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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.10.2008
Aktenzeichen: 5 StR 206/08
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 34
StPO § 154
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 StR 206/08

vom 16. Oktober 2008

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Oktober 2008, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter Basdorf, Richter Dr. Raum, Richter Dr. Brause, Richter Schaal, Richter Dölp als beisitzende Richter,

Richterin am Amtsgericht als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt E. als Verteidiger,

Rechtsanwältin S. als Vertreterin der Nebenklägerin,

Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. Januar 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung freigesprochen. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Nebenklägerin. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, da die Beweiswürdigung des Landgerichts Rechtsfehler aufweist. Auf die Verfahrensrüge kommt es nicht mehr an. 1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: a) Der Angeklagte und die an einer paranoiden Schizophrenie leidende Nebenklägerin waren seit längerer Zeit miteinander bekannt. Am Nachmittag des 24. August 2003 verabredeten sie sich zu einem Treffen in einem Lokal. Von dort fuhr die Nebenklägerin, bei der zu diesem Zeitpunkt keine akute psychotische Symptomatik bestand, in ihre Wohnung zurück, wo kurze Zeit darauf auch der Angeklagte eintraf. Was sich in der Wohnung sodann ereignete, konnte das Landgericht nicht sicher feststellen. Die Nebenklägerin begab sich am späten Nachmittag oder frühen Abend zu ihrer Mutter. Dabei trug sie keine Unterhose und wies eine Schwellung des linken Unterkiefers und ein Hämatom am rechten Jochbein auf. Sie spülte sich den Mund aus und beschuldigte den Angeklagten, sie vergewaltigt zu haben. b) Der Angeklagte hat den Tatvorwurf der Vergewaltigung bestritten. Nach seiner Einlassung habe die Nebenklägerin ihm in der Wohnung ihre Liebe gestanden und bei geöffnetem Fenster gedroht, hinauszuspringen. Er habe ihr einen kräftigen Schlag in das Gesicht versetzt, damit sie "wieder normal" werde. Er sei kurz darauf weggegangen. Diese Einlassung hat das Landgericht nicht zu widerlegen vermocht und den Angeklagten hinsichtlich der vorsätzlichen Körperverletzung unter Anwendung des § 34 StGB freigesprochen. Die Nebenklägerin hat den Angeklagten im Sinne des Anklagevorwurfs belastet. Nach ihren Angaben habe er sie mit einem Schraubendreher bedroht, mit dem Kopf auf den Boden geschlagen und sie auf diese Weise gezwungen, sein Glied in den Mund zu nehmen und an seinen Brustwarzen zu lecken. Er habe aber keine Erektion bekommen, woran auch der anschließende Versuch des Vaginalverkehrs gescheitert sei. Mit der psychiatrischen Sachverständigen geht das Landgericht davon aus, dass die Nebenklägerin uneingeschränkt aussagetüchtig und ihre Wahrnehmungsfähigkeit am Tattag nicht beeinträchtigt gewesen sei. Entgegen der zudem hinzugezogenen psychologischen Gutachterin ist es von zahlreichen Widersprüchen und mehrfacher Inkonstanz in den Aussagen der Nebenklägerin ausgegangen und hat diese deswegen für nicht glaubhaft erachtet. 2. Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt allein dem Tatrichter. Spricht er einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist das durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, namentlich wesentliche rechtsfehlerfrei festgestellte Umstände nicht erörtert werden, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH NJW 2006, 925, 928, insoweit nicht in BGHSt 50, 299 abgedruckt; BGH, Urteil vom 28. August 2007 - 5 StR 31/07 Rdn. 23). So liegt es hier: a) Die Freisprechung vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung hat keinen Bestand. Es begegnet durchgreifenden Bedenken, dass das Landgericht die Art der ärztlich festgestellten Verletzungen der Nebenklägerin nicht näher bewertet hat. Sofern es darauf abstellt, diese seien als Folge des von dem Angeklagten geschilderten Geschehensablaufs denkbar, entbehrt diese Erwägung einer nachvollziehbaren Grundlage. Denn es erschließt sich nicht, wie ein einzelner kräftiger Schlag zu Verletzungen sowohl in der linken unteren als auch in der rechten mittleren Gesichtsregion führen kann. b) Der Senat kann nicht ausschließen, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen - mit der Einlassung des Angeklagten nicht in Übereinstimmung zu bringenden, hingegen nach der Version der Nebenklägerin ohne weiteres möglichen - Verletzungsfolgen für die Überzeugungsbildung auch im Übrigen hätte bedeutsam werden können. Dies gilt insbesondere, weil sich das Landgericht mit festgestellten Aspekten des Nachtatverhaltens und deren Darstellung durch die Nebenklägerin nicht ausreichend auseinandergesetzt hat. Zwar erkennt es, dass der Umstand, dass die Nebenklägerin unmittelbar nach dem Geschehen in ihrer Wohnung ohne Unterhose bei der Mutter erschienen war und sich den Mund ausgespült hatte, nicht ohne Beweisbedeutung für die Würdigung ihrer Schilderung eines Sexualdelikts sein könnte. Diese Bedeutung meint es jedoch mit dem Hinweis auf eine intentionale Falschbezichtigung entkräften zu können. Dabei nimmt es nicht in den Blick, dass die Nebenklägerin den - sogar festgestellten - Umstand der fehlenden Wäsche erstmals, zudem auf Vorhalt in der Hauptverhandlung, mithin über vier Jahre nach der Tat und der Strafanzeige, bekundet hat. Inwieweit sich die späte Bekundung dieses Vorgangs durch die Nebenklägerin mit der Annahme des Landgerichts in Übereinstimmung bringen lässt, die Auffälligkeiten nach dem behaupteten Tatgeschehen seien mit einer Falschbezichtigung zu erklären, also Teil eines geplanten Vorgehens zur Untermauerung einer unwahren Schilderung, bleibt unerklärt. 3. Sollte sich das neue Tatgericht von der Schuld des Angeklagten überzeugen können, was angesichts der für die Sachaufklärung schwierigen Verdrängungshaltung der Nebenklägerin auf besondere Probleme stoßen dürfte, wird es den Zeitabstand zwischen der Tat und der Anklage einerseits und dem Beginn der Hauptverhandlung andererseits zu beachten und unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Gebots der zügigen Verfahrenserledigung zu würdigen haben (vgl. hierzu BGHSt [GS] 52, 124). Insbesondere sofern nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung nicht mehr als eine Verurteilung wegen Körperverletzung in Betracht kommen sollte, wird die Anwendung des § 154 StPO im Blick auf die gravierende Nachverurteilung des Angeklagten nahe liegen.

Ende der Entscheidung

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