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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: 4 StR 503/00
Rechtsgebiete: StPO, BtMG
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 4 | |
StPO § 349 Abs. 2 | |
StPO § 265 | |
BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 | |
BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
19. Dezember 2000
in der Strafsache
gegen
gegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 8. August 2000
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen schuldig ist;
b) im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 234 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen. Ferner hat es den "erweiterten Verfall" eines Betrages von 2.630 DM "als Wertersatz" angeordnet.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen bezog der Angeklagte, der in einem Asylbewerberheim wohnte, monatlich 380 DM Sozialhilfe. Um sich eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, veräußerte der Angeklagte in der Zeit von Ende Januar 1999 bis Anfang Januar 2000 an Abnehmer, die ihn im Asylbewerberheim aufsuchten, in 234 Fällen Kleinmengen von Haschisch, Heroin, Kokain und Marihuana. Feststellungen dazu, "wann und in welchen Mengen sich der Angeklagte welche Betäubungsmittel beschaffte," konnte das Landgericht nicht treffen. Es hat die Einzelverkäufe deshalb jeweils als rechtlich selbständige Taten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr.1 BtMG) gewertet. Diese Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand:
Sämtliche Betätigungen, die sich auf den Betrieb derselben, in einem Akt erworbene Betäubungsmittelmenge beziehen, sind als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen, weil bereits der Erwerb und der Besitz von Betäubungsmitteln, die zum Zweck gewinnbringender Weiterveräußerung bereitgehalten werden, den Tatbestand des Handeltreibens in bezug auf die Gesamtmenge erfüllen. Zu dieser Tat gehören als unselbständige Teilakte im Sinne einer Bewertungseinheit auch die späteren Veräußerungsgeschäfte, soweit sie dasselbe Rauschgift betreffen (st. Rspr., BGHSt 30, 28; BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 13 m.w.N.). Allerdings gebietet es der Zweifelssatz grundsätzlich nicht, festgestellte Einzelveräußerungen zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen, nur weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, daß die veräußerten Betäubungsmittel ganz oder teilweise aus demselben Verkaufsvorrat stammen (vgl. BGH StV 1999, 431; BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 14, jew. m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte - wie hier - die Tat bestreitet und deshalb nicht in der Lage ist, Umstände vorzutragen, die sich zu seinen Gunsten auswirken können (vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 6). Jedoch ist die Annahme einer Bewertungseinheit zugunsten des Angeklagten dann geboten, wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die an sich selbständigen Veräußerungen von Rauschgift dieselbe Erwerbsmenge betreffen (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 13; Franke/Wienroeder BtMG § 29 Rdn. 32, jew. m.w.N.).
Das Landgericht hat dies an sich nicht verkannt. Seine Annahme, eine Zusammenfassung der festgestellten Drogenverkäufe könne nur willkürlich erfolgen, da "nicht genügend konkrete Anhaltspunkte" dafür vorlägen, die auf eine oder mehrere Vorratsmengen schließen ließen, begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat nämlich den rechtsfehlerfrei festgestellten Sachverhalt nicht umfassend gewürdigt, sondern wesentliche Umstände außer acht gelassen, die es nahelegen, daß die an sich selbständigen Veräußerungen von Haschisch, Heroin, Kokain und Marihuana dieselbe Erwerbsmenge des jeweiligen Betäubungsmittels betrafen.
