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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.06.2009
Aktenzeichen: 4 StR 55/09
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StGB § 2 Abs. 3
StGB § 176a Abs. 1
StGB § 176a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers

am 18. Juni 2009

gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO

beschlossen:

Tenor:

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 24. September 2008 im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen, "davon in einem Fall des schweren sexuellen Missbrauchs und in einem besonders schweren Fall des sexuellen Missbrauchs", zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts; er beanstandet ferner das Verfahren und macht das Fehlen von Prozessvoraussetzungen geltend.

I.

Das Rechtsmittel ist zum Schuldspruch aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Insoweit ist lediglich ergänzend anzumerken, dass auch die von der Revision erhobene Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts und der Aufklärungspflicht durch Ablehnung des Hilfsbeweisantrags auf Einholung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin keinen Erfolg hat. Die Ablehnung dieses Antrags, den der Angeklagte mit mangelnder Sachkunde begründet hat, hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht hat dazu in den Urteilsgründen nachvollziehbar ausgeführt, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige sich nicht, wie von der Revision behauptet, pauschal dahin geäußert hat, bei einem Kind im Alter der Nebenklägerin sei in sexueller Hinsicht von völliger Unkenntnis auszugehen. Vielmehr habe er unter Berücksichtigung der ihm vermittelten Anknüpfungstatsachen ausführlich und differenziert zur Frage kindlicher Neugier und kindlichen Verständnisses bezogen auf sexuelle Vorgänge Stellung genommen.

II.

Die Revision hat jedoch mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg.

Das Landgericht hat festgestellt, dass sich die sexuellen Übergriffe des Angeklagten gegenüber der seinerzeit sieben- bis achtjährigen Nebenklägerin, mithin im Zeitraum zwischen Sommer 2000 und Sommer 2002, ereigneten. Es hätte deshalb gemäß § 2 Abs. 3 StGB erwägen müssen, welches Gesetz im vorliegenden Fall die jeweils mildeste Bestrafung zulässt. Dies ist nicht durch einen abstrakten Vergleich der Tatbestände und Strafdrohungen zu ermitteln; es ist vielmehr zu prüfen, welcher Strafrahmen für eine Tat unter Anwendung des alten und des neuen Rechts nach den Umständen des konkreten Falles jeweils zu Grunde zu legen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ-RR 1999, 354).

Danach gilt hier folgendes:

1.

In Fall II 1 der Urteilsgründe hat das Landgericht das Verhalten des Angeklagten zwar ohne Rechtsfehler als schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes gewürdigt; es hätte jedoch bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise gemäß § 2 Abs. 3 StGB den Strafrahmen des § 176 a Abs. 1 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes (StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 164) zu Grunde legen müssen, das am 1. April 1998 in Kraft trat und bis zum 31. März 2004, also auch zur Tatzeit, Geltung hatte. Im Unterschied zu der danach in Kraft getretenen Fassung, deren im Mindestmaß erhöhter Strafrahmen von zwei Jahren (§ 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB) das Landgericht zum Ausgangspunkt für seine Strafzumessung genommen hat, sah die Fassung des Gesetzes zur Tatzeit nur eine Mindeststrafe von einem Jahr vor. Trotz unveränderten Höchstmaßes kann der Senat nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass das Landgericht bei Zugrundelegung des zutreffenden Strafrahmens eine geringere Strafe verhängt hätte.

2.

Wegen der festgestellten beischlafähnlichen, nicht mit einem Eindringen in den Körper verbundenen sexuellen Handlungen in Fall II 2 der Urteilsgründe (sog. Schenkelverkehr bis zum Samenerguss) hat das Landgericht einen besonders schweren Fall des sexuellen Missbrauchs eines Kindes "nach § 176 Abs. 1 StGB" angenommen und den Strafrahmen "des § 176 Abs. 3 StGB ... von einem Jahr bis zu 15 Jahren" zu Grunde gelegt. Damit hat es ersichtlich auf § 176 Abs. 3 StGB in der zum Zeitpunkt der Aburteilung geltenden Fassung abgestellt und übersehen, dass die zur Tatzeit geltende Fassung des sexuellen Missbrauchs (§ 176 StGB in der Fassung des 6. StrRG) neben dem Regelstrafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren keinen Sonderstrafrahmen für besonders schwere Fälle enthielt, die letztgenannte Fassung demnach hier das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB ist. Ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Rechtsfehler kann auch insoweit nicht ausgeschlossen werden.

3.

Auch die Strafrahmenwahl in Fall II 3 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a)

Nach den Feststellungen beugte sich der Angeklagte, nachdem er eine Autofahrt an einem unbelebten Straßenstück unterbrochen hatte, über die auf der Rücksitzbank seines PKW angeschnallt sitzende Nebenklägerin und gab ihr einen Zungenkuss, woraufhin sie ihn wegstieß. Sodann wartete er die Vorbeifahrt eines anderen PKW ab, beugte sich daraufhin weit in das eigene Fahrzeug hinein, öffnete seine Hose und forderte die Nebenklägerin auf, sein Glied anzufassen, wozu diese nicht bereit war. Daraufhin schloss der Angeklagte seine Hose wieder, stieg in den PKW und fuhr mit der Nebenklägerin nach Hause.

b)

Diese Feststellungen legen die Annahme eines minder schweren Falles des sexuellen Missbrauchs eines Kindes nahe. Das Landgericht hat ersichtlich die zum Zeitpunkt der Aburteilung geltende Fassung des § 176 StGB zur Anwendung gebracht, die einen minder schweren Fall nicht vorsieht. Bei der auch hier vorzunehmenden konkreten Betrachtungsweise nach § 2 Abs. 3 StGB hätte jedoch der Umstand Berücksichtigung finden müssen, dass § 176 Abs. 1 Satz 2 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung des 6. StrRG die Regelung eines minder schweren Falls enthielt, die Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe androhte. Ein Beruhen des Rechtsfolgenausspruchs auf dem Rechtsfehler kann auch hier nicht ausgeschlossen werden.

III.

Der Senat hat die zum Rechtsfolgenausspruch getroffenen Feststellungen insgesamt aufrechterhalten, da es sich bei den Rechtsfehlern ausschließlich um Wertungsfehler handelt. Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen. Wegen der rechtlichen Bedenken gegen die Erwägung des Landgerichts, dem Angeklagten sei auch anzulasten, dass seine Taten zum Scheitern der Ehe zwischen der Mutter der Nebenklägerin und Walter B. geführt hätten, verweist der Senat auf die Stellungnahme des Generalbundesanwalts.

Ende der Entscheidung

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