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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.09.1998
Aktenzeichen: 4 StR 432/98
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 405 Satz 1 1. Alt. |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
24. September 1998
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des versuchten Mordes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. September 1998, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Meyer-Goßner als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Kuckein,
die Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic,
der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter,
Staatsanwalt ........ als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Frau .................
als Nebenklägerin, Rechtsanwalt aus Schwerin als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte ...... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 30. Januar 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Rostock zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen von dem Vorwurf freigesprochen, gemeinschaftlich mit den früheren Mitangeklagten N. und D. aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen versucht zu haben, seine von ihm geschiedene Ehefrau zu töten. Ferner hat es bestimmt, daß der Angeklagte für die erlittene Polizei- und Untersuchungshaft zu entschädigen sei.
Die vom Generalbundesanwalt vertretene, auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich gegen den Freispruch. Sie hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es eines Eingehens auf die Verfahrensbeschwerde nicht bedarf.
1. Nach den Feststellungen trat "jemand" an den früheren Mitangeklagten D. mit der Frage heran, ob er für 20.000 DM "einen Menschen" töten würde. "Mutmaßlich" war dies nicht der Auftraggeber selbst, sondern ein "Mittelsmann". D. konnte den früheren Mitangeklagten N. für eine gemeinsame Tatbegehung gewinnen. Beide kannten "das künftige Opfer", die geschiedene Ehefrau des Angeklagten, Gabriela Sch. , nicht. Am 3. März 1996 entschlossen sie sich, die Tat auszuführen. Als Frau Sch. ahnungslos die Haustüre öffnete, schoß ihr N. mit einer Automatikpistole aus geringer Entfernung "in dem Bereich zwischen den Augen" in die Stirn. Die Mitangeklagten flüchteten daraufhin in der Annahme, das Opfer tödlich getroffen zu haben. Wegen einer "zufälligen Neigung" ihres Kopfes überlebte die Geschädigte den Anschlag. Wenige Tage nach der Tat erhielten die früheren Mitangeklagten "von der ausgelobten Bezahlung" 10.000 DM. Das Geld bekam D. "von einer unbekannt gebliebenen Person unter nicht aufgeklärten Umständen". Die beiden Mitangeklagten haben ihre Tatbeteiligung eingeräumt; das Urteil gegen sie ist rechtskräftig.
2. Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, daß der - seine Beteiligung an der Tat bestreitende - Angeklagte der "Auftraggeber" für den Mordanschlag war. Sein Freispruch hält jedoch einer sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist das durch das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtlich zu beanstanden sind die Beweiserwägungen ferner dann, wenn sie erkennen lassen, daß das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt und es dabei nicht beachtet hat, daß eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewißheit nicht erforderlich ist, vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zuläßt (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 7, 22, 25; BGH, Urteil vom 13. November 1997 - 4 StR 363/97). Rechtsfehlerhaft ist es regelmäßig auch, wenn sich der Tatrichter bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen (vgl. BGH NStZ 1983, 133; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 1).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben, weil eine Gesamtwürdigung der den Angeklagten belastenden Indizien nicht vorgenommen wurde.
aa) Das Landgericht hat festgestellt:
- daß der Angeklagte ein Motiv für die ihm vorgeworfene Tatbeteiligung hatte: Er mußte mit einer - von ihm als unberechtigt empfundenen - Ausgleichszahlung in erheblicher Größenordnung an seine geschiedene Ehefrau rechnen und konnte deswegen eine geplante "größere Investition auf Mallorca" nicht vornehmen; außerdem wurde ihm von seiner geschiedenen Ehefrau das Umgangsrecht mit dem gemeinsamen Sohn streitig gemacht; durch den Mordanschlag hätte er seine "Haß- und Rachegefühle" befriedigen können (UA 6 ff., 22/23);
- daß der Angeklagte wiederholt Drohungen ausgesprochen hat, seine geschiedene Frau "umzubringen" (UA 8, 22/23);
- daß konkrete Anhaltspunkte, die auf einen anderen Täter (Auftraggeber) hinweisen, nicht vorliegen (UA 24);
- daß der ehemalige Mitangeklagte N. bereits wenige Tage nach der Tat seiner Freundin gesagt hat, "die Tat sei von dem Ehemann des Opfers ausgegangen", er seinem Verteidiger etwa vier Monate vor Beginn der Hauptverhandlung mitteilte, "G. sei der Auftraggeber, das sei ihm so gesagt worden", und er dies auch in der Hauptverhandlung wiederholte, wobei er angab, er habe das von dem Mitangeklagten D. erfahren, der gewußt habe, daß der Auftraggeber - was für den Angeklagten zutrifft - eine Fahrschule betreibe (UA 10/11, 16; 22, 25);
- daß der ehemalige Mitangeklagte D. eingeräumt hat, den oder die Auftraggeber zu kennen, diese(n) aber "aus Angst um sein Leben" nicht nennen wolle (UA 13/14);
- daß die Freundin des D. bei der Polizei angegeben hat, "die Tat sei vom Ehemann oder Ex-Ehemann ausgegangen", und daß sie dies auch ihrem Arbeitgeber gegenüber geäußert hat (UA 16, 17 f.);
- daß die Mutter des ehemaligen Mitangeklagten N. bekundet hat, Steffen K. - ein Bekannter des Angeklagten, der der "Auftragsvermittlung" für den Mordanschlag verdächtigt worden war (UA 6, 22) - habe ihr (etwa) Ende Januar 1997 erklärt, "daß G. der Auftraggeber sei" (UA 19/20, 25).
