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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.04.1999
Aktenzeichen: 4 StR 76/99
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 69
StGB § 69 a
StGB § 239 a
StGB § 24
StPO § 357
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 StR 76/99

vom

22. April 1999

in der Strafsache

gegen

wegen

versuchten erpresserischen Menschenraubes u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. April 1999, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Meyer-Goßner,

die Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Kuckein, Athing, Dr. Ernemann als beisitzende Richter,

Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

I.

Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 31. August 1998 mit den Feststellungen aufgehoben,

1. soweit er wegen versuchter Erpressung verurteilt worden ist;

2. soweit er und der Mitangeklagte A. jeweils wegen versuchten erpresserischen Menschenraubes verurteilt worden sind;

3. in den zugehörigen Einzelstrafaussprüchen sowie in den Aussprüchen über die Gesamtstrafen;

4. in den Maßregelaussprüchen.

II.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

III.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen "versuchten erpresserischen Menschenraubes im minder schweren Fall in zwei Fällen, in einem Fall gemeinschaftlich handelnd, in einem weiteren Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen versuchter Erpressung und Diebstahls geringwertiger Sachen in zwei Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen. Den Mitangeklagten A. hat es unter Freisprechung im übrigen des "gemeinschaftlichen versuchten erpresserischen Menschenraubes im minder schweren Fall, Diebstahls geringwertiger Sachen (und) unerlaubten Erwerbs einer Schußwaffe" schuldig befunden, gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem hat das Landgericht gegen beide Angeklagten Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte K. mit seiner Revision, die er wirksam auf die Verurteilung wegen versuchten erpresserischen Menschenraubes in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen versuchter Erpressung beschränkt hat. Das auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel hat teilweise Erfolg. Soweit es sich in Bezug auf die Verurteilung wegen versuchten erpresserischen Menschenraubes im Fall Sch. als begründet erweist, führt es in diesem Umfang auch zur Aufhebung des den Mitangeklagten A. betreffenden Schuld- und Strafausspruches sowie der gegen ihn ausgesprochenen Maßregel und Gesamtstrafe (§ 357 StPO).

1. Die Verurteilung des Angeklagten K. wegen versuchten erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (Fall St. ) hält rechtlicher Prüfung stand. Der Erörterung bedarf hier nur, ob der Angeklagte - wie die Revision geltend macht - von der Versuchstat des § 239 a StGB mit strafbefreiender Wirkung gemäß § 24 StGB zurückgetreten ist. Dies hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht verneint. Nach den Feststellungen plante der Angeklagte die Entführung von Frau St. , um von deren Ehemann ein Lösegeld von einer Million DM zu erpressen. Nachdem es ihm gelungen war, Frau St. in den Laderaum seines Kastenwagens zu stoßen und die Schiebetür zu schließen, wehrte sich diese "äußerst heftig" und schrie laut um Hilfe. Sie schlug ihm mit einem Schuh auf den Kopf. Mit einem Finger griff sie anschließend unter die Brille des Angeklagten und "wollte in sein Auge stechen". Der Angeklagte wich daraufhin zurück, öffnete die Tür des Fahrzeugs und "warf sie aus ... (diesem) heraus". "Er hielt es wegen der heftigen Gegenwehr nicht mehr für möglich, Frau St. zu bändigen und zu entführen" (UA 9).

Angesichts dieser Feststellungen liegt die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs nahe, bei dem die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts dem Täter generell versagt ist (zur Abgrenzung vgl. BGHSt 33, 295, 297; 34, 53, 56/57). Jedenfalls ist danach die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte sei mangels Freiwilligkeit nicht strafbefreiend zurückgetreten, nicht zu beanstanden. Da die Frage der Freiwilligkeit als subjektives Moment aus der konkreten Tätersicht zu beurteilen ist (vgl. Eser in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl § 24 Rdn. 44 m.w.N.), kommt es entgegen dem Revisionsvorbringen auch nicht darauf an, ob ein "normaler Täter" bei stärkerer Gewaltanwendung die Tat hätte vollenden können.

