Vielmehr ist der Nebenkläger davon ausgegangen, dass er nicht mehr der Stiefsohn des Angeklagten sei, und hat sich selbst als mit diesem "nicht verwandt und nicht verschwägert" bezeichnet. Es hätte deshalb einer ergänzenden Belehrung des Nebenklägers dahin bedurft, dass er mit dem Angeklagten (weiterhin) verschwägert ist und demgemäß ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Ausweislich der Sitzungsniederschrift sind zwar die als Zeuginnen vernommenen geschiedenen Ehefrauen des Angeklagten vor ihrer Vernehmung zur Sache "ergänzend" gemäß § 52 StPO belehrt worden (vgl. Bd. 2 Bl. 411/412), nicht aber der Nebenkläger.

c) Auf diesem zur Unverwertbarkeit der Zeugenaussage des Nebenklägers führenden Verstoß (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verletzung 2 m.N.) kann die maßgeblich auf diese Aussage gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen beruhen. Zwar ist anerkannt, dass das Verwertungsverbot entfällt, wenn feststeht, dass der Zeuge sein Weigerungsrecht gekannt hat und davon auch bei einer ordnungsgemäßen Belehrung keinen Gebrauch gemacht hätte (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 212 m.N.). Das ist hier aber nicht der Fall.

Der Nebenkläger hatte auch bei seinen früheren Aussagen keine Kenntnis von dem ihm gemäß § 52 Abs. 1 StPO zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht. Ausweislich der Niederschriften über seine polizeiliche Vernehmung am 25. März 2003 (Bd. 1 Bl. 42) und über die erste Hauptverhandlung (Bd. 2 Bl. 285) ist der Nebenkläger, der sich auch bei diesen Vernehmungen ebenso wie in der neuen Hauptverhandlung als "mit dem Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert" bezeichnet hat, nicht ordnungsgemäß über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden. Dafür, dass der Nebenkläger von seinem Zeugnisverweigerungsrecht keine Kenntnis hatte, spricht zudem, dass der Nebenklägervertreter in seinem Schriftsatz vom 22. Dezember 2005, mit dem er die Verwerfung der Revision des Angeklagten beantragt hat, zur Begründung seiner Auffassung, dass eine Belehrung gemäß § 52 Abs. 1 StPO nicht erforderlich gewesen sei, darauf verwiesen hat, dass "keinerlei verwandtschaftliche Verhältnisse" zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger bestünden, was sich auch aus der Akte ergebe.

Da das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten aufgrund einer von der Mutter des Nebenklägers ohne dessen Wissen erstatteten Strafanzeige eingeleitet worden ist und der Nebenkläger bei seinen Aussagen sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht kannte, kann auch unter Berücksichtigung seines bisherigen Prozessverhaltens nicht ausgeschlossen werden, dass er bei ordnungsgemäßer Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht hiervon in der Hauptverhandlung Gebrauch gemacht und nicht ausgesagt hätte. Dass der Nebenkläger die Verwerfung der Revision des Angeklagten beantragt hat, muss dabei außer Betracht bleiben, weil die Frage, ob ein Urteil auf einer rechtsfehlerhaften Nichtbelehrung über ein Zeugnisverweigerungsrecht beruht, grundsätzlich nur aufgrund der Urteilsgründe und des bis zur Urteilsverkündung entstandenen Akteninhalts beantwortet werden kann (vgl. BGH StV 2002, 3; BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verletzung 3).

2. Der aufgezeigte Verfahrensfehler führt zur Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen. Der Wegfall der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich. Auch die wegen der beiden Fälle des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person verhängten Einzelstrafen von jeweils elf Monaten Freiheitsstrafe haben keinen Bestand, weil nicht auszuschließen ist, dass sich die Verurteilung wegen der Taten zum Nachteil des Nebenklägers auf die Bemessung auch dieser Strafen ausgewirkt hat.

Ende der Entscheidung

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