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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.11.2000
Aktenzeichen: 5 StR 150/00
Rechtsgebiete: GVG, StPO


Vorschriften:

GVG § 169 Satz 1
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 338 Nr. 6
StPO § 58 Abs. 1
StPO § 58
StPO § 238 Abs. 1
StPO § 238 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 StR 150/00

vom

7. November 2000

in der Strafsache

gegen

1.

2.

3.

wegen Betruges

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. November 2000 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten S wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. Juni 1999 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch gegen diesen Angeklagten aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten S sowie die Revisionen der Angeklagten K und L gegen das vorgenannte Urteil werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Die Angeklagten K und L haben die Kosten ihrer Revisionen zu tragen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision des Angeklagten S , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Beschwerdeführer jeweils wegen Betruges - die gemeinschaftliche Organisation betrügerischer Kapitalanlagegeschäfte betreffend - zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, hat gegen sie ein fünfjähriges Berufsverbot verhängt und die Angeklagten K und L im Adhäsionsverfahren zu Entschädigungszahlungen verurteilt. Die Revision des Angeklagten S führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruchs. Im übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts merkt der Senat lediglich zu den von den Beschwerdeführern übereinstimmend erhobenen Rügen nach § 338 Nr. 6 StPO folgendes an:

Die Rügen sind jedenfalls unbegründet. Dies gilt auch für den Fall, daß die Strafkammervorsitzende drei Zuhörer - jeweils auf Anregung eines Verteidigers - nicht lediglich gebeten hat, den Sitzungssaal zu verlassen, sondern eine entsprechende Anordnung getroffen hat. Ein den Entscheidungen BGHR § 338 Nr. 6 - Zuhörer 1 und 2 vergleichbarer Sachverhalt liegt nicht vor.

Die Befugnis der Strafkammervorsitzenden, die als Zeugen benannten Zuhörer aus dem Saal zu weisen, folgte hier aus § 238 Abs. 1 in Verbindung mit § 58 Abs. 1 StPO. Nach § 58 Abs. 1 StPO sind Zeugen einzeln und in Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen zu vernehmen. Einem Zeugen soll also bis zu seiner Vernehmung die Anwesenheit im Sitzungssaal verwehrt werden, damit er dann ohne Kenntnis dessen aussagen kann, was zuvor der Angeklagte (vgl. insoweit § 243 Abs. 2, 4 StPO) und andere Beweispersonen bekundet haben (BGHSt 3, 386, 388). Mit § 58 Abs. 1 StPO soll mithin die Beeinflussung von Zeugen durch andere Aussagen, möglicherweise auch durch andere Geschehnisse in der Hauptverhandlung von vornherein unterbunden und so die Ermittlung des "wahren Sachverhalts" gefördert werden.

Für die Anwendung des § 58 StPO ist es unerheblich, ob der betroffene Zuhörer zu diesem Zeitpunkt bereits als Zeuge zur Hauptverhandlung geladen worden ist; ohne Bedeutung bleibt auch, ob er später tatsächlich gehört wird. Es genügt, daß der Zuhörer nach vorläufiger tatrichterlicher Auffassung als Zeuge in Betracht kommt (BGHSt aaO und BGH, Urteil vom 20. August 1982 - 2 StR 278/82 -). Gerade bei umfangreicheren Hauptverhandlungen ist es oftmals angezeigt, vor Ladung von Zeugen zunächst die Einlassung des Angeklagten, eventuell auch die Bekundungen der ersten geladenen Zeugen abzuwarten. Erst auf Grundlage dessen kann vielfach der Fortgang der Beweisaufnahme, insbesondere die Ladung weiterer Zeugen sinnvoll geplant und verfahrensökonomisch gestaltet werden. Darüber hinaus können die übrigen Verfahrensbeteiligten im Laufe der Hauptverhandlung die Vernehmung weiterer, dem Gericht bislang unbekannter, aber im Zuschauerraum anwesender Beweispersonen anregen oder beantragen. In diesen Fällen gestatten Sinn und Zweck des § 58 Abs. 1 StPO, als Zeugen in Betracht kommende Zuhörer schon vor einer endgültigen Entscheidung über ihre Zeugenladung von Amts wegen oder aufgrund eines Beweisantrages oder einer Beweisanregung vorsorglich aus dem Saal zu weisen.

