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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.07.1999
Aktenzeichen: 4 StR 90/99
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB 1998 § 315 b Abs. 1 Nr. 2 und 3
StGB 1998 § 315 b Abs. 1 Nr. 2 und 3

Auch ein (äußerlich) verkehrsgerechtes Verhalten kann das Bereiten eines Hindernisses oder einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff darstellen, wenn es aus verkehrsfeindlichen Gründen, nämlich in der Absicht erfolgt, einen Verkehrsunfall herbeizuführen.

BGH, Urteil vom 22. Juli 1999 - 4 StR 90/99 - LG Hamburg


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 StR 90/99

vom

22. Juli 1999

in der Strafsache

gegen

wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Juli 1999, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Meyer-Goßner,

die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, Athing,

die Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic,

der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter,

Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 11. November 1998 in den Aussprüchen über die Einzelgeldstrafen dahin geändert, daß die Höhe eines Tagessatzes auf 2 DM festgesetzt wird.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in zehn Fällen in Tatmehrheit mit Betrug in sechs Fällen und wegen versuchten Betruges in einem weiteren Fall" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat ferner Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat nur zur Höhe der Tagessätze bei den Einzelgeldstrafen wegen Betrugs und versuchten Betrugs Erfolg. Im übrigen ist es unbegründet.

1. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte in der Zeit vom 17. Juni 1990 bis zum 29. Juli 1996 in zehn Fällen absichtlich Unfälle herbei, um von den Versicherungen der Unfallgegner unter Täuschung über den wahren Sachverhalt unberechtigte Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen zu können. In sieben Fällen (Fälle 2.1, 2.4, 2.11, 2.13, 2.14, 2.15 und 2.16 der Urteilsgründe) bremste er sein Fahrzeug bei der Annäherung an eine Kreuzung, nachdem er den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hatte, bereits an der Einfahrt zu einer vor der Kreuzung auf der linken Seite gelegenen Tankstelle ab. In diesen Fällen fuhren die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer, wie vom Angeklagten vorhergesehen und beabsichtigt, auf die von ihm gefahrenen Fahrzeuge auf, weil sie annahmen, er würde erst an der Kreuzung abbiegen. In einem weiteren Fall (Fall 2.10 der Urteilsgründe) bremste der Angeklagte - nach links blinkend - an einer Kreuzung, jenseits deren eine Linksabbiegespur für die nächste Kreuzung begann, zum Linksabbiegen bis zum Stillstand ab, worauf der "Hintermann", der damit entsprechend der Absicht des Angeklagten nicht gerechnet hatte, auffuhr. Im Fall 2.2 der Urteilsgründe bremste der Angeklagte an einer Verkehrsampel, die gerade auf "gelb" umgeschaltet hatte, stark und hielt an. Die nachfolgende Verkehrsteilnehmerin, die damit, wie vom Angeklagten vorhergesehen, nicht gerechnet hatte, fuhr auf seinen Pkw auf. Im Fall 2.17 der Urteilsgründe schließlich fuhr der Angeklagte im Bereich einer Einmündung mit abknickender Vorfahrt in die Seite eines wartepflichtigen Kraftfahrzeugs, das bereits Sekunden in seiner Fahrspur stand; er wollte den Wagen rammen und den Unfallgegner unter dem Gesichtspunkt der Vorfahrtverletzung für den Schaden verantwortlich machen. Mit Ausnahme des letztgenannten Falles erbrachten die Haftpflichtversicherer auf die vom Angeklagten unter Vorlage von Gutachten verschiedener Sachverständiger geltend gemachten Beträge Zahlungen.

2. Zutreffend hat das Landgericht den Angeklagten in den Fällen, in denen die Strafverfolgung insoweit nicht verjährt ist, wegen vollendeten bzw. versuchten Betruges verurteilt.

