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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.01.2006
Aktenzeichen: 5 StR 410/05
Rechtsgebiete: StGB, StPO
Vorschriften:
StGB § 2 Abs. 3 | |
StGB § 112 Abs. 1 | |
StGB § 211 Abs. 2 | |
StGB § 212 Abs. 1 | |
StPO § 136 | |
StPO § 137 | |
StPO § 163a | |
StPO § 261 | |
StPO § 265 | |
StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 | |
StPO § 244 Abs. 4 | |
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom 24. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Ja-nuar 2006, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender, Richter Häger, Richterin Dr. Gerhardt, Richter Dr. Brause, Richter Schaal als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt B , Rechtsanwalt Bo als Verteidiger,
Rechtsanwältin E als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 5. April 2005 werden verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung einer anderweitig wegen Totschlags verhängten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Mit ihrer nur hinsichtlich der Verneinung niedriger Beweggründe vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung wegen Mordes; der Angeklagte beanstandet das Verfahren und erhebt die näher ausgeführte Sachrüge. Beide Rechtsmittel bleiben erfolglos.
I.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen lernte der Angeklagte am späten Abend des 16. Juni 1990 im Ostteil Berlins die später von ihm getötete U S kennen. Möglicherweise verbrachten der Angeklagte und sein späteres Opfer die Nacht zusammen und hatten einvernehmlichen Geschlechtsverkehr.
Noch in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden des 17. Juni 1990 fuhr der Angeklagte mit U S in seinem Pkw auf einer Landstraße in Brandenburg. Er bog in einen Feldweg ein und hielt an einem nahe gelegenen Waldstück. Hier kam es dann zwischen dem Angeklagten und U S offenbar im Zusammenhang mit sexuellen Wünschen des Angeklagten zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte U S an einen Baum fesselte. Sie konnte aber danach entweichen und in Richtung Landstraße flüchten. Als der Angeklagte, der U S hinterherlief, diese erreicht hatte, zog sie plötzlich ein Klapptaschenmesser, öffnete dieses und hielt es dem Angeklagten entgegen, um ihn auf diese Weise abzuwehren und von sich fern zu halten. Hierüber geriet der Angeklagte in Wut, griff nach einem am Boden liegenden Stock und schlug U S damit das Messer aus der Hand. Die junge Frau flüchtete erneut.
Nunmehr beschloss der Angeklagte aus Wut und Verärgerung, U S zu töten. Er hob das Klapptaschenmesser vom Boden auf, lief seinem Opfer hinterher, holte es alsbald wieder ein und stach mehrfach auf U S ein, so dass diese zu Fall kam. Alsdann stürzte er sich auf die am Boden Liegende, würgte sie massiv am Hals, stach ihr mehrfach mit dem Messer in den Brust- und Bauchbereich, die Lendenregion, das Gesicht und den Hals und schlug ihr mit einem schweren Ast quer über das Gesicht. Der Angeklagte brachte seinem Opfer insgesamt 33 Stichverletzungen und schwerste Schlagverletzungen bei. Anschließend schleifte der Angeklagte das Opfer ca. 15 Meter in den Wald hinein und legte die sterbende junge Frau, deren Jeanshose geöffnet war, mit gespreizten Beinen und nach oben gestreckten Armen ab, breitete anschließend das Hemd und die Jacke des Opfers über dessen teilweise entblößten Oberkörper aus und verließ den Ort. Wenig später verstarb U S an den erlittenen Verletzungen.
Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Mord im Sinne des § 112 Abs. 1 StGB-DDR gewertet und der Straffindung gemäß § 2 Abs. 3 StGB § 212 Abs. 1 StGB zu Grunde gelegt. Vom Vorliegen von Mordmerkmalen im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB hat sich das Landgericht nicht zu überzeugen vermocht.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
Soweit die Staatsanwaltschaft mit sachlichrechtlichen Erwägungen eine Verurteilung wegen Verdeckungsmordes begehrt, kann ihr Rechtsmittel deshalb keinen Erfolg haben, weil das Landgericht bei fehlerfreier Beweiswürdigung eine Verdeckungsabsicht des Angeklagten nicht festzustellen vermochte.
Auch die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe verneint hat, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung noch stand. Ein Tötungsbeweggrund ist niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt (vgl. BGHSt 47, 128, 130 m.w.N.). Bei einer Tötung aus Wut oder Verärgerung kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (BGH NJW 1995, 3196). Bei diesen Abwägungen steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann (vgl. BGH, Urt. v. 11. Oktober 2005 - 1 StR 195/05 m.w.N.). Den Anforderungen an eine solche Gesamtwürdigung wird das angefochtene Urteil trotz der insoweit sehr knappen Ausführungen noch gerecht. Nach den Feststellungen handelte der Angeklagte aus spontaner Wut und Verärgerung über die - freilich durch Notwehr gerechtfertigte - Bedrohung mit einem Messer durch sein Opfer. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Tatvorgeschehens - namentlich des zuvor möglicherweise erfolgten einverständlichen Geschlechtsverkehrs und der möglicherweise einvernehmlichen Autofahrt - liegt die Verneinung niedriger Beweggründe noch innerhalb des vom Revisionsgericht hinzunehmenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraums.
