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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.02.1999
Aktenzeichen: 4 StR 658/98
Rechtsgebiete: StPO, StGB, StGB a.F.
Vorschriften:
StPO § 246 a | |
StPO § 349 Abs. 2 und 4 | |
StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 | |
StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative | |
StGB § 64 | |
StGB a.F. § 223a |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
4. Februar 1999
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen Vollrausches
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. Februar 1999 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 29. Juni 1998 mit den Feststellungen aufgehoben,
a)im Strafausspruch,
b)soweit davon abgesehen worden ist, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere - allgemeine - Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
1. Das Rechtsmittel bleibt, soweit es sich gegen den Schuldspruch richtet, im Ergebnis ohne Erfolg. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift vom 14. Januar 1999 ausgeführt:
"Der Schuldspruch wegen vorsätzlichen Vollrausches kann nur im Ergebnis bestehen bleiben. Zwar ist die Überzeugung des Schwurgerichts, der Angeklagte habe auf den Geschädigten eingestochen, nach Lage der Dinge keinen durchgreifenden Bedenken ausgesetzt. Jedoch verhalten sich die Urteilsgründe nicht zu der Frage des freiwilligen Rücktritts vom Versuch, obwohl der festgestellte Sachverhalt eine Auseinandersetzung hierzu erforderte. Das Landgericht hätte sich vor allem mit den Vorstellungen des Angeklagten von den Wirkungen des gegen den Geschädigten geführten Messerstichs befassen müssen (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 31, 170; 33, 295; 35, 90; 39, 221, 227; Tröndle, StGB 48. Aufl. § 24 RnNr. 4a). Daß der Angeklagte mit der Möglichkeit gerechnet hat, die dem Tatopfer beigebrachte Verletzung könnte zu dessen Tod führen, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Der Umstand, daß der Angeklagte dem Geschädigten "das Messer bis zum Heft in den rechten Unterbauch" gestoßen hatte und dieser aus der Wunde blutete, besagt für sich wenig. Denn der Geschädigte war ungeachtet der erlittenen schweren Messerstichverletzung in der Lage, sich zunächst auf die Couch zu setzen und sein Hemd hochzuheben, und sodann - und dies vor allem - plötzlich aufzustehen, aus dem Fenster zu springen, zur Wohnung der Hauseigentümerin zu laufen und sie zu bitten, den Notarzt zu verständigen (UA S. 6). Dies spricht dagegen, daß der Geschädigte auf den Angeklagten den Eindruck eines möglicherweise tödlich Verletzten gemacht hätte. Rechnet der Täter jedoch (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges und war die Vollendung aus seiner Sicht noch möglich, so liegt ein unbeendeter Versuch vor, bei dem das bloße (freiwillige) Aufgeben der weiteren Tatausführung zur Strafbefreiung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative StGB führt. Dies gilt auch dann, wenn der Täter nur deshalb von weiteren Handlungen absieht, weil er sein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel - etwa: dem Opfer einen "Denkzettel" zu verabreichen - bereits erreicht hat (vgl. BGHSt 39, 221).
Der Freiwilligkeit des Rücktritts steht nicht entgegen, daß sich der Angeklagte in einem Rauschzustand befand und aus diesem Grund möglicherweise seine Schuldfähigkeit ausgeschlossen war. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind die Vorschriften über den strafbefreienden Rücktritt vom Versuch auch dann anzuwenden, wenn der mit "natürlichem" Vorsatz handelnde Täter vom Versuch der Rauschtat freiwillig zurückgetreten ist (vgl. BGHR StGB § 323a Abs. 1 Rücktritt 1; BGH, Beschluß vom 27. Mai 1998 - 5 StR 717/97).
Gleichwohl ist der Schuldspruch im Ergebnis nicht zu beanstanden: Nach den Feststellungen liegt dem Angeklagten jedenfalls eine im Rausch verübte gefährliche Körperverletzung nach § 223a StGB a.F. zur Last. Dies rechtfertigt es, den Schuldspruch ausnahmsweise aufrechtzuerhalten (vgl. Senatsurteil vom 11. September 1995 - 4 StR 314/95).
Dem tritt der Senat bei.
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt jedoch zur Aufhebung des Strafausspruches. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten ausdrücklich darauf abgestellt, "daß ... (er) im Rauschzustand einen versuchten Totschlag, also eine schwerwiegende Straftat, begangen hat" (UA 13). Der Senat kann daher nicht ausschließen, daß die Strafkammer bei Annahme einer gefährlichen Körperverletzung als Rauschtat auf eine mildere Strafe erkannt hätte.
3. Keinen Bestand kann das angefochtene Urteil auch insoweit haben, als das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist. Die Erörterung dieser Frage drängte sich hier auf: Nach den Urteilsfeststellungen ist der Angeklagte "seit mehreren Jahren alkoholgewohnt"(UA 4). Die Straftaten, derentwegen er in der Vergangenheit verurteilt wurde, beging er überwiegend unter Alkoholeinfluß. Bereits im März 1997 wurde ihm in Bewährungsbeschlüssen aufgegeben, eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen. Dem leistete er im Oktober 1997 Folge, unternahm jedoch danach "keine weiteren Anstrengungen, sich mit seinem Alkoholproblem kritisch auseinanderzusetzen"(UA 4). Bei dem hier abgeurteilten Tatgeschehen (Tatzeit: 27. Januar 1998) wies der Angeklagte eine Blutalkoholkonzentration von 3,45 %o auf.
Angesichts dieser Feststellungen lag die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nahe. Daß bei ihm die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht besteht (vgl. BVerfGE 91,1 ff. = NStZ 1994, 578), kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Allein der Umstand, daß der Angeklagte nach zwei Besuchen einer Suchtberatungsstelle in Bezug auf seine Alkoholproblematik nichts mehr unternahm, genügt hierfür nicht. Das Landgericht hätte daher darlegen müssen, warum es gleichwohl von der Unterbringung abgesehen hat (vgl. BGHSt 37, 5, 7; 38, 362, 363). Die Sache bedarf somit auch insoweit neuer tatrichterlicher Prüfung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO). Daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5).
Ende der Entscheidung
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