2. Keinen Bestand kann hingegen die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Erpressung haben. Nach den Urteilsfeststellungen rief der Angeklagte kurze Zeit nach dem mißglückten Entführungsversuch bei Familie St. an und verlangte Zahlung von einer Million DM, "sonst gehe ... (er) an die Kinder". Danach meldete er sich jedoch nicht mehr.

a) Die Annahme einer weiteren selbständigen Tat ist hier allerdings nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können zwar sukzessiv ausgeführte Versuchshandlungen eine Tat im Rechtssinne bilden, wenn die einzelnen Handlungen in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang stehen und daher einen einheitlichen Lebensvorgang bilden. Dieses Erfordernis kann beim Tatbestand der Erpressung auch dann erfüllt sein, wenn durch die Einzelakte, mittels derer auf die Willensentschließung des Opfers eingewirkt werden soll, letztlich nur die ursprüngliche Drohung durchgehalten wird (BGHSt 40, 75, 77; 41, 368, 369; BGH JR 1998, 516 mit Anm. Satzger). So verhält es sich hier jedoch nicht: Die nunmehr ausgesprochene Drohung richtete sich gegen die Kinder des ursprünglichen Opfers, sie stand in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der durch die zunächst geplante Entführung beabsichtigten Erpressung, sondern weist eine unterschiedliche Angriffsrichtung auf. Das die beiden Tatkomplexe betreffende Tätigwerden des Angeklagten beruhte zudem auf gesonderten Tatentschlüssen und stellt sich auch unter Berücksichtigung des gegebenen zeitlichen Zusammenhanges bei natürlicher Betrachtungsweise nicht als ein einheitlicher Lebensvorgang dar.

b) Die bisherigen Feststellungen tragen jedoch nicht die Annahme des Landgerichts, daß es mangels Freiwilligkeit an einem strafbefreienden Rücktritt im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB fehle. Im Rahmen der Urteilsfeststellungen findet sich hierzu nur die Angabe, daß der Angeklagte "sich nach dem Anruf nicht mehr fähig (fühlte), sein Vorhaben weiter zu verfolgen" (UA 10). In der rechtlichen Würdigung wird hierzu noch ausgeführt, daß der Angeklagte "nach dem Anruf erkannte, daß er zur weiteren Durchführung des Planes aufgrund seiner Persönlichkeit nicht in der Lage war" (UA 22). Auch wenn es sich insoweit nicht nur um Wertungen, sondern um Feststellungen handeln sollte, so mangelt es diesen an einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage. Es ist nicht ersichtlich und kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden, warum der Angeklagte, der bei der vorausgegegangen mißglückten Entführung immerhin zur Anwendung von Gewalt fähig war, aufgrund seiner Persönlichkeit nunmehr nicht in der Lage gewesen sein sollte, seine Geldforderung etwa durch erneute (telefonische) Drohungen weiter zu verfolgen. Dies hätte - wie die Revision zu Recht rügt - näherer Darlegung bedurft.

3. Schließlich begegnet auch die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten erpresserischen Menschenraubes im Fall Sch. durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Der Angeklagte und der Mitangeklagte A. waren übereingekommen, Frau Sch. zu entführen, um einen Betrag von einer Million DM zu erpressen. Um den Zugriff auf das Tatopfer zu ermöglichen, sollte der Angeklagte K. sich diesem gegenüber als Postbediensteter ausgeben, der ein Paket zuzustellen habe. Vereinbart war ferner, "daß die Entführung der Frau Sch. abgebrochen werde, wenn diese mit ihrem damals 10 Monate alten Kind erscheinen würde" (UA 12). Nachdem der Angeklagte K. die Paketzustellung zuvor bei Frau Sch. telefonisch angekündigt hatte, fuhren die Angeklagten mit dem "VW-Bulli" des Angeklagten K. vor das Anwesen der Eheleute Sch. . Der Angeklagte K. hatte, um von Frau Sch. nicht erkannt zu werden, eine Sonnenbrille und eine Mütze aufgesetzt. Auf sein Schellen erschien Frau Sch. mit ihrem Kind auf dem Arm an der Haustür. "Der Angeklagte (K. ) brach deshalb die weitere Ausführung des Planes, wie vereinbart, ab" (UA 13). Gegenüber Frau Sch. gab er vor, ein falsches Paket dabei zu haben. Anschließend fuhren beide Angeklagten davon.

