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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 06.12.2001
Aktenzeichen: 4 StR 484/01
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 4 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
6. Dezember 2001
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6. Dezember 2001 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 8. Juni 2001, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im übrigen - wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.
1. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Das Landgericht stützt die Verurteilung des die Tat bestreitenden Angeklagten ausschließlich auf die - als glaubhaft gewerteten - Angaben der Geschädigten K. . Es hat hierbei nicht verkannt, daß Umstände gegeben sind, die gegen deren Richtigkeit sprechen können. Die Beweiswürdigung leidet jedoch darunter, daß diese Umstände jeweils so gedeutet werden, daß sich aus jedem einzelnen von ihnen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Richtigkeit der Angaben der Zeugin ergeben müssen, ohne daß in einer späteren Gesamtschau geprüft wird, ob aus einer Häufung der - jede für sich noch erklärbaren - Fragwürdigkeiten nicht doch ernsthafte Zweifel an der Begründetheit des gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurfs erwachsen (vgl. BGHR StPO § 261 Zeuge 3). Hinzu kommt, daß das Landgericht die Erwägungen, mit der es durchgreifende Bedenken gegen die Richtigkeit der Aussage der Zeugin K. ausschließt, größtenteils nicht auf konkrete Tatsachen, sondern auf abstrakte Deutungsmöglichkeiten und Vermutungen stützt.
a) So hat die Zeugin J. von einem Gespräch berichtet, bei dem die Geschädigte zu S. gesagt habe: "Was, wenn das rauskommt wegen der Falschaussage, kann auf uns was zukommen?" (UA 7/8). Auf ihre - der Zeugin J. - Nachfrage habe S. angedeutet, es gehe um einen Herrn W. , womit der Angeklagte gemeint gewesen sei. Die Zeugin K. hat ein solches Gespräch bestritten. Das Landgericht hält die Angaben der Zeugin J. für glaubhaft. Dies lasse aber - so führt es aus - nicht den Schluß auf die Unwahrheit der Aussage der Zeugin K. (im übrigen) zu. Mit "Falschaussage" könne auch eine Aussage der S. oder der M. W. (Tochter der Lebensgefährtin des Angeklagten) gemeint gewesen sein, die ebenfalls den Angeklagten sexueller Übergriffe beschuldigt hatten. Die Befürchtung der Zeugin K. , es könne auf sie etwas zukommen, könne - so das Landgericht - auch daraus resultieren, daß sie befürchtete, allein aufgrund ihrer Mitwisserschaft bestraft zu werden, oder dadurch begründet sein, daß ihre Aussage in Bezug auf einen weiteren Tatvorwurf falsch war. Unabhängig davon, daß diese Deutungsversuche weitgehend auf bloßen Vermutungen beruhen, erklären sie nicht, warum die Geschädigte in der Hauptverhandlung den Inhalt des Gesprächs in Abrede gestellt hat. Hiermit hätte sich das Landgericht im Rahmen einer Gesamtschau ebenso auseinandersetzen müssen wie mit dem Indizwert des von der Zeugin J. glaubhaft geschilderten Gesprächs.
b) Dem Angeklagten wurde mit der zugelassenen Anklage ein weiterer sexueller Übergriff zum Nachteil der Zeugin K. zur Last gelegt. Insoweit hat das Landgericht ihn freigesprochen und hierzu ausgeführt, daß es zwar "gut möglich" erscheine, daß es einen weiteren Übergriff gegeben habe, letztlich aber nicht ausgeschlossen werden könne, daß die entsprechende Aussage der Geschädigten nur deshalb erfolgt sei, um frühere Angaben der Zeugin M. W. zu bestätigen und damit "ihre Freundin M. nicht als Lügnerin dastehen zu lassen" (UA 13). Unter Berücksichtigung dieser "Erklärungsmöglichkeit" sei es auch nicht widersprüchlich, die Zeugin K. "grundsätzlich als glaubwürdig" anzusehen (UA 14). Damit läßt das Landgericht aber - ungeachtet der fragwürdigen tatsächlichen Grundlage dieser Erwägungen - ausdrücklich die Möglichkeit offen, daß die Geschädigte in Bezug auf den weiteren angeklagten Vorfall die Unwahrheit gesagt hat, ohne sich mit dieser Möglichkeit im Rahmen einer beweiswürdigenden Gesamtbetrachtung auseinanderzusetzen (zum Indizwert einer partiellen Falschbelastung vgl. etwa BGHR StPO § 61 Beweiswürdigung 15 und Zeuge 8).
c) Das Landgericht geht schließlich davon aus, daß jedenfalls bei M. W. und deren (damaligem) Freund H. ein Motiv erkennbar sei, den Angeklagten zu belasten. An der Glaubwürdigkeit der Zeugin M. W. hat es - soweit diese den Angeklagten sexueller Übergriffe zu ihrem eigenen Nachteil beschuldigt hat - "erhebliche Zweifel" (UA 18); es hat den Angeklagten daher auch insoweit freigesprochen. Vor diesem Hintergrund könnte der Äußerung des H. , er wolle den Angeklagten "in den Knast bringen; [K. ] und [S. ] würden dabei auch mitmachen" (UA 6), trotz der vom Landgericht vorgenommenen, für sich gesehen nicht zu beanstandenden Deutung, im Rahmen einer zusammenfassenden Beweiswürdigung ebenso ein größeres Gewicht zukommen wie der Tatsache, daß es M. W. war, die in einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung erstmals den Angeklagten eines sexuellen Übergriffs zum Nachteil der K. bezichtigt hat.
2. Der Senat kann angesichts dieser Umstände nicht ausschließen, daß das Landgericht bei der gebotenen Gesamtschau die Glaubwürdigkeit der Geschädigten anders beurteilt und den Angeklagten auch insoweit freigesprochen hätte. Die Sache bedarf daher erneuter tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung.
Ende der Entscheidung
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