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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.06.2008
Aktenzeichen: 5 StR 109/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 StR 109/08

vom 10. Juni 2008

in der Strafsache

gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Mai 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 29. Oktober 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Jugendschutzkammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen.

Der Antrag des Angeklagten, ihm im Adhäsionsverfahren für die Revisionsinstanz Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern" zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Nebenkläger verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der am 20. August 2004 geborene Nebenkläger von seiner Mutter, vor allem aber deren Lebensgefährten H. körperlich misshandelt. Am 25. April 2007 nahm H. das Kind zu einem Besuch bei dem Angeklagten mit und ließ es dort etwa zehn Minuten mit diesem allein. Der Angeklagte entschloss sich spontan, die Situation für einen sexuellen Missbrauch des Kindes auszunutzen. Er entkleidete es und führte einen Finger in dessen Anus ein. Ferner brachte er dem Kind Bisswunden bei. Als der Junge weinte, schlug er ihn mit der Faust, um ihn zum Schweigen zu bringen. Das Kind wies wenige Stunden später multiple Verletzungen, wie Hämatome, aber auch Biss- und Kratzwunden, am gesamten Körper auf.

Seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gründet die Strafkammer auf dessen frühere, zwischenzeitlich widerrufene geständige Einlassung gegenüber Polizeibeamten. Zwar umfasse dieses Geständnis nicht die Zufügung der Bisswunden; diese könnten aber nur sexuell motiviert sein und seien daher ebenfalls dem Angeklagten zuzuordnen. Da es sich um eine "deutlich perverse Tathandlung" handele und der Angeklagte nicht als "pervers" hätte gelten wollen, habe er die Bisse nicht einräumen können.

2. Diese Beweiswürdigung weist den Rechtsfehler der Lückenhaftigkeit auf (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387 insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt). Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt, hätte es vor dem Hintergrund, dass dem Kind bereits vor der Tat erhebliche Verletzungen zugefügt worden waren, näherer Darlegung bedurft, warum das Landgericht dem Angeklagten die Bissverletzungen zugerechnet hat. Mit der schon einer tatsächlichen Grundlage entbehrenden Schlussfolgerung des Landgerichts (vgl. BGH StV 2002, 235), die Bissverletzungen seien nur sexuell motiviert zu deuten, genügt es insbesondere angesichts der dargestellten unangemessenen Erziehungsmethoden der Kindesmutter und ihres Lebensgefährten dieser Darlegungspflicht nicht.

Hinzu kommt, dass die Urteilsfeststellungen zahlreiche Beweisanzeichen für einen Alternativtäter aufzeigen, die das Landgericht im Hinblick auf das Gesamtverletzungsbild nicht tragfähig entkräftet hat. So hat das Kind - im Krankenhaus auf die Gesichtsverletzungen angesprochen - "Papa" als den Täter bezeichnet. Dieses auf den Lebensgefährten der Mutter weisende Indiz hat das Landgericht mit der Erwägung, Kleinkinder bezeichneten "häufig alle jungen Männer als Papa", eine den Angeklagten zumindest teilweise entlastende Bedeutung abgesprochen. Bereits die inhaltliche Richtigkeit dieser vom Landgericht seiner Würdigung zugrunde gelegten vermeintlich allgemeinkundigen Wahrscheinlichkeitsbewertung begegnet durchgreifenden Bedenken. Jedenfalls aber hätte es vor dem Hintergrund, dass H. zu einer Verletzung am Mund des Kindes eine sich als falsch erwiesene Erklärung abgegeben und zu der allein mit dem Kind am Tattag verbrachten Zeit ebenfalls widerlegte Angaben gemacht hat, einer vertieften Auseinandersetzung mit den Anzeichen für dessen Täterschaft bedurft (vgl. BVerfG - Kammer - NJW 2003, 2444, 2446). Dabei hätte auch die Vernehmungssituation, in der der Angeklagte nach der direkten Konfrontation mit dem ihm überlegenen H. gegenüber den ohnehin von seiner Täterschaft überzeugten Polizeibeamten, die den "unberechtigten Verdacht von H. abwenden" wollten, ein Geständnis abgegeben hat, näher auf dessen Beweiswert hin erörtert werden müssen. Um dem neuen Tatgericht umfassend neue Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat das Urteil insgesamt auf. Er sieht Anlass, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen. Angesichts des Tatbildes wird die mit der Revision auch begehrte Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen näher zu prüfen sein. 4. Der Antrag des Angeklagten, ihm im Adhäsionsverfahren für die Revisionsinstanz Prozesskostenhilfe zu bewilligen, ist abzulehnen. Es fehlt an der erforderlichen Darlegung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine solche Bewilligung (§ 117 Abs. 2 und 4 ZPO). Ein Hinweis auf diese Sachlage und ein Zuwarten mit der abschließenden Entscheidung war angesichts der Aufhebung des landgerichtlichen Urteils nicht geboten.

Ende der Entscheidung

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