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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 28.11.2002
Aktenzeichen: 5 StR 334/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 52
StGB § 53
StGB § 66
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 StR 334/02

vom 28. November 2002

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. November 2002, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin Harms,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 29. Januar 2002 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben

a) soweit das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat,

b) im Ausspruch der Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten erweist sich als unbegründet. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist, wie die Auslegung der Revisionsbegründung erweist, zum Nachteil des Angeklagten auf die Überprüfung des Unterlassens der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen begab sich der 56 Jahre alte Angeklagte im Jahre 2000 in sechs Fällen zu einer Kiesgrube, sprach dort spielende Jungen an, manipulierte schließlich an deren Geschlechtsteilen und gab ihnen dafür Geldbeträge in Höhe von überwiegend 10,00 DM. In weiteren elf Fällen lud der Angeklagte Jungen in seine Wohnung ein, zeigte ihnen pornografische Hefte, manipulierte an deren Geschlechtsteilen sowie vor ihren Augen an seinem eigenen Penis bis zum Samenerguß, wobei er ihnen wiederum absprachegemäß meist 10,00 DM gab. Teilweise manipulierte er gleichzeitig an seinem Penis und den Geschlechtsteilen der Jungen. Auch kam es vor, daß er den Kindern Kondome gab und sie anwies, diese über ihr Geschlechtsteil zu ziehen. In jedem der Fälle betrug die Dauer der Tathandlung jeweils zehn bis fünfzehn Minuten. Das Landgericht hat die Taten als Vergehen nach § 176 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 3, §§ 52, 53 StGB abgeurteilt. Bei der Strafzumessung hat es nach einer Gesamtbetrachtung und insbesondere unter Berücksichtigung dessen, daß der Angeklagte bereits mehrfach einschlägig vorbestraft ist und eine erhebliche Zeit seines Lebens im Straf- und Maßregelvollzug verbracht hat, minderschwere Fälle des sexuellen Mißbrauchs von Kindern verneint und den Regelstrafrahmen zugrunde gelegt. Es hat Einzelfreiheitsstrafen von sechs Monaten (zweimal), einem Jahr (achtmal), einem Jahr und vier Monaten (fünfmal) sowie zwei Jahren und sechs Monaten (zweimal) verhängt und daraus die Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten gebildet.

II.

Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Die Strafaussprüche sind nicht zu beanstanden. Bei der Bemessung der Einzelstrafen hat der Tatrichter ausdrücklich erwogen, daß die "geschädigten Kinder freiwillig zum Angeklagten gegangen sind". Schon deshalb ist nicht zu besorgen, die Strafkammer könne nicht bedacht haben, daß die Geschädigten "jederzeit den Tatort hätten verlassen können". Die Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

III.

Die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

Das Landgericht hat - ohne nähere Ausführungen zu § 66 StGB zu machen - die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung verneint. Beim Angeklagten bestehe zwar ein Hang zur Begehung einschlägiger Straftaten, es sei aber nicht sicher feststellbar, daß es sich hierbei um erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB handele (UA S. 20). Diese Darlegungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

Die Strafkammer hat dazu ausgeführt, es sei auszuschließen, daß durch die Taten die Opfer gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB seelisch oder körperlich schwer geschädigt worden seien. Der polizeiliche Vernehmungsbeamte habe sämtliche geschädigten Kinder vernommen und konnte bei keinem Kind seelische Schäden feststellen. Eine den Geschädigten angebotene psychologische Betreuung sei nicht angenommen worden. Die Kinder hätten sich lediglich geschämt, Geld vom Angeklagten angenommen zu haben. Die Taten hätten zwar ein belästigendes Moment aufgewiesen, bei der vorliegenden Sachlage seien aber keine schweren seelischen Schäden zu befürchten. Damit werden überhöhte, mit den gesetzlichen Voraussetzungen nicht zu vereinbarende Anforderungen gestellt.

Es kann dahingestellt bleiben, ob entgegen der Ansicht des Landgerichts die Taten des Angeklagten das ausdrücklich genannte Merkmal der seelischen oder körperlichen Schädigung erfüllen. Der Hang muß sich auf "erhebliche Straftaten" beziehen. Was darunter zu verstehen ist, hat das Gesetz in § 66 Abs. 1 Nr. 3 beispielhaft, doch nicht abschließend aufgezählt. Auch vorsätzliche Straftaten, die an sich in den Bereich mittlerer Kriminalität fallen, können bei einem genügenden Schweregrad als Grundlage der Maßregel ausreichen. Als erheblich erfaßt werden alle Taten, die geeignet sind, den Rechtsfrieden in empfindlicher oder besonders schwerwiegender Weise zu stören (vgl. BGHSt 24, 153, 154; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 3).

Ein gewisser Anhaltspunkt für die Erheblichkeit ergibt sich aus dem Umstand, daß § 66 StGB als formelle Voraussetzung eine Vorverurteilung des Täters zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr erfordert, wenngleich sich nicht generell annehmen läßt, daß bei einer solchen Verurteilung eine Tat von erheblichem Gewicht vorliegt (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 66 Rdn. 39; Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 109). Hier sind in 15 Fällen Einzelstrafen von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe verhängt worden. Die Erheblichkeit kann sich aber auch aus einer Vielzahl von Einzeltaten ergeben, wobei auch eine besonders hohe Rückfallgeschwindigkeit von Bedeutung sein kann (vgl. BGHSt 24, 153, 155; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 2). Der Angeklagte ist seit 1973 mehrfach wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu mehrjährigen Freiheitsentzügen verurteilt worden und hat nun eine Vielzahl von Straftaten begangen, nachdem er erst kurze Zeit zuvor aus der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus entlassen worden war. Zudem setzt sich das Landgericht in Widerspruch zu der bei der Strafzumessung und der Prüfung einer Unterbringung nach § 63 StGB vorgenommenen Wertung, wonach das "Maß der jeweiligen Mißbrauchshandlungen ... erheblich" war und vom Angeklagten "auch in Zukunft erhebliche gleichgelagerte Straftaten zu erwarten" sind.

IV.

Über die Anordnung von Sicherungsverwahrung muß nach alledem neu befunden werden. Gegebenenfalls müssen die Urteilsgründe auch erkennen lassen, ob die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB gegeben sind. Hierzu werden die abgeurteilten Taten einschließlich der Begehungszeiten und die verhängten Einzelstrafen mitzuteilen sein (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 5; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 66 Rdn. 3 ff.).

Angesichts der vom Landgericht angestellten Strafzumessungserwägungen kann der Senat nicht ausschließen, daß die Strafkammer, hätte sie die Sicherungsverwahrung angeordnet, eine geringere Gesamtstrafe verhängt hätte (vgl. BGH NJW 1980, 1055, 1056; BGH StV 2002, 480). Deshalb hebt der Senat die Gesamtstrafe auf.

Ende der Entscheidung

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