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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.04.1999
Aktenzeichen: 4 StR 93/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2 u. 4
StPO § 337 Abs. 1
StGB § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StGB § 211
StGB § 21
StGB § 49
StGB § 57a
StGB § 57b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 93/99

vom

15. April 1999

in der Strafsache

gegen

wegen Mordes

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 15. April 1999 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 13. November 1998 im Ausspruch über die besondere Schuldschwere mit den Feststellungen aufgehoben ; der Ausspruch entfällt.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Von den Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens trägt der Angeklagte drei Viertel, die Staatskasse ein Viertel; die Revisionsgebühr wird um ein Viertel ermäßigt. Der Angeklagte hat die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und festgestellt, daß die Schuld besonders schwer wiegt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Ausspruch über die besondere Schuldschwere (§ 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) Erfolg; im übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Angeklagten wegen Mordes (§ 211 StGB), begangen an seinem fünfjährigen Sohn, verurteilt. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hat das Schwurgericht zu Recht angenommen, daß die Tötung des Kindes heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen erfolgte.

2. Auch die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als absoluter Strafe hält im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 1. März 1999 zutreffend näher ausgeführt hat, wird der Strafausspruch auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß das Landgericht die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration fehlerhaft berechnet hat, indem es für den Nachtrunk ein Resorptionsdefizit von lediglich 10 % (UA 22) anstelle von 30 % angesetzt hat (BGHR StGB § 21 BAK 10). Hierdurch ergibt sich zwar rechnerisch eine maximale Tatzeit-Blutalkoholkonzentration von etwa 2,4 Promille anstelle des Wertes von 2,0 Promille, von dem das Landgericht ausgeht. Doch kann der Senat aufgrund der Erwägungen zur objektiven und subjektiven Alkoholisierung beim Angeklagten und zu den weiteren psycho-diagnostischen Kriterien, mit denen das Landgericht - sachverständig beraten - im Rahmen seines Beurteilungsspielraums (vgl. BGHSt 43, 66, 77; BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 13 a.E.; BGH, Beschluß vom 3. Dezember 1998 - 4 StR 606/98) eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB verneint hat, ausschließen, daß das Landgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es eine um 0,4 Promille höhere Tatzeit-Blutalkoholkonzentration angenommen hätte. Abgesehen davon, daß die Rechtsprechung ohnedies bei Tötungsdelikten besonders hohe Anforderungen an das Hemmungsvermögen auch des alkoholisierten Täters stellt (BGHSt 37, 231, 235; BGHR StGB § 21 BAK 9, 16), durfte das Landgericht bei seiner Bewertung auch berücksichtigen, daß der Angeklagte den Entschluß, seinen Sohn zu töten, bereits am Nachmittag des Tattages zu einem Zeitpunkt gefaßt hatte, als er "lediglich drei Bier zu je 0,5 Liter zu sich genommen" hatte (UA 23). Für eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 StGB war danach kein Raum.

3. Dagegen hält die Feststellung des Landgerichts, die Schuld des Angeklagten wiege im Sinne des § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB besonders schwer, rechtlicher Prüfung nicht stand.

