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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.09.2008
Aktenzeichen: 5 StR 276/08
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 4 | |
StPO § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 17. September 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. September 2008
beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 31. Januar 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, die Vollstreckung der Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte wohnte wie auch die Nebenklägerin J. M. in einer Jugendhilfeeinrichtung. Am Mittwoch, dem 21. Juni 2006, waren beide dort allein. Auf Aufforderung des Angeklagten begab sich die Nebenklägerin in sein Zimmer. Er verlangte, dass sie sich ausziehen und auf das Bett legen solle. Die Nebenklägerin, die keine Möglichkeit zur Gegenwehr sah, kam dem nach. Der Angeklagte legte sich auf sie, drückte sie mit seinem Körpergewicht nieder und hielt sie an den Handgelenken fest. Sodann führte er mit ihr den Geschlechtsverkehr durch, während die Nebenklägerin mehrmals ihren Widerwillen äußerte und versuchte, sich wegzudrehen. Am Montag darauf berichtete sie u. a. ihren Freundinnen, einer Lehrerin und einer Erzieherin von dem Vorfall. 2. Der Angeklagte hat den Vorwurf bestritten und erklärt, es habe an einem Mittwoch oder Donnerstag in seinem Zimmer einverständliche sexuelle Handlungen mit der Nebenklägerin gegeben. Zum Geschlechtsverkehr sei es dabei nicht gekommen. Er sei nicht in J. verliebt, daher habe er auch nicht ihre Nähe gesucht, als er aus dem darauf folgenden Wochenende zurückgekehrt sei. Soweit der Angeklagte die Vorwürfe bestreitet, stützt sich das Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf die Angaben der Nebenklägerin, die es abweichend von der Glaubhaftigkeitssachverständigen für erlebnisfundiert und daher glaubhaft erachtet hat. Die Sachverständige hat - soweit dies den Urteilsgründen entnommen werden kann - unter Hinweis auf die Detailarmut der Angaben und gewissen Schwankungen zur räumlichen und zeitlichen Zuordnung die Erlebnisbezogenheit der Aussagen nicht feststellen können. Eine Falschbezichtigung oder suggestive Fremdeinflüsse hat sie nicht ausschließen, jedoch auch die Unwahrheit der Angaben nicht feststellen können. Letztlich kann dieser Darstellung entnommen werden, dass die Sachverständige die bei der gebotenen Vorgehensweise (vgl. BGHSt 45, 164, 168 m.w.N.) zu bildende Hypothese, die Aussage sei unwahr, als nicht widerlegt angesehen hat. Auf der Grundlage dieser als insgesamt überzeugend und nachvollziehbar erachteten Ausführungen der Sachverständigen hat das Landgericht sich dennoch die Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin verschafft. Sein abweichendes Ergebnis der Bewertung hat es auf die Konstanz der Angaben und auf weitere, in der Hauptverhandlung zu Tage getretene Anhaltspunkte - insoweit über "aussagepsychologische Mittel" hinausgehend -, die für die Richtigkeit der belastenden Angaben sprechen, gestützt, wie z. B. das Aussageverhalten der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung, ihre Erschütterung und ihr "offensichtliches Leiden".
3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist Rechtsfehler auf (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt). Die Darlegungen, mit denen das Landgericht seine Überzeugung für das Revisionsgericht nachvollziehbar zu begründen sucht, sind lückenhaft und wecken die Besorgnis, dass es einen rechtlich unzutreffenden Maßstab seiner Überzeugungsbildung zugrunde gelegt hat.
a) Es begegnet schon Bedenken, dass das Landgericht nicht ersichtlich bedacht hat, dass die Detailarmut der Angaben der Nebenklägerin Auswirkungen auf die Aussagekraft des Konstanzkriteriums für die Bewertung der Glaubhaftigkeit einer Aussage haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1999 - 4 StR 370/99, insoweit in NStZ 2000, 217 nicht abgedruckt). Jedenfalls aber entbehrt die Würdigung des Landgerichts, die belastenden Angaben der Nebenklägerin seien "hinreichend konstant", einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Tatsachengrundlage, da die Anknüpfungspunkte für diese Bewertung nicht mitgeteilt werden. Die Urteilsgründe enthalten weder eine geschlossene Darstellung der Angaben der Nebenklägerin noch eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der durch zahlreiche Befragungen vor der ersten polizeilichen Vernehmung gekennzeichneten Aussageentwicklung.
