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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.07.2000
Aktenzeichen: 5 StR 274/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 StR 274/00

vom

19. Juli 2000

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juli 2000 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. November 1999 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

I.

Opfer der vier dem Angeklagten vorgeworfenen Taten war dessen Ehefrau, die Nebenklägerin. Das Landgericht hat auch den - zur Zeit der Taten 15jährigen und während der Hauptverhandlung 17jährigen - Sohn der Nebenklägerin aus deren erster Ehe, den Zeugen B vernommen. Dieser ist mit dem Angeklagten in gerader Linie verschwägert (§ 1590 Abs. 1 BGB), daher nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt und war nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO über dieses Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren. Eine solche Belehrung ist unterblieben, wie das Protokoll beweist (§ 274 Satz 1 StPO). Die Beweiskraft des Protokolls entfällt hier (anders als in dem durch den Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 2. Mai 2000 - 1 StR 62/00 - entschiedenen Fall) nicht etwa wegen eines offensichtlichen Mangels, zumal da das Protokoll ausweist, daß der Zeuge sich als "mit dem Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert" bezeichnet hat, was - für sich genommen - mit der Nichtbelehrung des Zeugen korrespondiert.

II.

Das Unterbleiben der genannten Belehrung ist ein Rechtsfehler, der regelmäßig zur Begründung der Revision geeignet ist.

Daß der Zeuge - wie vorstehend beschrieben - sich selbst als "mit dem Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert" bezeichnet hat, mag den Irrtum des Landgerichts erläutern, ist aber ohne rechtliche Bedeutung, weil es auf die Kenntnis des Gerichts von dem bestehenden Angehörigenverhältnis nicht ankommt (BGH StV 1988, 89, 90).

III.

Es ist nicht auszuschließen, daß das Urteil in allen vier Fällen auf dem genannten Rechtsfehler beruht.

1. Das Landgericht hat seine Überzeugung von den Taten des Angeklagten in den Fällen 1, 3 und 4 ausdrücklich auch auf die Angaben des Zeugen B gestützt (UA S. 10, 15, 16). Wegen des in der familiären Situation gelegenen Zusammenhangs aller vier Fälle und des unmittelbaren zeitlichen Übergangs zwischen den Fällen 1 und 2 vermag der Senat nicht auszuschließen, daß auch die Verurteilung im Fall 2 auf der fehlerbehafteten Vernehmung des Zeugen B beruht.

2. Allerdings kann ein Beruhen des Urteils auf dem Unterbleiben der gebotenen Belehrung des zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen dann ausgeschlossen werden, wenn davon auszugehen ist, daß der Zeuge auch nach Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht ausgesagt hätte (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 52 Rdn. 34). Solches kann sich, wenn nicht gar schon aus früheren Belehrungen des Zeugen (RG JW 1934, 2914), insbesondere aus dem bisherigen Prozeßverhalten des zur Zeugnisverweigerung Berechtigten (BGH, Beschluß vom 25. Oktober 1993 - 5 StR 569/93 - ) oder aus dem ersichtlichen Interesse des Zeugen am Gang des Verfahrens (BGH NJW 1986, 2121, 2122) ergeben. Bei alledem kann - außer auf das angefochtene Urteil - auch auf den Akteninhalt zurückgegriffen werden (BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 - Verletzung 3 und 5; BGH NJW 1986, 2121, 2122). Indes findet dieser Rückgriff auf den Akteninhalt seine Grenze mit der Urteilsverkündung in der Weise, daß grundsätzlich nur auf die Urteilsgründe und den bis zum Urteil entstandenen Akteninhalt zurückgegriffen werden kann. Deshalb müssen "nachträgliche", insbesondere auf eine Verfahrensrüge hin erfolgte Erklärungen außer Betracht bleiben (BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 - Verletzung 3). Danach kann hier die erst während des Revisionsverfahrens abgegebene Erklärung des Vertreters der Nebenklägerin über die Intentionen des Zeugen B und dessen Kenntnis von dem ihm zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht keine Beachtung finden. Der mithin allein als verwertbar verbleibende Umstand, daß der Vertreter der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung die Vernehmung des Zeugen beantragt hat, vermag nicht die Überzeugung des Senats zu begründen, daß der Zeuge auch nach ordnungsgemäßer Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht ausgesagt hätte.



Ende der Entscheidung

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