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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 08.02.2000
Aktenzeichen: 5 StR 310/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 338 Nr. 2
StPO § 261
StGB § 226 a.F.

Entscheidung wurde am 07.06.2000 korrigiert: Nachschlagwerk durch Nachschlagewerk ersetzt
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 StR 310/99 (alt: 5 StR 423/97)

vom 8. Februar 2000

in der Strafsache

gegen

wegen Totschlags

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Februar 2000, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin Harms, Richter Häger, Richter Basdorf, Richter Nack, Richterin Dr. Gerhardt als beisitzende Richter,

Bundesanwalt, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt W, Rechtsanwalt H als Verteidiger,

Rechtsanwalt B als Vertreter der Nebenklägerin F D,

die Nebenkläger M und R D,

Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 14. Dezember 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an das Landgericht Hildesheim zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:

Das Landgericht Stade hatte den Angeklagten anklagegemäß wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Dieses Urteil hat der Senat auf eine Verfahrensrüge aufgehoben (BGHR StPO § 338 Nr. 2 - Ausschluß 1). Nunmehr hat das Landgericht Lüneburg den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Das Urteil wird von den Nebenklägern, zum einen der minderjährigen Tochter der Getöteten (und des Angeklagten), zum anderen den Eltern der Getöteten, mit der Revision angefochten. Die Rechtsmittel haben jeweils mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung des freisprechenden Urteils hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Der Angeklagte hat sich zu dem Anklagevorwurf, seine Freundin Ma D, die sich von ihm getrennt hatte, getötet zu haben, nicht eingelassen. Das Schwurgericht hat sich aufgrund von Indizien rechtsfehlerfrei davon überzeugt, daß der Angeklagte die Leiche des Opfers unmittelbar nach Todeseintritt - als die Eltern der jungen Frau, wie er wußte, nach der Vermißten suchten - zu einem mehr als 50 Kilometer entfernt liegenden Sperrwerk transportierte und sie dort - mit gefesselten Armen und Beinen, gebunden an einen 30 Kilogramm schweren Regenablaufrost - im Fluß versenkte, aus dem sie Monate später derart verstümmelt geborgen wurde, daß die genaue Todesursache durch Obduktion nicht feststellbar war. Das Gericht hat sich ferner rechtsfehlerfrei davon überzeugt, daß Ma D bei einem zeitlich genau zu fixierenden Zusammentreffen mit dem Angeklagten - am 12. Dezember 1994 zwischen 18.15 Uhr und 18.25 Uhr - zu Tode gekommen ist, und zwar weder aufgrund einer natürlichen Todesursache noch aufgrund eines Unfalls ohne Einwirkung des Angeklagten, der in diesem Fall keinen vernünftigen Anlaß für die festgestellte Beseitigung der Leiche gehabt hätte.

Das Schwurgericht hat andererseits ausgeschlossen, daß der Angeklagte seiner Freundin in Tötungsabsicht aufgelauert habe. Es ist davon überzeugt, daß Ma D - naheliegend im Rahmen eines Streits - durch irgendeine Einwirkung des Angeklagten zu Tode gekommen ist. Hierfür sieht es eine "weite Bandbreite nicht ausschließbarer Geschehensabläufe" - von vorsätzlicher Tötung über Körperverletzung mit Todesfolge bis hin zu bloßer fahrlässiger Tötung oder gar Körperverletzung ohne Zurechenbarkeit der Todesfolge. Die anschließende Beseitigung der Leiche hält das Schwurgericht auch für den Fall nur geringen Verschuldens des Angeklagten für erklärbar, und zwar als "kurzschlußartige" Reaktion aufgrund der Labilität des Angeklagten und seiner außerordentlich schlechten Beziehung zum Vater der Getöteten, von dem er unberechtigte weitergehende massive Anschuldigungen hätte erwarten müssen (UA S. 36 ff.).

Wegen letztlich nur möglicher spekulativer Feststellungen zur Todesursache und unmöglicher Bestimmung des Maßes des Verschuldens sah sich das Schwurgericht zu einer Verurteilung des Angeklagten "wegen fahrlässiger Tötung oder fahrlässiger Körperverletzung als Auffangtatbestand" außerstande.

2. Zwar muß das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter den Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33 m.w.N.).

a) Hier erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als lückenhaft. Freilich können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so beschaffen sein, daß sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl - wie hier - nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muß es allerdings in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen (BGH aaO). Dem wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

Nach den Feststellungen klingelte der Angeklagte gegen 18.30 Uhr, mithin wenige Minuten, nachdem Ma D durch sein Zutun zu Tode gekommen war, bei Bekannten und stellte - vorgeblich ahnungslos - Nachforschungen über den Verbleib seiner Freundin an (UA S. 10, 22, 25). An die Tür des dem Tatort nahen Wohnhauses der Familie D heftete er einen - von den Eltern der Getöteten dort kurz nach 19.30 Uhr aufgefundenen - Zettel mit der - gelogenen - Nachricht, er habe Ma D um 18.30 Uhr dort, wie verabredet, aufgesucht, aber nicht angetroffen (UA S. 10 f.). Gegen 19.00 Uhr fragte er im Fitneß-Center, wo sich Ma D, wie er wußte, aufgehalten hatte, bevor sie mit ihm zusammengetroffen war, heuchlerisch nach ihrem Verbleib (UA S. 10). Diese Umstände sind ein signifikantes Indiz für ein überlegtes, gar geplantes Vorgehen des Angeklagten, mit dem er das ihn belastende Zusammentreffen mit der Getöteten alsbald wirksam zu vertuschen suchte. Dies tat er kurze Zeit, nachdem Ma D durch sein Zutun zu Tode gekommen war; jedenfalls die Nachfrage bei den Bekannten erfolgte nach nur wenigen Minuten. Das spricht bezogen auf die etwa zeitgleich begonnene Beseitigung der Leiche augenfällig gegen eine unüberlegte Kurzschlußreaktion, die das Schwurgericht für den Fall der Tatvariante lediglich leicht schuldhaften Verhaltens des Angeklagten für möglich hält. Ohne nähere Erörterung dieses in seiner Bedeutung verkannten Belastungsindizes erweist sich diese Überlegung nicht als tragfähig; die Beweiswürdigung ist mithin jedenfalls schon insoweit lückenhaft.