Schon im Hinblick auf die von der Sachverständigen geltend gemachten Schwankungen im Aussageverhalten - die das Landgericht hinsichtlich der zeitlichen Einordnung ohne weitere Erörterung in Abrede stellt - durfte auf eine zusammenfassende Wiedergabe der Angaben der Nebenklägerin nicht verzichtet werden. Denn ohne diese ist nicht nachvollziehbar, ob und inwieweit Inkonstanz vorliegt - wofür freilich die Bewertung als "hinreichend konstant" spricht - und welche Bedeutung dem zukommt.
Insbesondere fehlt es an einer Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der ersten offenbarenden Angaben der Nebenklägerin gegenüber ihrer Freundin. Das Landgericht beschränkt sich auf die Feststellung, dass sie "davon" erzählt habe. Zu einer ausführlicheren Darlegung hätte aber auch deswegen Anlass bestanden, weil sich die dürftigen Erkenntnisse zu den folgenden Angaben der Nebenklägerin nicht ohne weiteres mit dem festgestellten Tatgeschehen in Übereinstimmung bringen lassen. So hat die Nebenklägerin gegenüber ihrer Beratungslehrerin angegeben, der Angeklagte habe sie in seinem Zimmer "angefasst und überwältigt". Einer weiteren Freundin hat sie am gleichen Tag berichtet, der Angeklagte habe "versucht bei ihr einzudringen", sie habe "probiert ihn wegzudrängen, danach sei sie wieder in ihr Zimmer gegangen". Die hierin liegende Abweichung vom festgestellten vollzogenen Geschlechtsverkehr lässt das Landgericht unerörtert.
In diesem Zusammenhang durfte das Landgericht die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin auch nicht darauf stützen, dass sie selbst eine Beeinflussung durch diese Freundin ausgeschlossen hat. Dies lässt besorgen, das Landgericht habe zur Prüfung der Glaubhaftigkeit die zu überprüfenden Angaben als wahr unterstellt, was jedoch zirkelschlüssig wäre.
b) Aber auch die übrigen Erwägungen, mit denen das Landgericht eine von der Sachverständigen abweichende Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin zu begründen sucht, sind nicht frei von Rechtsfehlern.
aa) So fehlt es an der Wiedergabe der Stellungnahme der Sachverständigen zu den Gesichtspunkten, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt. Dies wäre aber erforderlich gewesen, da das Gericht eine schwierige Frage, zu der es den Rat eines Sachverständigen in Anspruch genommen hat, abweichend von dem Gutachten gelöst hat (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5 und 9). Diese Darlegungspflicht hat das Landgericht verkannt. Es beachtet insbesondere nicht, dass das Aussageverhalten der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung, auf welches es maßgeblich für die abweichende Beurteilung abgestellt hat, auch der Begutachtung durch die Sachverständige zugänglich war. Damit verweigert das Landgericht die unerlässliche Erörterung der offensichtlich verschiedenen Schlüsse aus diesem Aussageverhalten durch die Sachverständige einerseits und das Gericht andererseits.
bb) Bedenklich ist überdies die Erwägung des Landgerichts, die Erschütterung der Nebenklägerin und ihr Leiden sprächen für die Wahrheit ihrer Schilderung, da sie diese sonst auch hätte vorspielen müssen, was ihr nicht gelingen würde. Diese Erwägung setzt voraus, dass die Belastungen der Nebenklägerin durch die angeklagte Tat entstanden sind, für deren Begehung sie das Landgericht gerade als Indiz werten will. Andere mögliche, ersichtlich nicht fern liegende Ursachen für die psychischen Auffälligkeiten lässt das Landgericht unerörtert. Entsprechendes gilt für die Würdigung des Zögerns der Nebenklägerin vor der Anzeigenerstattung.
4. Der Senat kann danach insgesamt nicht ausschließen, dass das Tatgericht ohne die genannten Rechtsfehler zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin gelangt wäre. Er macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative StPO Gebrauch.
Ende der Entscheidung
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