III.
Auch der Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt.
1. Die Verfahrensrügen greifen sämtlich nicht durch.
a) Soweit die Revision beanstandet, dass die - überwiegend geständigen - Angaben des Angeklagten in seinen polizeilichen Vernehmungen in Ermangelung einer § 136 und § 163a StPO genügenden Belehrung des als Beschuldigten vernommenen Angeklagten einem Verwertungsverbot unterlägen und darüber hinaus das Recht des Angeklagten auf Verteidigerkonsultation gemäß § 137 StPO beeinträchtigt worden sei (Rüge Nr. 1), ist der Revisionsvortrag zum Ablauf und Inhalt der beanstandeten Vernehmungen allenfalls bruchstückhaft und daher unzureichend im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
b) Die auf eine Verletzung des § 261 StPO gestützte Beanstandung, das Landgericht habe sich in der Beweiswürdigung nicht mit den Aussagen der Zeuginnen K und S sowie der Zeugen H und Ba (Rügen Nr. 2 und 5) auseinandergesetzt, bleibt ohne Erfolg. Der Tatrichter ist nicht gehalten, in dem Urteil die Bekundung eines jeden in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen oder Sachverständigen wiederzugeben und abzuhandeln. Er muss nur die wesentlichen beweiserheblichen Umstände erörtern (BGH StV 1991, 340). Ob die Bekundungen der genannten Zeugen beweiserheblich waren, kann das Revisionsgericht nicht feststellen. Was die Zeugen in der Hauptverhandlung bekundet haben, steht nicht fest. Die Rekonstruktion der Beweisaufnahme ist dem Revisionsgericht grundsätzlich versagt. Allenfalls dann, wenn sich das Revisionsgericht mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den Beweisgehalt des Beweismittels ohne weiteres unmittelbar selbst zu erschließen vermag, kann die Rüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO unter Umständen erfolgreich sein (st. Rspr.; vgl. BGH StV 1991, 549; 1993, 115; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 6, 22, 30). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
c) Die auf eine Verletzung des § 261 StPO gestützte Beanstandung, das Landgericht habe sich mit der verlesenen Aussage des verstorbenen Zeugen M nicht hinreichend auseinandergesetzt (Rüge Nr. 3), ist unvollständig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revision weist in ihrer rechtlichen Würdigung darauf hin, dass keine Ähnlichkeit zwischen der von dem Zeugen gesehenen Person und dem Angeklagten bestanden habe. Solches hätte sich aber erst aus dem im Zusammenhang mit den verlesenen Urkunden in Augenschein genommenen Lichtbild des Angeklagten aus dem Jahr 1989 erschließen können. Zum Verständnis der Rüge hätte demnach auch dieses Bild mit vorgelegt werden müssen. Dass es in Augenschein genommen worden ist, teilt die Revision mit.
d) Soweit die Revision mit der Rüge nach § 244 Abs. 2 StPO beanstandet, das Landgericht habe nicht aufgeklärt, ob dem Angeklagten Vergaserkraftstoff und welches Fahrzeug ihm im Tatzeitraum zur Verfügung standen und welche genaue berufliche Tätigkeit das Tatopfer ausgeübt hatte, sind diese Rügen (Nr. 4 und 6) ebenfalls unzulässig. Sie bezeichnen keine konkrete Beweisbehauptung (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Aufklärungsrüge 6).
e) Die Rüge (Nr. 7), § 265 StPO sei verletzt, weil das Landgericht nicht förmlich darauf hingewiesen habe, dass es entgegen dem Inhalt der zugelassenen Anklage genauere Feststellungen zu dem vom Angeklagten zur Tatzeit benutzten Fahrzeug nicht treffen könne, ist unbegründet. Das Tatgericht war nicht verpflichtet, dem Angeklagten seine Bewertung des Ergebnisses der dazu durchgeführten Beweisaufnahme mitzuteilen (vgl. BGHSt 43, 212). Umstände, die zu Hinweisen hätten nötigen können (vgl. BGHSt 48, 221, 228 f.), trägt die Revision nicht vor.