Zwar hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Entscheidung zur besonderen Schuldschwere grundsätzlich hinzunehmen, ihm ist eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt; es hat nur zu prüfen, ob der Tatrichter alle Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat, darf seine Wertung aber nicht an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen (BGHSt - Großer Senat - 40, 360, 370). Doch begegnet die Entscheidung des Landgerichts nach § 57 a StGB auch gemessen an einem solch eingeschränkten Prüfungsmaßstab durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Gesamtwürdigung des Schwurgerichts wird den in der Person des Angeklagten liegenden Besonderheiten nicht gerecht. Dabei kann dahinstehen, ob bereits der Fehler bei der Berechnung der Tatzeit-Blutalkoholkonzentration (s.o.2.) zur Aufhebung nötigt, der - wie dargelegt - zwar nicht die Annahme vollständig erhalten gewesener Schuldfähigkeit in Frage stellt, aber auf einen höheren Grad alkoholbedingter Enthemmung hindeutet, als ihn das Landgericht seiner Schuldschwerebeurteilung zugrundegelegt hat. Jedenfalls beanstandet die Revision zu Recht, daß das Schwurgericht ausdrücklich zu Lasten des Angeklagten wertet, er sei aufgrund seiner dissozialen und emotional instabilen Persönlichkeitsstörung, die sich durch "emotionale Labilität, eine überdurchschnittliche Erregbarkeit und Aggressivitätsbereitschaft zur Durchsetzung eigener Interessen gepaart mit äußerst geringem Mitgefühl für andere" auszeichne, "bewußt fähig (gewesen), aus Furcht vor einer möglichen Trennung" seinen Sohn "aus egozentrischen Motiven" zu töten (UA 29). Weshalb auf dem Hintergrund dieser Persönlichkeitsstörung in dem auf ihr beruhenden ("hierdurch"; UA 29) Entschluß zur Tat und in deren Ausführung ein schulderhöhendes Moment zu finden sein soll, ist nicht verständlich. Eher gibt dies zu einer milderen Beurteilung Anlaß, zumal das Landgericht selbst davon ausgeht, daß die Persönlichkeitsstörung beim Angeklagten zu einer Herabsetzung seiner Hemmschwelle geführt hat. Soweit darüber hinaus das Schwurgericht dem Angeklagten "egozentrische Motive" und ferner "als besonders verwerflich" anlastet, daß er sein Kind tötete, "um dessen Mutter zu treffen" (UA 29), hat es Umstände herangezogen, die bereits Voraussetzungen für die Annahme des mordqualifizierenden Merkmals niedriger Beweggründe waren (vgl. UA 21 oben). Dies begegnet unter dem Gesichtspunkt der entsprechenden Anwendung des § 46 Abs. 3 StGB Bedenken (BGHSt 42, 226, 228 f.), zumal das Landgericht keine Feststellungen getroffen hat, die ein besonders (vgl. BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 19 a.E.) gesteigertes Maß an verwerflicher Gesinnung ergeben. Schließlich fehlt - wie der Beschwerdeführer zu Recht einwendet - auch jeglicher erkennbare Bezug zur Schuldschwere im Sinne des § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, soweit das Schwurgericht darauf abstellt, der Angeklagte sei "hinsichtlich der genannten Persönlichkeitsmerkmale kaum therapierbar" (UA 29).

Auf den beanstandeten Erwägungen beruht die Feststellung über die besondere Schuldschwere (§ 337 Abs. 1 StPO). Daß der Angeklagte mehrere Mordmerkmale verwirklicht hat, kann zwar ein Grund für die Annahme besonderer Schuldschwere sein (BGHSt 39, 122, 125). Das Zusammentreffen mehrerer Mordqualifikationen führt aber nicht schematisch zur Bejahung der besonderen Schuldschwere; vielmehr bedarf es auch insoweit jeweils einer Gesamtwürdigung anhand der Umstände des Einzelfalles (st. Rspr.; BGHR StGB § 57 a Abs. 1 Schuldschwere 10, 15, 16, 18, 20). Umstände von besonderem Gewicht, die die Annahme zu tragen vermögen, die Schuld des Angeklagten bei der Tötung des Kindes wiege - ungeachtet des durch die Tat verwirklichten schweren Unrechts - im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB besonders schwer, hat das Landgericht aber nicht erkennbar gemacht.

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die Einbeziehung der von dem Angeklagten annähernd zwei Jahre vor der hier abgeurteilten Tat "sozusagen zu Übungszwecken" (UA 29) an seinem Nachbarn K. verübten (versuchten) Tötung in die Gesamtwürdigung. Zwar können bei der Schuldschwerebeurteilung grundsätzlich auch als selbständige Delikte strafbare "Vortaten" Berücksichtigung finden (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 1999 - 3 StR 460/98). Doch könnten sich hier - ungeachtet dessen, daß der Angeklagte jene Tat nunmehr eingestanden hat - rechtliche Bedenken daraus ergeben, daß der Angeklagte vom Vorwurf jener Tat rechtskräftig freigesprochen worden ist, wenngleich die Staatsanwaltschaft nunmehr die Wiederaufnahme des Verfahrens betreibt. Der Senat braucht diese Frage aber nicht abschließend zu beantworten. Jedenfalls ist, wenn sich die besondere Schuldschwere nicht bereits aus der Tat, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet wird, sondern erst aus einer Mehrzahl von Straftaten ergibt (vgl. Lackner StGB 22. Aufl. § 57b Rdn. 4), nach Maßgabe von § 57b StGB hierüber vorrangig in dem Verfahren zu befinden, in dem die einzelnen Straftaten, derentwegen auf lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt wird, zusammenfassend gewürdigt werden. Im Hinblick auf die Gesamtstrafenlage, die hier mit der Tat zum Nachteil des Nachbarn K. besteht, ist dies das Verfahren, in dem jene Tat (nach Wiederaufnahme) abgeurteilt wird.

Der Senat schließt nach den getroffenen Feststellungen aus, daß sich aufgrund neuer Verhandlung Umstände ergeben können, die die Annahme besonderer Schuldschwere allein wegen der hier abgeurteilten Mordtat tragen. Deshalb muß der Ausspruch hier entfallen.

Ende der Entscheidung

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