Bereits die Ausgangssituation, wonach der von Sozialhilfe lebende Angeklagte sich entschlossen hat, gewerbsmäßig Betäubungsmittel fortlaufend an zahlreiche Endverbraucher in Kleinmengen zu verkaufen, legt es nahe, daß er die Ware in größeren Teilmengen kostengünstig erworben hat, um durch den Weiterverkauf die beabsichtigte Gewinnspanne erzielen zu können (vgl. BGH, Beschl. vom 16. November 2000 - 3 StR 457/00). Hierfür spricht auch die Abwicklung der Betäubungsmittelgeschäfte in dem Zimmer des Angeklagten, einem anderen Raum des Asylbewerberheims oder auf dem Hof vor dem Heim. Dabei holte der Angeklagte nach Entgegennahme der Bestellung das jeweils bereits zu Konsumeinheiten in Tütchen ("Bubbles") abgepackte oder in Folie eingedrehte Rauschgift, während seine Abnehmer warteten, aus einem Versteck auf dem Hof oder in einem der Räume des Asylbewerberheims und übergab es ihnen. Soweit der Angeklagte in mindestens 49 Fällen an Matthias H. jeweils 1 g Heroingemisch veräußerte (Fall II 8 der Urteilsgründe), wurde das Rauschgift zudem vor der Übergabe vom Angeklagten jeweils mit einer Digitalwaage "nachgewogen". Danach liegt es nahe, daß der Angeklagte Haschisch, Heroin, Kokain und Marihuana jeweils in größeren Mengen vorrätig hielt. Für die Annahme sukzessiver, auf denselben Bestand des jeweiligen Betäubungsmittels bezogener Geschäfte spricht auch ihr enger zeitlicher Zusammenhang. Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht dem die (möglicherweise) unterschiedliche Qualität der vom Angeklagten verkauften Betäubungsmittel nicht entgegen (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 7).
Bei dieser Sachlage ist zu Gunsten des Angeklagten von der folgenden Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse auszugehen:
Soweit der Angeklagte zwischen dem 23. April und 8. Mai 1999 an Tino He. in drei Fällen jeweils 1 g Haschisch veräußert hat (II 1 der Urteilsgründe), ist insbesondere wegen des engen zeitlichen Zusammenhanges eine Bewertungseinheit anzunehmen, so daß nur eine Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorliegt.
Die Veräußerungen von Haschisch an Steffen W. in dem Zeitraum von August 1999 bis Januar 2000 (II 4 der Urteilsgründe, in fünf Fällen zugleich mit jeweils 1g Kokain) und zwischen dem 18. August und 18. November 1999 an Maik G. (II 6 der Urteilsgründe), sind zu einer weiteren selbständigen Bewertungseinheit zusammenzufassen, da zwischen diesen und den Veräußerungen an Tino He. (II 1 der Urteilsgründe) ein Zeitraum von fast drei Monaten liegt.
Eine weitere Bewertungseinheit bilden die 15 Einzelverkäufe von jeweils 1 g Marihuana an Ronny B. (Fall II 2 der Urteilsgründe).
Dies gilt auch für die Einzelverkäufe von Heroingemisch an Christian Ge. in 50 Fällen (II 3 der Urteilsgründe: jeweils 1 g), Steve M. in 100 Fällen (II 5 der Urteilsgründe: jeweils 1 g), Alexej Bi. in fünf Fällen (II 7 der Urteilsgründe, jeweils 0,5 g) und an Matthias H. in 49 Fällen (II 8 der Urteilsgründe, jeweils 1 g), wobei auch diese Tat, obwohl bei einer Gesamtmenge von 201,5 g Heroingemisch trotz der schlechten Qualität die Annahme einer nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in Betracht kommt, in Anwendung des Zweifelssatzes als Vergehen nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG zu werten ist.
Eine Zusammenfassung aller Veräußerungen zu nur einer Bewertungseinheit kommt jedoch entgegen der Auffassung der Revision nicht in Betracht, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Beschaffung aller veräußerten, unterschiedlichen Betäubungsmittel derselbe Erwerbsvorgang zugrundelag. Der Angeklagte ist mithin des unerlaubten Handeltreibens in vier Fällen schuldig (§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 BtMG).
Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil auszuschließen ist, daß sich der leugnende Angeklagte anders als geschehen gegen den geänderten Schuldvorwurf verteidigt hätte.
Die Schuldspruchänderung nötigt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs, der im übrigen auch dann, wenn 234 rechtlich selbständige Taten vorlägen, keinen Bestand haben könnte, da die verhängten Einzelfreiheitsstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe unvertretbar hoch sind.
Ende der Entscheidung
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