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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 28.01.2003
Aktenzeichen: 4 StR 540/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 244 Abs. 5 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 540/02

vom

28. Januar 2003

in der Strafsache

gegen

wegen schwerer räuberischer Erpressung

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 28. Januar 2003 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 26. August 2002 mit den Feststellungen aufgehoben

a) insgesamt, soweit es den Angeklagten Andreas L. betrifft;

b) im Strafausspruch, soweit es den Angeklagten Igor L. betrifft.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten Igor L. wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (Andreas L. ) bzw. zwei Jahren und neun Monaten (Igor L. ) verurteilt und ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen.

Die Rechtsmittel haben mit einer von beiden Angeklagten erhobenen Verfahrensrüge Erfolg bzw. teilweise Erfolg; soweit der Angeklagte Igor L. den Schuldspruch und die Maßregelanordnung anficht, ist seine Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen nötigten die Angeklagten am 22. Februar 2002 gegen 16.40 Uhr die Inhaberin des Uhren- und Schmuckgeschäfts H. in R. unter Einsatz eines Messers zur Herausgabe von mindestens 200 €.

Der Angeklagte Igor L. hat seine Tatbeteiligung eingeräumt, aber angegeben, die Tat nicht mit seinem Bruder Andreas, sondern mit Viktor K. , der aus Kasachstan stamme und sich zur Tatzeit zu Besuch in Deutschland aufgehalten habe, begangen zu haben. Der Angeklagte Andreas L. hat seine Beteiligung an der Tat bestritten.

2. Im Hauptverhandlungstermin vom 14. August 2002 hat der Verteidiger des Angeklagten Andreas L. die Vernehmung des Viktor K. , wohnhaft in A. A. (Kasachstan), , zum Beweis dafür beantragt, daß dieser mit Igor L. den angeklagten Raub begangen habe und der Angeklagte Andreas L. weder an der Tat noch am Vorgeschehen beteiligt gewesen sei. Das Landgericht hat den Beweisantrag gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO mit der Begründung abgelehnt, die Vernehmung des Viktor K. sei zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich. Nach der bisherigen Beweisaufnahme sei nämlich die dem Beweisantrag entsprechende Einlassung der Angeklagten widerlegt, weil es aufgrund des feststehenden Zeitablaufs am Tatnachmittag "zeitlich nahezu ausgeschlossen" sei, daß ein Fremder und nicht der Bruder des Angeklagten Igor L. dessen Tatgenosse war. Außerdem sei die Einlassung der Angeklagten unglaubhaft, weil sie für eine von der Polizei beobachtete gemeinsame Autofahrt nach R. um 16.10 Uhr keine plausible Erklärung hätten geben können.

3. Die Ablehnung des Beweisantrags hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen abgelehnt werden, wenn dessen Vernehmung nach pflichtgemäßem Ermessen zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Maßgebendes Kriterium dabei ist, ob die Erhebung des beantragten Beweises ein Gebot der Aufklärungspflicht ist (BGHSt 40, 60, 62; BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 9, 10). Diesem Maßstab wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht.

Die Strafkammer geht sowohl im Ablehnungsbeschluß als auch im Urteil davon aus, daß die Einlassung der Angeklagten, eine dritte Person sei der Mittäter gewesen, "nicht zeitlich unmöglich" sei (UA 14). Die Zeugin H. hat den Angeklagten Igor L. , nicht aber den Angeklagten Andreas L. als Täter wiedererkannt (UA 12). Bei dieser Beweislage hätte es die Aufklärungspflicht erfordert, zunächst im Wege des Freibeweises (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 5, 10; RiVASt, Länderteil Kasachstan, S. 147) zu klären, ob der Zeuge Viktor K. unter der angegebenen Anschrift wohnhaft ist und geladen werden kann, wie er aussieht (Personenbeschreibung, Lichtbild), ob er Sachdienliches zur Klärung der Beweisfrage beitragen kann und ob er (gegebenenfalls unter Zusicherung freien Geleits) bereit ist, vor Gericht zu erscheinen und auszusagen. Erst aufgrund des Ergebnisses dieser Vorklärung wäre möglicherweise der Weg zur Ablehnung des Beweisantrages eröffnet gewesen, wenn nämlich dann klar gewesen wäre, daß durch die beantragte Zeugenvernehmung, sofern sie überhaupt möglich gewesen wäre, keine weitere wesentliche Aufklärung zu erwarten war (vgl. Maatz in FS für Remmers S. 577, 588 Fn. 66).

4. Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Urteil im Hinblick auf den Angeklagten Andreas L. insgesamt auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht. Beim Angeklagten Igor L. - der die Ablehnung des Beweisantrags ebenfalls rügen kann, weil die Beweisbehauptung zugleich seinem Interesse diente (vgl. BGH bei Pfeiffer NStZ 1981, 96; 1984, 372) - beruht möglicherweise der Strafausspruch auf dem Rechtsfehler, weil das Landgericht sein Geständnis nur mit den sich aus der Beweiswürdigung ergebenden "Einschränkungen" (UA 18) zu seinen Gunsten berücksichtigt hat. Die Maßregelanordnung beim Angeklagten Igor L. bleibt allerdings von dem Rechtsfehler unberührt; sie kann daher bestehen bleiben.

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