Ebenso unerläßlich war die Erörterung dieses auf überlegtes Vorgehen hindeutenden Nachtatverhaltens im Zusammenhang mit den Erwägungen des Schwurgerichts zur Möglichkeit einer vom Angeklagten geplanten Tötungshandlung. Ob auch die von der Revision der Nebenklägerin zu 1 im Rahmen der sachlichrechtlichen Beanstandungen zur Beweiswürdigung vorgetragenen Bedenken und das Unterbleiben eingehenderer Erörterung der zeitlichen, räumlichen und sachlichen Begleitumstände der Leichenbeseitigung Anlaß zu durchgreifenden Bedenken gegen die Beweiswürdigung hätten geben müssen, bedarf danach keiner Entscheidung.

b) Abgesehen davon hätte das Urteil auch insoweit keinen Bestand haben können, da das Schwurgericht selbst auf der Grundlage seiner Feststellungen nicht zu einer Freisprechung des Angeklagten gelangen durfte.

Das Gericht wäre gehalten gewesen, die von ihm für möglich erachtete, nach dem Zweifelsgrundsatz denkbar mildeste Variante schuldhaften gewaltsamen Einwirkens des Angeklagten auf Ma D im Zusammenhang mit ihrer Tötung konkret festzustellen und hiernach die strafrechtliche Verantwortung des Angeklagten zu bestimmen. Daß eine so bei verschiedenen möglichen, aber jeweils als Gewaltdelikt strafbaren Tatvarianten nach dem Zweifelsgrundsatz festgestellte Tat nach der vorgegebenen zeitlichen, örtlichen und sachlichen Eingrenzung keine hinreichend konkrete Grundlage für eine Verurteilung hätte bieten können (vgl. BGHR StPO § 261 - Tatsachenalternativität 1, 2, 4), ist nicht erkennbar. Die beträchtliche Divergenz im Ausmaß der Schuld zwischen der denkbar schlimmsten und der denkbar harmlosesten Tatvariante berechtigt - offenbar entgegen der Auffassung des Schwurgerichts - nicht zur Freisprechung, wenn nach dem Zweifelsgrundsatz im Ergebnis keine Geschehensvariante verbleibt, wonach der Angeklagte sich nicht wegen gewaltsamer Einwirkung auf die Getötete strafbar gemacht hätte.

Abgesehen davon hat es das Schwurgericht unterlassen, im Zusammenhang mit der Erörterung der angeblich großen Bandbreite in Betracht zu ziehender Tatvarianten bis hin zu lediglich fahrlässiger Körperverletzung (UA S. 30 f., 32 ff.) die von ihm für möglich erachteten Varianten vollständig darzustellen. Sämtliche im Urteil konkret beschriebenen Möglichkeiten der Tatbegehung (UA S. 34 f.) würden mindestens den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226 StGB a.F.) erfüllen, der kein erhöhtes Maß der Fahrlässigkeit für die Todesverursachung verlangt. Jenseits davon verliert sich der Tatrichter in vagen Vermutungen. Es versteht sich auch nach seiner eigenen Ausgangsbetrachtung nicht etwa von selbst, daß andere Tatvarianten, bei denen der Angeklagte unvorsätzlich gewaltsam gegen die Getötete vorgegangen sein könnte oder gar ihren Tod unvorhersehbar verursacht hätte, hier konkret in Betracht zu ziehen waren. Für etwa gerechtfertigtes oder entschuldigtes Vorgehen des Angeklagten gegen Ma D bestehen keinerlei Anhaltspunkte.

Die in diesem Zusammenhang erhöhten Begründungsanforderungen gelten verstärkt vor dem Hintergrund der zutreffenden eigenen Wertung des Tatrichters, bei einem Unglücksfall hätte für den Angeklagten kein vernünftiger Anlaß zu der anschließenden Leichenbeseitigung bestanden (UA S. 23 f.). An dieser Überlegung hätte der Tatrichter jede weitere etwa von ihm konkret erwogene Tatvariante messen müssen.

3. Der Freispruch des Angeklagten kann daher keinen Bestand haben. Mit der Urteilsaufhebung erledigt sich auch die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Zubilligung von Entschädigung.

Der Senat sieht sich erneut veranlaßt, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen. Der neue Tatrichter wird bei unveränderter Beweislage die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach keine überhöhten Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt werden dürfen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 332 m.w.N.), besonders zu beachten haben. Hinsichtlich des Verschlechterungsverbots hat sich der neue Tatrichter an der ersten, lediglich vom Angeklagten angefochtenen Verurteilung zu orientieren, aus der sich die Obergrenze für den Strafausspruch ergibt.

Ende der Entscheidung

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