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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 01.03.2005
Aktenzeichen: 5 StR 499/04 (1)
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 55
StPO § 244 Abs. 2
StPO § 244 Abs. 3
StPO § 244 Abs. 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 StR 499/04

vom 1. März 2005

in der Strafsache

gegen

wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. März 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 18. Februar 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision der Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Das Landgericht hat einen auf frühere Falschaussagen des einzigen Belastungszeugen gerichteten Beweisantrag zu Unrecht als Beweisermittlungsantrag behandelt.

1. Das Landgericht hat sich auf Grund der für glaubhaft erachteten Aussage des Zeugen B davon überzeugt, daß die Angeklagte als Kurierfahrerin des niederländischen Rauschgiftverkäufers N in den Monaten März bis September 2000 je einmal Rauschgift aus den Niederlanden nach Leipzig verbrachte, und zwar in allen sieben Fällen 15 Kilogramm Haschisch und 2000 amphetaminhaltige Tabletten, in vier Fällen je ein Kilogramm und dreimal je 500 Gramm Kokain. Dieses Rauschgift war in Reserverädern und der abnehmbaren Isolierung von Mikrowellenherden versteckt (UA S. 20, 41). B bzw. (der anderweitig, aber nicht deswegen verurteilte) H verbrachten es in eine Bunkerwohnung (UA S. 41). Anschließend gab man der Angeklagten die Autoreifen und die Mikrowelle in den PKW zurück. Die Angeklagte fuhr bis auf eine oder zwei Ausnahmen jeweils bereits nach einer Stunde Aufenthalt in Leipzig in die Niederlande zurück.

2. Der Zeuge B entschloß sich alsbald nach seiner Verhaftung am 4. Mai 2001, "reinen Tisch" zu machen. Er machte Angaben zu zahlreichen Rauschgifthändlern und beschrieb das Aussehen und die Figur der Angeklagten in einer polizeilichen Vernehmung. Er charakterisierte sie als Freundin des Lieferanten. Das Amtsgericht Leipzig hat den Zeugen wegen umfangreichen illegalen Rauschgifthandels am 1. Februar 2002 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mitte Mai 2002 erkannte der Zeuge die Angeklagte auf von der Polizei vorgelegten Lichtbildern. Er verweigerte am 27. August 2003 unter Berufung auf § 55 StPO die Aussage. Nachdem das gegen den Zeugen ergangene Urteil rechtskräftig geworden war, sagte er zur Sache aus, verweigerte aber am 17. Dezember 2003 unter Berufung auf § 55 StPO die Aufklärung eines Widerspruchs zwischen seiner Zeugenaussage in der Hauptverhandlung, während derer er bekundet hat, das bei seiner Verhaftung sichergestellte Rauschgift stamme von N , und einer polizeilichen Vernehmung, in der er angegeben hatte, das Rauschgift hätte er von H erhalten. Der Verteidiger hat sodann beantragt, die Vorsitzende der großen Strafkammer des Landgerichts als Zeugin zu vernehmen, die H am 24. Februar 2003 verurteilt hatte. Die Vernehmung werde ergeben, daß B in jenem Verfahren als Zeuge ausgesagt hatte, er hätte es bisher unterlassen zu sagen, daß er bereits zum Zeitpunkt Februar/März 2001 seinen eigenen Drogenumsatzgeschäften nachgegangen sei. Er hätte beabsichtigt, mit der ursprünglichen - den Angeklagten H belastenden - Version glaubhafter zu wirken. Der Verteidiger hat ferner eine Kopie des gegen H ergangenen Urteils vorgelegt, aus dem sich die widersprüchlichen Aussagen des Zeugen ergaben. Das Landgericht hat den Antrag auf Vernehmung der Vorsitzenden Richterin zurückgewiesen, "weil er kein Beweisziel nennt. Eine weitere Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit drängt sich nicht auf, weil die tatrichterliche Beweiswürdigung dem jeweiligen Spruchkörper selbst obliegt, § 244 Abs. 2 StPO." Einen auf Verlesung des Urteils gerichteten Beweisermittlungsantrag hat es ebenfalls zurückgewiesen.