Auch der Schuldspruch wegen des Verbrechens des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315 b Abs. 1 Nr. 2 und 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB (in der bis zum Inkrafttreten des Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998 [BGBl I 164] geltenden Fassung) läßt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Der Erörterung bedarf nur folgendes:

a) Die Anwendbarkeit des § 315 b StGB scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Angeklagte die schädigenden Handlungen im Rahmen der Teilnahme am Straßenverkehr vorgenommen hat. Auch der Verkehrsteilnehmer selbst kann Täter eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sein. Allerdings wird bloß vorschriftswidriges Verkehrsverhalten grundsätzlich nicht von § 315 b StGB, sondern - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - nur von § 315 c StGB erfaßt (vgl. Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 315 b Rdn. 5). Doch können auch Vorgänge im ruhenden und fließenden Verkehr ein Hindernisbereiten im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB sein, wenn der Täter vom Verhalten eines "normalen" Verkehrsteilnehmers dadurch abweicht, daß er durch die Zuwiderhandlung gegen die Verkehrsvorschriften die Schaffung eines Hindernisses beabsichtigt, wenn also das Hindernis nicht die bloße Folge, sondern der Zweck des verbotswidrigen Verhaltens ist (BGHSt 21, 301, 302; 41, 231, 234; BGH VRS 64, 267 f.). Damit übereinstimmend nimmt ein Fahrzeugführer durch Handlungen im fließenden Verkehr in tatbestandsmäßiger Weise einen "ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff" im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB vor, wenn er das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewußt zweckwidrig einsetzt (BGHSt 28, 87, 88; 41, 231, 234). Beiden Fällen der Anwendung des § 315 b StGB auf Verkehrsvorgänge ist gemeinsam, daß der Täter in der Absicht handelt, diese zu einem Eingriff zu "pervertieren"; es muß ihm darauf ankommen, in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen (BGHR StGB § 315 b Abs. 1 Nr. 3 Vorsatz 1).

b) Für Sachverhalte, in denen, wie - nach den Feststellungen nicht ausschließbar - auch in den hier in Rede stehenden, ein nach dem äußeren Erscheinungsbild den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung entsprechendes Verhalten zu einem Verkehrsunfall führt, folgt aus diesen Grundsätzen:

Wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315 b Abs. 1 StGB macht sich nicht strafbar, wer sich in jeder Hinsicht verkehrsgerecht verhält und dies mit der Hoffnung verbindet, daß ihm ein Unfall Gelegenheit zu einer vorteilhaften Schadensabrechnung mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung bietet. Das gilt auch dann, wenn der Verkehrsteilnehmer das Unfallereignis billigend in Kauf nimmt. Die bloße Hoffnung auf einen Verkehrsunfall wie auch die billigende Inkaufnahme eines drohenden Unfalls mögen verwerflich sein. Aus dem verkehrsordnungsgemäßen Fahrverhalten wird auf diese Weise aber kein unerlaubter Eingriff in die Sicherheit des Straßenverkehrs. Eine Bestrafung nach § 315 b StGB liefe darauf hinaus, daß schon die böse Gesinnung geahndet würde.

Anders verhält es sich, wenn der Täter einen Unfall absichtlich herbeiführt. Wer ein bestimmtes - in der konkreten Verkehrssituation an sich korrektes - Fahrmanöver (etwa ein Bremsen oder Beschleunigen des Fahrzeugs oder ein Abbiegen) zu dem Zweck ausführt, die Unaufmerksamkeit oder eine Fehleinschätzung eines anderen Verkehrsteilnehmers auszunutzen und so einen Verkehrsunfall herbeizuführen, der die Möglichkeit einer vorteilhaften Schadensregulierung eröffnet, setzt sein Fahrzeug verkehrsfeindlich und zweckwidrig ein. Damit erfüllt er den Tatbestand des § 315 b Abs. 1 StGB, selbst wenn sein Verhalten äußerlich verkehrsgerecht erscheinen mag. Tatsächlich verhält er sich damit verkehrswidrig; denn ein Verhalten, das allein die Schädigung eines anderen Verkehrsteilnehmers bezweckt, verstößt stets (vgl. nur § 1 Abs. 2 StVO) gegen die Straßenverkehrsordnung (vgl. BGH NZV 1992, 157 m. Anm. Seier; a.A. Scheffler NZV 1993, 463). Der Anwendung des § 315 b StGB auf die absichtliche Provokation eines Unfalls durch ein äußerlich verkehrsordnungsgemäßes Verhalten läßt sich nicht entgegenhalten, daß sie Gesinnungsstrafrecht sei. Die Feststellung, der Täter habe einen Unfall absichtlich herbeigeführt, enthält notwendigerweise, daß er seine verwerfliche Gesinnung in ein unfallverursachendes Verhalten umgesetzt hat, daß es also nicht bei dem bösen Gedanken geblieben ist.

