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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 30.01.2001
Aktenzeichen: 4 StR 569/00
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 4 | |
StPO § 349 Abs. 2 | |
StGB § 177 Abs. 1 | |
StGB § 184 c Nr. 1 | |
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 2 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
30. Januar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 30. Januar 2001 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 17. Juli 2000 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Zur Verfahrensrüge Ziffer II 1 der Revisionsbegründung (Verletzung des § 261 StPO) ist ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts vom 28. Dezember 2000 anzumerken, daß dahinstehen kann, ob die Angaben der Zeugin M. zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hätten verwertet werden dürfen, weil jedenfalls der Schuldspruch auf diesen Angaben nicht beruht und der Strafausspruch bereits auf die Sachrüge aufgehoben werden muß.
2. Nach den Feststellungen bot der Angeklagte der zur Tatzeit 16jährigen Andrea K. an, sie mit seinem Pkw nach Hause zu fahren. Beide kannten sich. Der Angeklagte, der vorhatte, zu Andrea K. "sexuelle Beziehungen" aufzunehmen, verließ unter einem Vorwand das Ortsgebiet von Dömitz, nahm während der Fahrt ihre Hand, führte diese auf sein rechtes Knie und "schob sie sodann in Richtung seines Genitalbereiches". Als es ihr gelang, die Hand wegzuziehen, begann er, ihr linkes Bein zu streicheln, wogegen sie sich wehrte. Er parkte dann in einem einsamen Waldgebiet, legte seinen rechten Arm um ihre Schultern "und versuchte, sie auf den Mund zu küssen". Als sie ihn wegdrückte, schrie er sie an, sie solle sich ausziehen, er wolle mit ihr den Geschlechtsverkehr ausführen. "Hierüber" verängstigt brach sie in Tränen aus, "woraufhin sich der Angeklagte über sie lustig machte". Er fuhr dann weiter, ergriff ihre Hand und drückte sie mehrfach "gegen seinen Genitalbereich". Obwohl sie sich heftig wehrte, konnte sich Andrea K. nicht befreien. Auf ihre Forderung, "sie endlich in Ruhe zu lassen", machte der Angeklagte den Vorschlag, "sie könne ja aussteigen". Als er anhielt und sie versuchte zu entkommen, fuhr der Angeklagte das Fahrzeug schnell an, so daß sie den Pkw nicht verlassen konnte. Mit der Drohung, "er werde sie sonst nicht nach Hause fahren bzw. er (werde) sie aussetzen und sie könne zu Fuß nach Hause laufen", zwang er sie, ihre Hand auf sein Bein zu legen. Er ergriff diese und führte sie "an seinen Genitalbereich". Als Andrea K. ihn aufforderte, "sich selbst zu befriedigen", brachte er das Fahrzeug zum Stehen und beschimpfte sie. Danach "zog er die Hand der Geschädigten erneut an sein Geschlechtsteil". Schließlich setzte er sie nach insgesamt etwa 1 1/2stündiger Fahrt - gegen 18.00 Uhr - in Dömitz ab.
3. Das Landgericht hat das Tatgeschehen rechtlich zutreffend als sexuelle Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung gewürdigt. Als "strafrechtlich relevante (sexuelle) Handlungen" hat es a) das Erzwingen des Berührens des Geschlechtsteils des Angeklagten, b) das Streicheln der Oberschenkel der Geschädigten und c) den Versuch, die Geschädigte zu küssen, und als Nötigungsmittel alle drei Alternativen des § 177 Abs. 1 StGB angesehen (UA 21 f.).
Damit wird dem Angeklagten jedoch ein zu weit gehender Schuldumfang angelastet; der Strafausspruch kann deshalb nicht bestehen bleiben.
a) Nach § 184 c Nr. 1 StGB sind sexuelle Handlungen nur solche "von einiger Erheblichkeit". Ob die "Erheblichkeitsschwelle" überschritten ist, bestimmt sich nach dem Grad der Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut (vgl. BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 4 m.w.N.). Danach ist zwar das mehrfache Erzwingen des Berührens des (bedeckten) Geschlechtsteils des Angeklagten als sexuelle Nötigung zu werten; das Streicheln des (bedeckten) Beines der Geschädigten und der mißlungene Kußversuch stellen aber keine (gesondert zu berücksichtigenden) sexuellen Handlungen dar (s. BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 2; BGH NStZ 1988, 70, 71; 1992, 432; StV 2000, 197; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 184 c Rdn. 7, 8 m.w.N.).
b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die (ausdrücklich strafschärfend gewürdigte) Wertung des Landgerichts, es lägen "alle drei Alternativen des Tatbestandes der sexuellen Nötigung" (Gewalt, Drohung und Ausnutzen einer schutzlosen Lage) vor (UA 21 f., 27). Während "Gewalt" und "Ausnutzen einer schutzlosen Lage" durch die Feststellungen getragen werden, ist das Nötigungsmittel "Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben" (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) nicht belegt. Das Landgericht sieht diese Tatbestandsalternative dadurch als verwirklicht an, daß der Angeklagte der Geschädigten gegenüber "geäußert (habe), sie vergewaltigen zu wollen bzw. ihr in Aussicht stellte, sie im Wald bzw. in einer Gegend, in der sie sich nicht auskannte, bei Dunkelheit auszusetzen" (UA 22). Nach den Feststellungen hat der Angeklagte "sinngemäß" gesagt, daß er mit ihr den Geschlechtsverkehr vollziehen wolle (UA 12). Selbst wenn diese Äußerung als "Drohung mit einer Vergewaltigung" gemeint gewesen ist, so wäre das genannte Tatbestandsmerkmal nur dann erfüllt, wenn der Geschädigten - ebenso wie mit der Äußerung, sie werde sonst "ausgesetzt" und "könne zu Fuß nach Hause laufen" (UA 13) - zur Überwindung ihres Widerstandes ein schwerer Angriff auf ihre körperliche Unversehrtheit in Aussicht gestellt worden wäre (vgl. BGH StV 1994, 127; NStZ 1999, 505; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2000 - 1 StR 270/00). Das aber ist nicht festgestellt.
Die Strafe muß daher neu bestimmt werden.
4. Zu dem an das Landgericht gerichteten Antrag vom 15./17. No-vember 2000, Rechtsanwalt Ke. aus Hagenow als Pflichtverteidiger beizuordnen (Bd. IV Bl. 582 d.A.), bemerkt der Senat: Für diesen Antrag ist der Vorsitzende des Gerichts zuständig, dessen Urteil angefochten wurde und der bereits mit der Pflichtverteidigerbestellung befaßt war (Bd. III Bl. 224, Bd. IV Bl. 561 ff.; vgl. hierzu BGHR StPO § 141 Bestellung 3; BGH, Beschluß vom 6. De-zember 2000 - 2 StR 471/00; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 141 Rdn. 6 m.w.N.). Eines Zuwartens mit der Entscheidung über die Revision bedurfte es jedoch nicht; denn ein Nachschieben von Verfahrensrügen wäre wegen des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) unzulässig und auf die - in der Gegenerklärung durch Rechtsanwalt Ke. näher ausgeführte - Sachrüge hat der Senat das Urteil umfassend geprüft.
Ende der Entscheidung
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