Zu Unrecht hat das Landgericht diesen Sachverhalt bereits als einen Versuch des erpresserischen Menschenraubes gewertet. Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Dies ist der Fall, sobald der Täter subjektiv die Schwelle zum "jetzt geht es los" überschreitet und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so daß sein Tun ohne Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergeht (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 26, 201, 202 ff.; 28, 162, 163; BGH NStZ 1997, 83 jeweils m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen stellte das Klingeln an der Haustür der Eheleute Sch. noch keine Versuchstat nach § 239 a StGB dar. Beide Angeklagten hatten die weitere Tatbegehung von vorneherein davon abhängig gemacht, daß das in Aussicht genommene Tatopfer ohne ihr Kleinkind erscheint; es bedurfte somit noch eines weiteren Willensimpulses, damit ihr Tun unmittelbar in die Tatbestandshandlung einmündete (vgl. auch BGHR StGB § 22 Ansetzen 16 = NStZ 1993, 398 und BGHR aaO Ansetzen 21 = NStZ 1996, 38). Insofern unterscheidet sich der Sachverhalt von dem, der der Entscheidung BGHSt 26, 201 zugrundelag: Dort hatten die Täter maskiert und mit vorgehaltener Pistole an der Haustür geläutet, wobei die öffnende Person sogleich bei ihrem Erscheinen mit der Pistole bedroht, gefesselt und zur Ermöglichung und Duldung der Wegnahme genötigt werden sollte.

Das Verhalten der Angeklagten erfüllt zwar auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen den Tatbestand der Verabredung zum erpresserischen Menschenraub (§§ 30 Abs. 2, 239 a StGB). Der Senat vermag jedoch insoweit wegen der Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts (§ 31 StGB) keine eigene Sachentscheidung zu treffen. Nach den getroffenen Feststellungen kam es kurze Zeit nach dem Vorfall an der Haustür noch zu einem weiteren Anruf des Angeklagten K. bei Frau Sch. , in dem er sich wiederum als Postbeamter ausgab und nachfragte, ob die Zustellungsbeamten inzwischen erschienen seien. Weitere Handlungen zur Ausführung der geplanten Tat erfolgten jedoch nicht mehr. Der Mitangeklagte A. ging davon aus, "der Plan, eine Frau zu entführen, werde nun aufgegeben" (UA 13). Für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte K. habe den Plan nicht aufgeben wollen, ist eine tatsächlichen Grundlage nicht ersichtlich. Es kann danach bei beiden Angeklagten ein strafbefreiender Rücktritt gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 3 StGB, für den unter bestimmten Voraussetzungen auch bloßes Untätigbleiben genügen kann (vgl. BGHSt 32, 133, 134/135), nicht ausgeschlossen werden. Dies bedarf erneuter tatrichterlicher Prüfung.

4. Die aufgezeigten Mängel zwingen somit zur Aufhebung des Schuldspruchs, soweit der Angeklagte K. wegen versuchter Erpressung und versuchten erpresserischen Menschenraubes (Fall Sch. ) verurteilt worden ist. Dies führt zur Aufhebung der beiden für diese Taten festgesetzten Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe. Die Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten erpresserischen Menschenraubes wirkt gemäß § 357 StPO auch zugunsten des Mitangeklagten A. . Die insoweit festgesetzte Einzelstrafe sowie die gegen ihn verhängte Gesamtstrafe sind daher ebenfalls aufzuheben. Der Aufhebung unterliegen auch die gegen beide Angeklagten ausgesprochenen Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB, die das Landgericht (auch) - ohne dies näher auszuführen - auf die Begehung der Straftat im Fall Sch. gestützt hat. Der Senat kann daher nicht ausschließen, daß das Landgericht bei insoweit zutreffender rechtlicher Bewertung der Strafbarkeit die Frage der Fahreignung beider Angeklagter zu deren Gunsten anders beurteilt hätte.



Ende der Entscheidung

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