c) Das Landgericht hat in allen abgeurteilten Fällen - auch soweit dies bei der Schilderung der einzelnen Taten nicht noch einmal ausdrücklich hervorgehoben worden ist - die Absicht des Angeklagten, die Unfälle so wie geschehen herbeizuführen, festgestellt; dieser Schluß ist aus den von der Strafkammer angestellten Erwägungen - insbesondere mit Blick auf die Häufung der Unfälle (einschließlich der eingestellten Fälle), die sich überwiegend nach einem vergleichbaren "Strickmuster" zutrugen - jedenfalls möglich und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der Angeklagte hat sich daher im Fall 2.17 nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB, in den übrigen Fällen nach § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht. Die Feststellungen belegen ferner, daß die Voraussetzungen des § 315 b Abs. 3 StGB i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB (a.F.) vorliegen.

3. Der Strafausspruch hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung im wesentlichen stand.

a) Entgegen der Auffassung der Revision durfte das Landgericht das in einem Zivilprozeß ergangene klagabweisende Urteil des Landgerichts Hamburg vom 26. November 1993 mit Blick auf den engen inneren Zusammenhang mit dem abgeurteilten Geschehen strafschärfend berücksichtigen. Dieses Gericht ging von einem vom Angeklagten und dem damaligen "Unfallgegner" gestellten Unfallereignis aus. Daß es sich um eine zivilgerichtliche Entscheidung handelt, steht ihrer Berücksichtigung bei der Bestimmung des Maßes der Pflichtwidrigkeit gemäß § 46 Abs. 2 StGB nicht entgegen.

b) Auch der Einwand der Revision, daß das angefochtene Urteil entgegen § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB nicht erörtert, warum insoweit nicht auf eine gesonderte (Gesamt-)geldstrafe erkannt worden ist, dringt nicht durch. Die Nichtanwendung dieser Ausnahmevorschrift (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1973, 17; GA 1987, 80; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. § 53 Rdn. 16 m.w.N.) bedarf nämlich in der Regel nur dann der ausdrücklichen Erörterung, wenn nach den besonderen Umständen eine Gesamtstrafe aus den verwirkten Freiheits- und Geldstrafen als das schwerere Übel erscheint (BGH StV 1986, 58; 1987, 63; JR 1989, 425 mit Anm. Bringewat; BGH NJW 1989, 2900; NStZ-RR 1998, 207); dies schließt der Senat hier aus.

c) Erfolg hat das Rechtsmittel lediglich hinsichtlich der vom Landgericht für die Geldstrafen wegen Betrugs und versuchten Betrugs festgesetzten Tagessatzhöhe von 70 DM. Bei der Bestimmung der Höhe eines Tagessatzes gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 StGB ist "in der Regel von dem Nettoeinkommen aus(zugehen), das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte". Zwar ist hierbei auf die Verhältnisse zur Zeit der Entscheidung abzustellen (BGH NJW 1976, 634; BGHR StGB § 40 Abs. 2 Satz 1 Einkommen 2, 3). Bei zeitlich unterschiedlicher Leistungsfähigkeit ist aber ein Zeitraum zugrundezulegen, der das Durchschnittseinkommen erkennbar macht; mit Sicherheit zu erwartende Einkommensänderungen sind zu berücksichtigen (BGHSt 26, 325, 328 f.; OLG Hamm JR 1978, 165; OLG Koblenz NStE Nr. 13 zu § 40 StGB; Stree in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 46 Rdn. 10; Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 40 Rdn. 8). Dies hat das Landgericht nicht beachtet, indem es die Tagessatzhöhe "den derzeitigen Einkommensverhältnissen ... entsprechend" festgesetzt hat, d.h. im Blick auf 100 DM Krankengeld pro Tag, die der - nunmehr erwerbslose - Angeklagte wegen eines "vor ein paar Wochen" erlittenen Kreuzbandrisses bezog. Der Senat hat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den in § 40 Abs. 2 Satz 3 StGB vorgesehenen Mindestbetrag bestimmt.

4. Der geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten auch nur teilweise von den Kosten seines Rechtsmittels freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).



Ende der Entscheidung

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