f) Die Rüge (Nr. 8) einer nicht eingehaltenen Wahrunterstellung nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist unbegründet. Die dem Beweisantrag der Verteidigung ohne eine Sinnveränderung folgende Wahrunterstellung betrifft lediglich die Identität eines vom Zeugen P vor dem Sankt-Hedwig-Krankenhaus in einem PKW beobachteten wartenden Mannes, nicht aber die Dauer von dessen Anwesenheit bis zum Verlassen des Krankenhauses durch das Tatopfer. Der Umstand, dass in der Tatnacht nicht der Angeklagte, sondern ein Dritter vor der Arbeitsstätte des Opfers beobachtet wurde, durfte auch als wahr unterstellt werden. Er war nicht von vornherein bedeutungslos, sondern geeignet, zu Gunsten des Angeklagten die belastende Beweislage einzuengen. Indes war das Landgericht nicht gehalten, die als wahr unterstellte Tatsache noch im Urteil als bedeutsam anzusehen und sie als solche in die Beweiswürdigung und seine Abwägung einzustellen (vgl. BGH, Beschl. vom 24. November 2005 - 1 StR 443/05). Dass die Verteidigung des Angeklagten durch die Wahrunterstellung von weiterem effektiven Verteidigungsvorbringen abgehalten worden wäre, ist nicht ersichtlich. g) Die Rügen (Nr. 9, 11 bis 13) einer Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO im Hinblick auf die erfolgte Ablehnung von Beweisanträgen als bedeutungslos (fünf Anträge vom 22. März 2005 betreffend die Zeugen Me , V , W , Pi und G ; sechs Anträge vom 29. März 2005 betreffend sechs Ärzte) sind unbegründet. Das Landgericht hat diese Anträge unter ausreichender Darlegung seiner vorläufigen Beweiswürdigung mit zutreffender Begründung abgelehnt.
h) Die Beanstandung (Rüge Nr. 10), das Tatgericht habe zu Unrecht die Inaugenscheinnahme des Tatortes abgelehnt, bleibt unvollständig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revision hat es versäumt, die in dem ablehnenden Beweisbeschluss in Bezug genommenen Skizzen und Fotos vorzulegen.
i) Soweit die Revision beanstandet (Rüge Nr. 14), § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO sei dadurch verletzt, dass das Landgericht die am 23. März 2005 beantragte molekulargenetische Untersuchung von sichergestellten Holzbruchstücken und eines Faserschreibers abgelehnt hat, bleibt dies ohne Erfolg. Es liegt in dem Antrag vom 23. März 2005 schon kein Beweisantrag vor, weil der Angeklagte insoweit keine bestimmte Beweisbehauptung erhebt, sondern nur das Beweisziel umschreibt, der Angeklagte habe die betreffenden Gegenstände nicht berührt (vgl. BGHSt 39, 251). Die Zurückweisung dieser Beweisanregung durch das Landgericht wäre auch unter Aufklärungsgesichtspunkten rechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere vor dem Hintergrund des Inhalts der polizeilichen Vernehmungen des Angeklagten.
j) Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 4 StPO durch Ablehnung eines Hilfsbeweisantrags auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens (Rüge Nr. 15) erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Ohne Kenntnis des Inhalts der im Antrag in Bezug genommenen polizeilichen Vernehmungen vom 24. und 25. Au-gust 2004 kann der Senat nicht beurteilen, ob der behauptete Verfahrensmangel vorliegt.
k) Soweit die Revision einen Verstoß gegen § 261 StPO darin erblickt (Rüge Nr. 16), dass sich das Landgericht nicht mit dem DNA-Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Bri bezüglich eines nicht von der Geschädigten stammenden Kopfhaares und eines blond gefärbten Haares auseinandergesetzt hat, begründet solches keinen Erörterungsmangel. Die Beweismittel waren schlicht unergiebig. Die Haare konnten keiner Person zugeordnet werden, weil kein DNA-Nachweis erbracht werden konnte. Als Aufklärungsrüge war der Vortrag der Revision nicht zu verstehen. Ein weiteres DNA-Gutachten hat im Übrigen auch keine weitere Aufklärung erbracht.
2. Die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils ergibt auch unter Berücksichtigung der von der Revision erhobenen Einzelbeanstandungen keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler. Soweit die Revision die Beweiswürdigung des Tatgerichts angreift, erschöpft sie sich darin, die rechtsfehlerfrei festgestellten Indiztatsachen anders als das Landgericht zu würdigen, ohne dabei durchgreifende Rechtsfehler in der Beweiswürdigung des Landgerichts aufzudecken. Einer umfassenderen Erörterung der Beweisanzeichen bedurfte es angesichts des verfestigten, gegen den Angeklagten sprechenden Beweisergebnisses (Täterwissen offenbarende, teilgeständige Einlassungen vor der Polizei, selbstbelastendes Schreiben des Angeklagten an seine Ehefrau, gesicherte Spermaspur des Angeklagten am Slip des Opfers) nicht.
Die mit sachverständiger Hilfe gewonnene Erkenntnis von Dritt-DNA unter den Fingernägeln musste angesichts des Berufs des Opfers und der weitgehenden modernen Nachweismethoden keine Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten erwecken und nötigte auch nicht zu näherer Erörterung.
Sachlichrechtlich musste die mit sachverständiger Hilfe gewonnene Erkenntnis uneingeschränkter Schuldfähigkeit des jegliche Angaben zur Sache verweigernden Angeklagten bei Tatbegehung auch angesichts des festgestellten Tatbildes nicht näher hinterfragt werden, insbesondere nachdem über ihn in der einbezogenen Sache zu angeblich eingeschränkter Schuldfähigkeit ersichtlich eine Fehldiagnose getroffen worden war.
Ende der Entscheidung
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