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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.08.2001
Aktenzeichen: 5 StR 260/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 261 | |
StGB § 63 | |
StGB § 21 | |
StGB § 50 | |
StGB § 20 | |
StGB § 49 Abs. 1 | |
StGB § 47 Abs. 2 | |
StGB § 303 Abs. 1 | |
StGB § 306 Abs. 2 | |
StGB § 67b Abs. 1 Satz 2 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
22. August 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Brandstiftung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. August 2001, an der teilgenommen haben:
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Oktober 2000
a) im Schuldspruch dahin klargestellt, daß der Angeklagte der Brandstiftung in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, und der Sachbeschädigung in drei Fällen schuldig ist,
b) in den sechs Einzelstrafaussprüchen wegen Brandstiftung (Fälle C I, II, V, VI, VII und IX der Urteilsgründe) und im Gesamtstrafausspruch aufgehoben; damit entfällt der Ausspruch über die Aussetzung der Vollstreckung von Strafe und Maßregel.
1. Die weitergehende Revision wird verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "sechsfacher" Brandstiftung, in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, und wegen "dreifacher" Sachbeschädigung zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, seine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung von Strafe und Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Das Urteil wird von der Staatsanwaltschaft mit der auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision angefochten.
1. Die auf Verletzung des § 261 StPO gestützte Verfahrensrüge kann in der Sache keinen Erfolg haben. Ob sie ausreichend begründet ist (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) und ob im Erfolgsfall die erklärte Rechtsmittelbeschränkung als wirksam angesehen werden könnte, bedarf danach keiner Vertiefung. Sachlichrechtliche Einwände mit dem identischen Ansatz bleiben gleichfalls erfolglos. Es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß die Strafkammer die dem Urteil zugrundegelegten Erkenntnisse nicht aufgrund des Inbegriffs der Hauptverhandlung gewonnen und den Rechtsfolgenausspruch nicht aus dessen Bewertung, sondern aufgrund einer angenommenen Selbstbindung nach einer mangels Einbeziehung der Staatsanwaltschaft letztlich gescheiterten Absprache getroffen hat.
Eine Verständigung im Sinne von BGHSt 43, 195 hat nicht stattgefunden. Daß die Strafkammer in der Hauptverhandlung offen die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollstreckung der von der Staatsanwaltschaft angestrebten Maßregel nach § 63 StGB in Aussicht genommen hat, war nach dem Inhalt des ersten vorbereitenden Sachverständigengutachtens, auf das sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift im Sicherungsverfahren selbst gestützt hatte, verständlich und sachgerecht. Aber auch nach Überleitung des Sicherungsverfahrens in das Strafverfahren war aufgrund der psychischen Situation des Angeklagten das entsprechende Bestreben, auch bezogen auf eine Strafe neben der weiterhin in Aussicht genommenen Maßregel, unverändert sachgerecht; dies ergab sich schon aus dem vorbereitenden Gutachten des weiteren medizinischen Sachverständigen, der bei abweichender Beurteilung der Schuldunfähigkeit eine Vollstreckungsaussetzung ebenfalls für erwägenswert gehalten hatte. Es war daher auch angezeigt, die Hauptverhandlung auf Fragen im Zusammenhang mit Weisungen für die erwogene Vollstreckungsaussetzung zu erstrecken. Die Staatsanwaltschaft hat auch nicht etwa vorgetragen, daß sie dieser inhaltlichen Ausgestaltung der Hauptverhandlung widersprochen oder die jetzt mit der Revision gerügte Verfahrensweise der Strafkammer wegen deren deutlich offenbarter Zielrichtung hinsichtlich der zu verhängenden Rechtsfolgen mit Sachanträgen in der Hauptverhandlung beanstandet hätte.
