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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 01.02.2007
Aktenzeichen: 5 StR 519/06
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 55 | |
StPO § 349 Abs. 4 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 1. Februar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Februar 2007 beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 20. Juli 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit es diesen Angeklagten betrifft.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen (besonders) schweren Raubes in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und unter Einbeziehung anderweitig verhängter Freiheitsstrafen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren erkannt. Den Mitangeklagten F. hat das Landgericht freigesprochen. Die Revision des Angeklagten W. hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Ungefähr Mitte März 2005 zeigte der Zufallszeuge H. auf Aufforderung des Angeklagten W. diesem die Wohnung des Zeugen M. S. in der Havelstraße 32 in Oranienburg. S. war W. namentlich als eine Person bekannt, die "irgendetwas" mit Drogen zu tun hatte. W. suchte in Begleitung eines weiteren Mannes am Morgen des 31. März 2005 die Wohnung von S. und dessen Lebensgefährtin erneut auf. W. s Begleiter telefonierte drei weitere Männer herbei. W. warf S. im Wohnzimmer vor, dass dieser als 36-jähriger Familienvater mit "Gras" dealen würde, und durchsuchte das Mobiliar. Er hielt S. die Spitze eines Jagdmessers unter das Kinn und verlangte "Kohle". Auf den Einwand S. s, er habe kein Geld, wies W. darauf hin, dass es in der Wohnung nicht danach aussehe. W. forderte S. auf, seine linke Hand auf den Couchtisch zu legen, es werde nunmehr ein Finger abgeschnitten. Der Angeklagte hielt das Messer an den Zeigefinger und fragte: "Soll ich ihn abschneiden?" Nachdem S. geantwortet hatte: "Nee nee, lass mal lieber", steckte W. das Messer wieder ein. Ein Mittäter schlug S. mit einem gegen dessen Schläfe gerichteten Faustschlag nieder. Ein weiterer Mittäter entnahm den DVD-Spieler der Marke "Universum", Produktionsnr. 410 365 1, dem Wohnzimmerregal. Dieses Gerät hatte die Lebensgefährtin des S. als Teil einer DVD-Heimkino-Anlage im September -2004 für 379 Euro im Versandhandel erworben. Beim Verlassen der Wohnung drohte W. mit Erschießen, falls S. "quatsche".
S. räumte sodann die Wohnung auf und weckte seine Lebensgefährtin. Nachdem diese bemerkt hatte, dass Schränke durchwühlt worden waren und dass der DVD-Spieler fehlte, teilte ihr S. lediglich mit, mehrere sehr kräftig gebaute Personen seien kurz in der Wohnung gewesen, hätten Geld gesucht und das Gerät mitgenommen.
Ein anonym gebliebener Anrufer meldete am 5. April 2005 bei der Polizei unter anderem, dass Mitglieder des Motorclubs "Red Devils" am 31. März 2005 einen Drogendealer namens M. in der Havelstraße 32 überfallen hätten. Dabei hätte W. , Mitglied dieses Clubs, dem Geschädigten ein Messer an den Hals gehalten. Grund des Geschehens sei das Kaufverhalten des Geschädigten gewesen, der seine Betäubungsmittel nicht vom "Red Devils MC", sondern aus anderen Quellen bezogen habe.
S. ersetzte den DVD-Spieler nach April 2005 durch ein gleiches Gerät mit identischer Produktionsnummer.
2. Das Landgericht hat seine Überzeugung zum Kerngeschehen ausschließlich auf die Aussage des Zeugen S. gestützt. Dieser Zeuge hat entsprechende Angaben während seiner polizeilichen Vernehmung am 27. Juni 2005 gemacht, das Geschehen während seiner ersten Vernehmung in der Hauptverhandlung am 3. Februar 2006 aber anders dargestellt. Insoweit hat der Zeuge angegeben, von dem Angeklagten vor drei oder vier Jahren eine Sony-Stereoanlage für 400 Euro gekauft, aber nicht bezahlt zu haben. W. habe ihn erstmals am 31. März 2005 auf diese Schulden angesprochen und ihn aufgefordert, 400 Euro zu zahlen. W. habe erfolglos in den Schränken nach Geld gesucht. Er, S. , sei nach einer Ohrfeige zu Boden gegangen. Er habe sich damit einverstanden erklärt, dass der DVD-Spieler mitgenommen werden könne. Der Umstand, dass er bei W. Schulden gehabt habe, sei ihm erst nach der Lichtbildvorlage und seiner Nachvernehmung eingefallen, nachdem er die ganze Zeit darüber nachgedacht habe, was W. von ihm eigentlich gewollt haben könnte.
Das Landgericht hat sich indes davon überzeugt, dass die ursprüngliche Belastung des schweigenden Angeklagten W. der Wahrheit entspricht. Der Zeuge S. sei nach Bestellung eines Zeugenbeistands während seiner zweiten Zeugenvernehmung in der Sitzung vom 28. März 2006 zur Wahrheit zurückgekehrt. Dem stehe nicht entgegen, dass dies auch auf Druck des Vaters des Zeugen H. erfolgt sei, was der Zeuge S. verschwiegen habe.
Die den Angeklagten entlastende Aussage des S. , der aufgrund seiner Persönlichkeit wenig standfest sei, erkläre sich mit erheblichen Ängsten, die der Zeuge vor dem Angeklagten W. und seinen Begleitern gehabt hätte .