Dabei steht nach § 238 Abs. 1 StPO zunächst dem zuständigen Vorsitzenden bei der Frage, ob ein Zuhörer als Zeuge in Betracht kommt, ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser findet allerdings seine Grenze - kann aber auch erst dann einen für die Revision relevanten Verstoß gegen § 169 Satz 1 GVG begründen -, wenn der Ausschluß eines Zuhörers aufgrund sachwidriger Erwägungen angeordnet wurde. Das wäre etwa der Fall, wenn sich nachweisen ließe, daß der Vorsitzende unliebsame und kritische Zuhörer allein unter dem Vorwand aus der Hauptverhandlung entfernt hat, sie später möglicherweise noch als Zeugen hören zu wollen, solches aber zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch nicht einmal in Betracht gezogen hat.

Anhaltspunkte für solche oder andere sachwidrige Erwägungen sind hier in keiner Weise ersichtlich: Eine aus dem Saal gewiesene Zuhörerin kam als geschiedene Ehefrau eines Mitangeklagten zu dessen persönlichen Verhältnissen, möglicherweise aber auch zu seinen Geschäftspraktiken als Zeugin in Betracht, ein zweiter Zuhörer entsprechend als Verkäufer der Firma, in deren Namen die Betrugstaten begangen wurden. Eine dritte Zuhörerin wurde später tatsächlich auch als Zeugin zur Hauptverhandlung geladen; daß sie dann das Zeugnis berechtigt verweigert hat, ist ohne Bedeutung.

Eine großzügige Anwendung des § 58 Abs. 1 StPO lag vorliegend zudem umso näher, als die Angeklagten sich in diesem Stadium des Verfahrens noch nicht eingelassen hatten und die Strafkammer in Betracht ziehen mußte, die relevanten Tatsachen mit Hilfe anderer Beweismittel einzuführen. Bei einer anderen Vorgehensweise hätte die Strafkammer mögliche Aufklärungsdefizite durch die Beeinflussung der genannten Zuhörer in Kauf genommen; das könnte in Ausnahmefällen sogar mit einer Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) beanstandet werden (vgl. dazu Senge in KK 4. Aufl. § 58 Rdn. 11 m.w.N.).

Im übrigen liegt nahe, daß vor den hier erhobenen Revisionsrügen entsprechende Beanstandungen nach § 238 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung unerläßlich gewesen wären (vgl. zudem zur Frage einer möglichen Verwirkung Basdorf StV 1997, 488, 492).

2. Mit der Sachrüge hat lediglich der Angeklagte S zum Strafausspruch Erfolg. Im übrigen hat die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführer aufgedeckt. Der Senat verweist auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift mit den darin genannten Rechtsprechungsnachweisen. Auch die Wertung, der in der Führungsebene des Unternehmens mit erheblichem finanziellem Gewinn als "Mann fürs Grobe" zu als wesentlich angesehenen Sicherungsaufgaben herangezogene Angeklagte S sei Mittäter und nicht lediglich Gehilfe, liegt im Rahmen des vom Revisionsgericht noch hinzunehmenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (vgl. BGH StV 1998, 540).

3. Der Tatrichter mußte indes bei der Strafzumessung gegen diesen Angeklagten die im Vergleich zu den beiden anderen Mittätern erheblich weniger intensive Art seiner Mitwirkung beachten. Danach hätte dem Angeklagten S der Erschwerungsgrund einer "besonders raffinierten Tatausführung" (UA S. 275) nicht uneingeschränkt angelastet werden dürfen. Durchgreifend bedenklich ist auch eine besondere strafschärfende Berücksichtigung seines spezifischen Tatbeitrags (UA S. 279), ohne den die Wertung mittäterschaftlicher Tatbegehung kaum möglich gewesen wäre. Die einzige - mit einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe nicht etwa auffallend hohe - Vorstrafe des Angeklagten S lag fast 15 Jahre zurück; allein aus dieser rechtfertigte sich das Ergebnis einer gleich hohen Bestrafung wie gegen die zwar unbestraften, aber ungleich tiefer in die Tatbegehung verstrickten Mitangeklagten nicht ohne weiteres.

Den gebotenen Abschlag in der Strafhöhe selbst zu bemessen, ist dem Revisionsgericht versagt; dies obliegt einem neuen Tatrichter. Da die Aufhebung von Feststellungen nicht veranlaßt ist, hat dieser seine Entscheidung im Rahmen neuerlicher Strafrahmenwahl und konkreter Strafzumessung gegen den Angeklagten S auf der Grundlage der bisherigen Urteilsfeststellungen zu treffen; sie sind allenfalls durch weitere nicht widersprüchliche Feststellungen ergänzbar (vgl. auch §§ 46, 51 BZRG).

Ende der Entscheidung

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