Selbstverständlich hing die Frage der Aussetzbarkeit von Strafe und Maßregel davon ab, ob das Maß der Schuld des Angeklagten die Verhängung einer aussetzungsfähigen Strafe erlaubte und ob das Ausmaß seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit überhaupt eine Aussetzung der Maßregelvollstreckung zuließ. Daß die Strafkammer nicht bereit gewesen wäre, diese Fragen in der abschließenden Urteilsberatung nach dem Inbegriff der Hauptverhandlung erneut umfassend und - auch unter Berücksichtigung der Argumente im Schlußvortrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft - nunmehr abschließend verbindlich zu prüfen - gegebenenfalls nach abweichender Beurteilung gegenüber dem bislang in Aussicht genommenen Vorgehen noch einen Hinweis an den Angeklagten zu erteilen -, sondern daß sie sich unzutreffend als gebunden betrachtet hätte, ist nicht ersichtlich. Dies gilt trotz der weitgehend überflüssigen Ausführungen in dem - ohnehin teilweise ausschweifend abgefaßten, aber deshalb noch nicht rechtsfehlerhaften - Urteil der Strafkammer zu ihrer Enttäuschung über eine letztlich überraschende abweichende Bewertung der angemessenen und zulässigen Rechtsfolgen durch den Staatsanwalt. Eine erhoffte, letztlich gescheiterte Verständigung belegt nicht, daß die Strafkammer sich bei ihrer Entscheidungsfindung gleichwohl an deren Inhalt und nicht an der Verpflichtung aus § 261 StPO orientiert hätte, auch wenn das Urteil im Ergebnis der vom Gericht erstrebten Verständigung entspricht (vgl. BGHSt 42, 46, 50; BGH, Urteil vom 23. März 2001 - 2 StR 369/00 -).
2. Der Revision ist mit der Sachrüge ein Teilerfolg nicht zu versagen.
a) Der Schuldspruch ist nicht angefochten. Gleichwohl stellt ihn der Senat wegen seiner mißverständlichen, teils auf gleichartige Idealkonkurrenz hindeutenden Fassung klar.
b) Der Maßregelausspruch hat Bestand. Das Landgericht hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der Angeklagte sämtliche Taten zweifelsfrei mit erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit infolge Schwachsinns begangen hat. Soweit das Landgericht meint, die Voraussetzungen des § 21 StGB seien nicht bereits aufgrund des auf einen geburtstraumatischen Hirnschaden zurückgehenden Dauerzustandes der geistigen Behinderung und Entwicklungsverzögerung erfüllt, sondern erst aufgrund einer jeweils hinzutretenden mittelgradigen Alkoholisierung, begegnet dies - auch wenn es im Einklang mit der Beurteilung durch den medizinischen Sachverständigen stehen sollte - angesichts der überaus ausführlichen, gleichwohl anschaulichen Beschreibung des geistig-seelischen Dauerzustandes des Angeklagten zu den Tatzeiten ganz erheblichen Bedenken, auf die es jedoch aus Rechtsgründen nicht ankommt. Ein Ausschluß der Schuldfähigkeit bei Begehung der Taten ist nämlich rechtsfehlerfrei ausgeschlossen; die jeweils hinzutretende Alkoholisierung geht wegen der zustandsbedingten mangelhaften Alkoholverträglichkeit des Angeklagten und seines gleichwohl gänzlich unkritischen Alkoholkonsumverhaltens, das ebenfalls auf seinen dauerhaften geistigen Defekten beruht, auf den Dauerzustand zurück (vgl. auch BGHSt 44, 369). Der von § 63 StGB geforderte Zustand ist damit zweifelsfrei belegt, ebenso die zustandsbedingte Gefahr, daß der Angeklagte zukünftig gleichartige - und damit gemeingefährliche - Taten wie die abgeurteilten begehen wird.
c) Soweit die Staatsanwaltschaft mit eigenen Wertungen die tatrichterliche Strafzumessung angreift, kann sie im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben. Rechtsfehler durch Lückenhaftigkeit oder Fehlbewertungen läßt die Begründung der tatrichterlichen Strafzumessung nicht erkennen. Die aus dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB geminderten Strafrahmen des § 303 Abs. 1 StGB gebildeten Einzelstrafen für die drei Sachbeschädigungen sind demgemäß rechtsfehlerfrei.
d) Zutreffend wendet sich die Staatsanwaltschaft allerdings gegen die Strafrahmenfindung bei den sechs Brandstiftungen. Das Landgericht hat jeweils minder schwere Fälle nach § 306 Abs. 2 StGB angenommen und diesen Strafrahmen nochmals nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB herabgesetzt. Die Begründung für die doppelte Strafrahmenverschiebung erweist sich nicht als tragfähig.