Das Landgericht ist der Aussage des Zeugen ferner nicht gefolgt, soweit S. in seiner Aussage am 28. März 2006 den Mitangeklagten F. wie schon während einer Wahllichtbildvorlage am 7. Juli 2005 - allerdings in Widerspruch zu der polizeilichen Vernehmung vom 24. Septem-ber 2005 - als denjenigen bezeichnet hat, der ihn mit einem Faustschlag zu Boden gebracht hatte.
3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts entspricht nicht den besonderen Anforderungen, die in der auch hier gegebenen Konstellation Aussage gegen Aussage (vgl. BGH StV 1998, 250) zu erfüllen sind (vgl. BGHSt 44, 153, 158 f.).
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft, weil es die Umstände des von S. bekundeten Erwerbs eines bauartgleichen DVD-Spielers wie des geraubten nicht in seine Aussageanalyse einbezogen hat. Dadurch hat das Landgericht Gesichtspunkte außer Acht gelassen, die das vom Zeugen bekundete für den Angeklagten günstigere Alternativgeschehen - Inpfandnahme des DVD-Players wegen bestehender Schulden - zu stützen in der Lage gewesen wären (vgl. Nack StV 2002, 510, 514).
Der Zeuge S. hat zum Erwerb des gleichen - sogar mit identischer Produktionsnummer versehenen - DVD-Spielers zunächst während der Durchsuchung seiner Wohnung am 28. März 2006 erklärt, er habe dieses Gerät von einem "Kumpel", den er nicht nennen wolle. Während einer weiteren Zeugenvernehmung hat er am 7. April 2006 bekundet, er habe das Gerät auf der Straße in Berlin für 40 Euro besorgt, und sich hinsichtlich weiterer Fragen auf § 55 StPO berufen.
Dieses widersprüchliche, schon im Blick auf das vom Zeugen in Anspruch genommene Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO kritisch zu bewertende Aussageverhalten (vgl. BGHSt 47, 220, 223 f.) hätte vorliegend in die Würdigung des Wahrheitsgehaltes der für glaubhaft erachteten Aussage einbezogen werden müssen. Dies gilt umso mehr, weil es das Landgericht unterlassen hat, nach kriminalistischen Erfahrungsregeln (vgl. BGH wistra 2002, 260, 262; BGH Urteil vom 16. März 2004 - 5 StR 490/03; BGH wistra 2007, 18, 19 f.) eine Wahrscheinlichkeit zu erwägen, mit der ein - eher nicht weit verbreitetes - Gerät der Unterhaltungselektronik mit identischer Produktionsnummer von einem Hehler hätte erworben werden können. Dies und auch das unübliche Verhalten von Räubern, die unmaskiert lediglich ein Gerät aus einer gut ausgestatteten Wohnung mitnehmen, hätte dem Landgericht Anlass geben müssen, im Einklang mit dem von dem Zeugen geschilderten Alternativverhalten der Täter eine vorübergehende Mitnahme des DVD-Spielers als Pfand in Erwägung zu ziehen.
b) Das Landgericht hat es ferner unterlassen, auch die weiteren Qualitätsmängel der Aussage des Zeugen S. in einer Gesamtbetrachtung zu bewerten (vgl. BGHR StPO § 261 Zeuge 3; Indizien 1, 7). Die Strafkammer ist der belastenden Aussage des Zeugen S. bezüglich des Mitangeklagten F. nicht gefolgt, nachdem S. bei einer polizeilichen Nachvernehmung am 24. September 2005 ausdrücklich erklärt hatte, er wisse nicht mehr, wer ihn geschlagen habe. Das Landgericht misst damit der fehlenden Aussagekonstanz der F. belastenden Aussage Bedeutung zu, unterlässt aber eine ausdrückliche Begründung, warum solches bei der Bewertung der Aussage zum Nachteil des Angeklagten W. nicht anzunehmen ist.
Die Strafkammer hat daneben den Umstand nicht in ihre Aussageanalyse einbezogen, dass S. der Wahrheit zuwider angegeben hat, von dem Zeugen Sch. nicht unter Druck gesetzt worden zu sein, am 28. März 2006 eine - wie geschehen - den Angeklagten W. belastende Aussage zu machen.
Schließlich begegnet die Erwägung des Landgerichts Bedenken, S. hätte aus Angst vor dem Angeklagten W. eine für diesen günstigere Falschaussage gemacht. Zwar wäre im Fall einer Wegnahme des DVD-Spielers zur Inpfandnahme eine Strafbarkeit wegen Raubes wegen fehlender Zueignungsabsicht nicht in Betracht gekommen. Indes hätte auch eine Verurteilung des massiv vorbestraften W. nur wegen (räuberischer) Erpressung und gefährlicher Körperverletzung naheliegend zu einer so empfindlichen Sanktion führen können, dass sich S. auch im Blick auf das von ihm geschilderte Alternativgeschehen Racheakten des Angeklagten und seiner Tatgenossen hätte ausgesetzt sehen können. Damit hat das Landgericht der Angst des Belastungszeugen für die Frage, welcher Aussage des Zeugen zu folgen ist, eine zu große Bedeutung beigemessen.
c) Die Sache bedarf demnach insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung. Der Senat weist darauf hin, dass nach dem bisherigen Beweisergebnis tragfähige Indizien vorliegen, die wenigstens eine Anwesenheit des Angeklagten W. in der Wohnung des Zeugen S. belegen.
Ende der Entscheidung
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