3. Die in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts und von der Revision übereinstimmend vertretene Auffassung, das Landgericht hätte den auf Vernehmung der Vorsitzenden Richterin gerichteten Antrag als Beweisantrag nach § 244 Abs. 3 StPO behandeln müssen und nicht auf § 244 Abs. 2 StPO abstellen dürfen, trifft zu. Die von der Verteidigung zur Beweisbehauptung erhobene Zeugenaussage des B im Verfahren gegen H ist eine ausreichend bestimmte Tatsachenbehauptung und beschreibt kein bloßes Beweisziel (vgl. BGHSt 39, 251, 253 f.; 43, 321, 329 f.). Gegenstand des Aufklärungsbegehrens ist eine bestimmte Zeugenaussage des einzigen Belastungszeugen in einem anderen Verfahren. Zwar hat die diese Aussage bewertende Strafkammer aus den sich widersprechenden Aussagen des Belastungszeugen den Schluß gezogen, der Zeuge sei teilweise unglaubwürdig. Damit wird aber nicht, wie das Landgericht meint, diese Schlußfolgerung der anderen Strafkammer zum Gegenstand des hier zu beurteilenden Antrags. Der Verteidigung ging es - in der Antragsbegründung und der Gegenvorstellung auch unmißverständlich dargelegt - vielmehr darum, dem Landgericht Tatsachen darzulegen - die Aussagen des Belastungszeugen - aus denen sich auch für das vorliegende Verfahren schlußfolgern lassen sollte, der Zeuge sei unglaubwürdig.

Im Gegensatz zur Auffassung des Generalbundesanwalts kann der Senat nicht ausschließen, daß das Urteil auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Ablehnung 1). Zwar ist den umfänglichen weiteren Verfahrensrügen ohne weiteres zu entnehmen, daß von Seiten der Angeklagten auch bei Anwendung von § 244 Abs. 3 StPO keine anderen sachdienlichen Anträge mehr hätten gestellt werden können (vgl. BGH aaO m.w.N.). Eine Prüfung des Antrags als tatsächlich bedeutungslos im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO wäre vorliegend aber auf Grund der durch besondere Umstände geprägten Beweislage geeignet gewesen, die Beweiswürdigung zugunsten der Angeklagten zu beeinflussen. Die Aussage des Zeugen B , die im Blick auf das der Angeklagten angelastete Tatgeschehen durch keine anderen Beweismittel gestützt wurde, stellt das einzige belastende Beweismittel dar und unterliegt schon deshalb besonders kritischer Würdigung (vgl. BGH NJW 2003, 2250). Die zur Beweisbehauptung erhobene Aussage des Zeugen aus dem gegen H gerichteten Verfahren berührt auch unmittelbar die im vorliegenden Verfahren zu würdigende Sachaussage. Der Zeuge hat nämlich H auch vorliegend als Tatgenossen belastet, der - neben ihm - aus den Fahrzeugen der Angeklagten entnommenes Rauschgift in eine Bunkerwohnung verbracht hat. Der Zeuge B hat ferner vorübergehend in vollem Umfang, später partiell im Hinblick auf seine Aussage im Verfahren gegen H von § 55 StPO Gebrauch gemacht. Auch dieses Aussageverhalten ist bei der Beurteilung der Aussage des Zeugen kritisch zu bewerten (vgl. BGHSt 47, 220, 223 f.). Vor dem Hintergrund dieser erheblichen Beschränkungen der Beweislage kann nicht ausgeschlossen werden, daß eine Prüfung einer teilweisen falschen Aussage des einzigen Belastungszeugen nicht das Ergebnis tatsächlich bedeutungslos erbracht hätte und daß dann eine Beweiserhebung die Beweiswürdigung zugunsten der Angeklagten hätte beeinflussen können.

Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Dazu ist eine allgemeine Strafkammer berufen, weil sich das weitere Verfahren nur noch gegen eine Erwachsene richtet (vgl. BGHSt 35, 267).

Ende der Entscheidung

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