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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.06.2008
Aktenzeichen: 5 StR 169/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 StR 169/08

vom 9. Juni 2008

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 14. Januar 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Jugendschutzkammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im Übrigen - wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 108 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen berührte der Angeklagte, der Stiefgroßvater der am 21. Juli 1991 geborenen Nebenklägerin, diese unter der Bekleidung im Brust- und Genitalbereich. Zwischen dem 21. Juli 2003 und dem 20. Juli 2005 ereignete sich dies mindestens zweimal jede zweite Woche im Zimmer der Nebenklägerin, als der Angeklagte mit ihr im Bett lag. Zwischen dem 21. Juli 2003 und dem 31. März 2004 kam es in vier Fällen anlässlich eines gemeinsamen Mittagsschlafes in der Wohnung des Angeklagten zu solchen Berührungen.

Auf die Sachrüge hält die Verurteilung revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt: "1. Den Urteilsfeststellungen kann nicht entnommen werden, anhand welcher Anknüpfungspunkte im Beweisergebnis sich das Landgericht vom Beginn der Missbrauchsserie und von der Anzahl der festgestellten Taten überzeugt hat. Um eine bestimmte Anzahl von Straftaten einer in allem gleichförmig verlaufenden Serie sexueller Missbrauchshandlungen an Kindern festzustellen, bedarf es zwar nicht stets einer Konkretisierung nach genauer Tatzeit und exaktem Geschehensverlauf. Der Richter muss aber darlegen, aus welchen Gründen er die Überzeugung gerade von dieser Mindestzahl von Straftaten gewonnen hat (vgl. BGHSt 42, 107, 109 f.; Senat, Beschluss vom 5. März 2008 - 5 StR 611/07 -). Daran gemessen begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich in 108 Fällen an der Nebenklägerin vergangen, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat zwei Taten pro Woche angenommen, ist zu Gunsten des Angeklagten lediglich jede zweite Woche von Übergriffen ausgegangen und hat die Anzahl der Taten anhand der Zahl der Kalenderwochen berechnet (vgl. UA S. 15). Die Annahme von zwei Taten pro Woche steht jedoch im Widerspruch zu den Angaben der Nebenklägerin und ihrer Mutter, der Angeklagte sei einmal pro Woche oder öfter in ihre Wohnung gekommen. Ein Beleg dafür, warum das Landgericht den Beginn der Missbrauchsserie auf den 12. Geburtstag der Nebenklägerin datiert hat, findet sich in den Urteilsfeststellungen ebenso wenig wie Angaben über mögliche Unterbrechungen wegen Urlaubs - sowohl der Familie der Nebenklägerin als auch der des Angeklagten - oder in Ferienzeiten. Dies lässt besorgen, dass sich das Landgericht rechtsfehlerhaft keine Überzeugung von jeder einzelnen Tat verschafft, sondern im Wege der Schätzung die Zahl der abzuurteilenden Straftaten ohne zureichende Tatsachengrundlage festgelegt hat. 2. Weitere Bedenken ergeben sich in Bezug auf die erforderliche Individualisierung der festgestellten Taten. Den Urteilsfeststellungen lassen sich über ein schematisiertes sexuelles Kerngeschehen (Berühren unterhalb der Nachtwäsche im Brust- und Genitalbereich) hinaus keine konkreten Tatumstände entnehmen. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des die Tat bestreitenden Angeklagten auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt und diese deshalb für glaubhaft erachtet, weil sie ,detailliert über die Vorfälle mit dem Angeklagten' berichtet habe (vgl. UA S. 6). Dies findet in der kargen Darstellung des Tatgeschehens indes keine Stütze. ... 3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält auch unter Berücksichtigung der besonderen Konstellation ,Aussage gegen Aussage' sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand. Steht Aussage gegen Aussage und hängt die Entscheidung allein davon ab, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr., vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 14; § 267 Abs. 1 Satz 1 Beweisergebnis 8; BGH, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 3 StR 28/00 -). Zudem ist in besonderem Maße eine ,Gesamtwürdigung' aller Indizien geboten (vgl. BGHR StPO § 261 Indizien 2, Beweiswürdigung 14; BGH, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 3 StR 28/00 -). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Es fehlt bereits an einer geschlossenen Darstellung der Angaben der Nebenklägerin in ihrer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung. Diese war nicht entbehrlich, weil das Landgericht auf UA S. 8 mitteilt, dass die Geschädigte im Verlauf der Hauptverhandlung Unsicherheiten und Erinnerungslücken erst durch Vorhalt der damaligen Angaben zu überwinden vermocht hat. Auch die Feststellungen in Bezug auf die Aussageentstehung lassen eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht zu. Dazu hätte es der detaillierten Mitteilung bedurft, welche Angaben die Nebenklägerin sowohl gegenüber ihren Eltern am 12. März 2006 als auch gegenüber der Zeugin H. anlässlich des Beratungsgesprächs gemacht hat. Den Urteilsfeststellungen ist lediglich zu entnehmen, dass die Nebenklägerin angegeben habe, ihren Eltern am 12. März 2006 von dem Vorfall berichtet zu haben (vgl. UA S. 7); anschließend fand eine innerfamiliäre Aussprache über den Vorfall statt (vgl. UA S. 8). Deshalb und vor dem Hintergrund, dass die Mutter der Nebenklägerin ihrerseits den Angeklagten des Missbrauchs bezichtigt und ihrer Tochter davon berichtet hat, hätte sich das Landgericht ausführlich damit ausein-andersetzen müssen, warum die Geschädigte sieben Monate später bei der Staatsanwaltschaft zusätzlich zum Vorfall am 12. März 2006 Angaben über eine Missbrauchsserie gemacht hat." Dem schließt sich der Senat an. Er sieht Anlass, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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