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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.01.2000
Aktenzeichen: 4 StR 623/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB, PflVersG, StVG, KfzStG


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 346 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 2
StGB § 63
StGB § 62
StGB § 113 Abs. 1
StGB § 113 Abs. 2
StGB § 240
StGB § 267
PflVersG § 6
StVG § 21 Abs. 1 Nr. 1
StVG § 21 Abs. 2 Nr. 2
KfzStG § 1 Abs. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 623/99

vom

18. Januar 2000

in der Strafsache

gegen

wegen Urkundenfälschung u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 18. Januar 2000 gemäß §§ 346 Abs. 2, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluß des Landgerichts Stralsund vom 7. September 1999 wird aufgehoben.

2. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 18. Juni 1999 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten der Angeklagten bestehen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Es hat ihr die Fahrerlaubnis entzogen, ihren Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von einem Jahr für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis festgesetzt. Ferner hat es die Einziehung des Pkw Barkas B 1000 der Angeklagten angeordnet.

1. Das Landgericht hat die Revision der Angeklagten durch Beschluß vom 7. September 1999 als unzulässig verworfen, weil "die Revisionsanträge" nicht rechtzeitig angebracht worden seien. Dabei wurde übersehen, daß die Verteidigerin der Angeklagten bereits mit dem Schriftsatz vom 22. Juni 1999, mit dem rechtzeitig Revision eingelegt worden ist, die Verletzung materiellen Rechts gerügt und damit das Rechtsmittel frist- und formgerecht begründet hat. Der Verwerfungsbeschluß ist daher auf Antrag der Angeklagten gemäß § 346 Abs. 2 StPO aufzuheben.

2. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Unterbringungsanordnung; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Das sachverständig beratene Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, daß die Angeklagte infolge ihres als querulatorischer Wahn aufzufassenden Zustandes bei Begehung der rechtsfehlerfrei festgestellten Taten in dem Zeitraum vom 18. Juli bis zum 3. September 1997 schuldunfähig gewesen ist. Die Angeklagte, die an einer "anhaltenden wahnhaften Störung und an einem Residualzustand einer schizophrenen Psychose mit paranoider Symptomatik" leide, sei der Annahme, daß Polizei, Justiz und inzwischen auch Verwandte sowie Nachbarn sich gegen sie verschworen hätten mit dem gemeinsamen Ziel, ihr und ihrem Sohn Schaden zuzufügen. Aufgrund ihres Zustandes seien von der Angeklagten "auch zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten, die für die Allgemeinheit gefährlich sind, zu erwarten." Diese Gefährlichkeitsprognose ist aber - wie die Revision zu Recht rügt - durch die bisherigen Feststellungen nicht hinreichend belegt:

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit künftiger schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht (BGH NStZ 1986, 572; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16, 25). Nach den Urteilsgründen ist schon zweifelhaft, ob das Landgericht, das sich den Ausführungen der Sachverständigen "vollinhaltlich angeschlossen hat", diese Grenzen des Anwendungsbereiches der Maßregel bedacht hat. Die Sachverständige ist nämlich bei der Beurteilung des Zustandes der Angeklagten davon ausgegangen, daß diese - wie ihr Verhalten bei der Polizeiflucht (Fall II 2 der Urteilsgründe) zeige - dann, "wenn sie sich in die Enge getrieben fühle, aus ihren angstbesetzten Vorstellungen heraus auch durchaus aggressiv handeln" könne. Es sei "nicht auszuschließen, daß es in solchen Situationen zu ernsthaften Übergriffen komme". Damit ist aber mehr als die bloße Möglichkeit, daß von der Angeklagten in Zukunft rechtswidrige Taten zu erwarten sind, nicht dargetan.

Zwar hat die Sachverständige demgegenüber im Rahmen der Beurteilung der Gefährlichkeit der Angeklagten unter anderem ausgeführt, sie sei "aufgrund der erhobenen Befunde davon überzeugt", daß die Angeklagte "im Falle einer Zwangsräumung ihres Wohnraumes sich derart in die Enge getrieben fühlen würde, daß sie zu allem fähig sei". Die "anhaltende Realitätsverkennung" mache es ihr "ohne entsprechende Behandlung unmöglich, aus dem Wahnsystem auszubrechen. Es seien, da sich ihre private Situation eher verschlechtere als verbessere, künftig durchaus schwerere Straftaten als die bislang begangenen zu erwarten". Auch damit ist aber die Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher rechtswidriger Taten nicht in nachprüfbarer Weise dargelegt, da sich dem Urteil nicht entnehmen läßt, Straftaten welcher Art das Landgericht für künftig wahrscheinlich gehalten hat. Hierzu hätte es eingedenk des in § 62 StGB normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 17) angesichts der Anlaßtaten, die das Landgericht zutreffend als Vergehen nach § 6 PflVersG (Fälle II 1.1 und 1.2), nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG (Fälle II 3.7 und 3.8), § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG (Fälle II 3.1 bis 3.6) und - im Fall II 2 (Polizeiflucht) - als tateinheitlich begangene Vergehen nach §§ 113 Abs. 1 und 2, 240, 267 StGB, § 6 PflVersG und § 370 AO i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 3 KfzStG gewertet hat, auch deshalb besonders sorgfältiger Darlegung bedurft, weil diese Taten nach den Feststellungen ihrem Gewicht nach dem unteren Bereich strafbaren Verhaltens zuzuordnen sind (vgl. BGH NStZ 1986, 237; BGH, Beschluß vom 7. Dezember 1999 - 4 StR 485/99).

Die Frage der Notwendigkeit der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher neuer Prüfung. Die zu den rechtswidrigen Taten des Angeklagten getroffenen Feststellungen werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben (vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 19). Dies schließt ergänzende Feststellungen durch den neuen Tatrichter, die zu den bisher getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.



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