Der Tatrichter hat nicht verkannt, daß in allen diesen Fällen - bis auf den leichtesten Fall C VI, bei dem er die Frage indes offen gelassen hat - das erhebliche objektive Gewicht der Taten nach ihrer Gemeingefährlichkeit, nach dem Ausmaß der Brandschäden und einer Begehungsweise, die jeweils hohe kriminelle Intensität bewies, gegen die Annahme minder schwerer Fälle spricht. Daß das Landgericht aufgrund der massiven psychischen Defekte des Angeklagten gleichwohl minder schwere Fälle bejaht hat, ist für sich noch nicht rechtsfehlerhaft. Indes kam danach eine nochmalige Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht in Betracht; § 50 StGB stand ihr entgegen (vgl. auch BGHR StGB § 50 - Mehrfachmilderung 2). Der Tatrichter versucht sie dadurch zu rechtfertigen, daß der Zustand des § 21 StGB letztlich jeweils auf die aktuelle Alkoholisierung des Angeklagten zurückgegangen sei. Abgesehen davon, daß dies, wie ausgeführt, für sich bedenklich ist, wird damit der bei der Erörterung zu § 63 StGB dargelegte untrennbare Zusammenhang zwischen dem psychischen Dauerdefekt des Angeklagten und seiner jeweiligen Alkoholisierung verkannt. Zudem vermögen die von der Staatsanwaltschaft mit Recht kritisierten Ausführungen des Landgerichts zum Jugendgerichtsgesetz - mit denen dem zustandsbedingt gehemmten Entwicklungsstand des Angeklagten zu den Tatzeiten Rechnung getragen werden soll - nicht, diesen Entwicklungsrückstand von den biologischen Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB, die ihn allein bedingen, zu separieren und hierin eine von § 21 StGB unabhängige Rechtfertigung für die Annahme minder schwerer Fälle zu finden.
Der Senat kann nicht sicher ausschließen, daß die Strafkammer ohne die rechtsfehlerhafte Begründung der Strafrahmenwahl im Fall C VI keine doppelte Strafrahmenverschiebung vorgenommen hätte, so nicht über § 47 Abs. 2 StGB zur Verhängung einer Einzelgeldstrafe hätte gelangen können und daß sie in den übrigen fünf Fällen aus dem nicht weiter gemilderten Strafrahmen des § 306 Abs. 2 StGB höhere Einzelstrafen als die bisherigen, zwischen acht Monaten und einem Jahr Freiheitsstrafe bemessenen verhängt hätte.
e) Die Aufhebung von sechs Einzelstrafen zieht die der Gesamtstrafe nach sich; dies entzieht der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe, gemäß § 67b Abs. 1 Satz 2 StGB auch der Maßregel, die Grundlage. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem die Aufhebung bedingenden Wertungsfehler nicht. Der neue Tatrichter hat die ihm obliegenden Entscheidungen zur Strafhöhe, gegebenenfalls erneut zur Aussetzung der Vollstreckung jeweils auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen zu treffen, die lediglich durch neue widerspruchsfreie ergänzbar sind. Der neue Tatrichter wird sich wieder der Hilfe eines psychiatrischen Sachverständigen bedienen müssen, insbesondere auch im Zusammenhang mit den wesentlichen Erkenntnissen zur weiteren Entwicklung des Angeklagten seit dem ersten Urteil.
Der Senat weist darauf hin, daß trotz der erheblichen Gefährlichkeit der abgeurteilten Taten im Blick auf das jugendliche Alter des Angeklagten und auf seinen Zustand die bisherige Begründung der Vollstreckungsaussetzung für sich keinen rechtlichen Bedenken begegnet (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - 4 StR 154/01 -). Aus Verhältnismäßigkeitsgründen wird bei dem jungen Angeklagten auch bei Verhängung einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe in absehbarer Zeit (vgl. auch § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB) nach der Möglichkeit von im Vergleich zum Maßregelvollzug milderen, seine Gemeingefährlichkeit gleichwohl ausreichend mindernden Einbindungsmöglichkeiten zu suchen sein. Deren hinreichende Stabilität wäre dann innerhalb mehrjähriger Dauer von Führungsaufsicht und Bewährungszeit kritisch zu überprüfen.
Ende der Entscheidung
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