bb) Das Landgericht beschränkt sich darauf, die genannten Belastungsindizien einzeln zu betrachten und ihren jeweiligen Beweiswert isoliert zu prüfen. Das genügt nicht. So hat das Landgericht zwar zutreffend gesehen, daß die Aussage des früheren Mitangeklagten N. einer besonders kritischen Würdigung zu unterziehen ist, weil N. seine Informationen von einem anderen (D. ) und dieser sie möglicherweise von einer weiteren Person ("Auftragsvermittler") gehabt haben könne. Die Strafkammer durfte es jedoch nicht, weil die Zuverlässigkeit der "Informationsquelle" nicht feststellbar sei, "letztlich dahinstehen" lassen, ob N. eine "wahrheitsgemäße Aussage" gemacht hat (UA 13); denn dessen Angaben wurden, was das Landgericht nicht erörtert hat, möglicherweise bei einer Gesamtschau durch andere wichtige Beweisanzeichen (Motiv; Drohungen; keine konkreten Anhaltspunkte für einen anderen Auftraggeber ersichtlich; D. gab an, den Auftraggeber zu kennen; die Freundin des D. nannte den Angeklagten ebenfalls als Auftraggeber; die Mutter des N. hat ihr Wissen vom Angeklagten als Auftraggeber aus einer anderen Quelle) bestätigt; sie hätten dann zur Überführung des Angeklagten herangezogen werden können und müssen (vgl. BGHSt 33, 178, 181; 36, 159 ff.; 42, 15, 25). Gleiches gilt für die Bewertung der Aussagen der (übrigen) "Zeugen vom Hörensagen" (UA 18, 21/22), Ähnliches auch für die Wertung der vom Angeklagten vor der Tat ausgesprochenen Todesdrohungen. Zwar geht das Landgericht bei seiner isolierten Betrachtung des letztgenannten Indizes zutreffend davon aus, daß derartige Drohungen im Zusammenhang mit Ehescheidungsverfahren "recht häufig" vorkommen, aber "glücklicherweise" nicht wahr gemacht würden (UA 24). Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung hätte aber berücksichtigt werden müssen, daß dieses Indiz dann Gewicht haben kann, wenn den Todesdrohungen die (versuchte) Tötung des Bedrohten tatsächlich nachfolgt.
cc) Auch wenn, wie das Landgericht meint, die einzelnen Indiztatsachen für sich gesehen - allein - zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten nicht ausreichen, so besteht doch die Möglichkeit, daß sie in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung hätten vermitteln können. Das Landgericht hat es rechtsfehlerhaft versäumt, dies - für das Revisionsgericht nachvollziehbar - zu prüfen. Die Formulierung, aus der möglichen Motivlage des Angeklagten sei "kein zwingende(r) Schluß" auf den Angeklagten als Täter zu ziehen (UA 24), läßt darüber hinaus besorgen, daß das Landgericht an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit zu hohe Anforderungen gestellt hat.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung darüber, ob sich der Angeklagte wegen Mittäterschaft beim oder Anstiftung zum versuchten Mord strafbar gemacht hat.
3. Da sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, verweist der Senat die Sache an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer zurück (vgl. BGHSt 35, 267).
4. Mit der Urteilsaufhebung ist die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung des Landgerichts über die Haftentschädigung gegenstandslos.
Der Senat weist darauf hin, daß das Landgericht trotz der mißverständlichen Formulierung, "die Klage (werde) abgewiesen", in Wahrheit von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag gemäß § 405 Satz 1 1. Alt. StPO abgesehen hat (vgl. UA 26), so daß eine erneute Entscheidung über den Antrag rechtlich möglich bleibt (vgl. Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 405 Rdn. 16).
Ende der Entscheidung
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