Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.10.2007
Aktenzeichen: 5 StR 162/07
Rechtsgebiete: StPO, EStG, AO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
AO § 370
AO § 370 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 StR 162/07

vom 9. Oktober 2007

in der Strafsache

gegen

wegen Steuerhinterziehung

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Oktober 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Dezember 2006 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

1. Der Senat hält die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 2002 geltenden Fassung nicht für verfassungswidrig. Er schließt sich den auch für diese Norm zutreffenden Erwägungen des Bundesfinanzhofs in seiner zum Veranlagungszeitraum 1999 und zur Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ergangenen Entscheidung vom 29. November 2005 (BFHE 211, 330) an. Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG hat der Senat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2007 über die Vorschriften zum automatisierten Kontenabrufverfahren (NJW 2007, 2464) berücksichtigt.

Die vom Beschwerdeführer behauptete Verfassungswidrigkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass das Kontenabrufverfahren (§ 93 Abs. 7, § 93b AO) erst mit Wirkung vom 1. April 2005 durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2928) und damit nach Tatbeendigung in Kraft gesetzt worden ist. Die vom Angeklagten nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Unterlassen begangene Steuerhinterziehung wurde hier am 30. November 2004 beendet, als das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten in dem betreffenden Bezirk für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abschloss (st. Rspr.; BGHSt 47, 138, 145 f. m.w.N.). Maßgeblich für die Frage der Strafbarkeit des Angeklagten ist, dass die den Straftatbestand des § 370 AO ausfüllende Steuernorm des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG, aus der sich der Steueranspruch gegen den Angeklagten ergibt, schon im Jahr 1999 in Kraft getreten und im gesamten Tatzeitraum - bis heute - geltendes Recht war (§ 2 Abs. 1, Abs. 3 StGB). Geltung in diesem Sinne hat jede Vorschrift, solange sie nicht vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden ist (vgl. zur Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung, wenn das Bundesverfassungsgericht lediglich die Unvereinbarkeit einer Steuernorm mit dem Grundgesetz festgestellt hat: BGHSt 47, 138). Daher steht der Bestrafung des Angeklagten auch das strafrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG, § 2 Abs. 1 StGB) nicht entgegen (a. A. Joecks wistra 2006, 401, 404; vgl. auch LG Augsburg wistra 2007, 272, 273). Dies gilt selbst dann, wenn eine temporäre Unvereinbarkeit der Steuernorm des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG mit dem Grundgesetz (vgl. BFHE 211, 330, 337) bestanden haben sollte.

Davon unabhängig ist die Frage, ob bei der nun vorzunehmenden Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der blankettausfüllenden Steuernorm für den Veranlagungszeitraum 2002 - im Hinblick auf die Beseitigung des für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 festgestellten gleichheitswidrigen strukturellen Vollzugsdefizits (BVerfGE 110, 94 zu § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG a.F.) - die rückbezügliche Anwendbarkeit des am 1. April 2005 in Kraft getretenen Kontenabrufverfahrens in den Blick genommen werden darf. Dies ist zu bejahen. Auch insoweit schließt sich der Senat der Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFHE 211, 330, 336 f.) an.

2. Die Urteilsfeststellungen belegen auch den Tatvorsatz des Angeklagten. Die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte, der auch seine sonstigen Einkünfte nicht erklärte, habe sich nicht in einem Irrtum über die Steuerpflichtigkeit von Spekulationsgewinnen befunden, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Der Schluss der Strafkammer, der Angeklagte habe seine Einkünfte deswegen nicht gegenüber den Finanzbehörden erklärt, weil er in keinem Fall seine Gewinne mit dem Fiskus teilen wollte, beruht auf einer tragfähigen Beweisgrundlage. Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob die Erwartung, das Bundesverfassungsgericht werde eine Steuernorm für nichtig erklären, einen strafrechtlich relevanten Irrtum darstellen kann, hat daher für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung.

Diese Frage wäre auch zu verneinen, da eine solche Erwartung weder schutzbedürftig noch schutzwürdig ist (vgl. auch Allgayer wistra 2007, 133, 134). Andernfalls würde dem Steuerpflichtigen eine Verwerfungskompetenz für Rechtsnormen eingeräumt, die nur dem Bundesverfassungsgericht zukommt (vgl. Art. 100 Abs. 1 GG). Dem Steuerpflichtigen, der Steuernormen für verfassungswidrig hält, ist zuzumuten, in seinen Steuererklärungen wahrheitsgemäße und vollständige Angaben zu machen. Er hat dann die Möglichkeit, - gegebenenfalls verbunden mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 FGO) - gegen die auf seine Angaben hin ergangenen Steuerbescheide Einspruch einzulegen sowie anschließend Klage zu erheben und dabei die Verfassungswidrigkeit der Normen geltend zu machen.

Ende der Entscheidung

Zurück