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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 25.02.2009
Aktenzeichen: 5 StR 538/08
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 261 |
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 25. Februar 2009,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt D. als Verteidiger,
Rechtsanwältin Kö.
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 10. Juni 2008 werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft zu tragen, die Nebenklägerin trägt die Kosten ihrer Revision. Die notwendigen Auslagen des Angeklagten in der Revisionsinstanz fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 237 Fällen und der sexuellen Nötigung freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren jeweils auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Beide Rechtsmittel haben - entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts - keinen Erfolg.
1.
Dem Angeklagten liegt zur Last, im Zeitraum vom 21. August 1990 bis zum 31. Dezember 1995 in 238 Fällen seine im Juni 1980 geborene Tochter C. , die Nebenklägerin, sexuell missbraucht zu haben. Zur ersten Tat soll es gekommen sein, nachdem die Nebenklägerin zusammen mit dem Angeklagten ihre Mutter erhängt aufgefunden hatte. Dabei soll der Angeklagte die damals zehn Jahre alte Nebenklägerin im Intimbereich gestreichelt, geküsst, schließlich entkleidet und sodann sein Glied in ihre Scheide eingeführt haben, wobei er zum Samenerguss gekommen sei. In den folgenden Jahren bis zum 22. Juni 1993 soll er mindestens einmal wöchentlich die Nebenklägerin aufgeweckt, zum wechselseitigen Oralverkehr veranlasst und den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss an ihr vollzogen haben. In einem weiteren Fall sei es zum Analverkehr gekommen. Schließlich soll der Angeklagte die Nebenklägerin zwischen dem 24. Juni und dem 31. Dezember 1995 aus Anlass eines Streits auf die Knie gedrückt, sein Glied mit Gewalt in ihren Mund gepresst und dort ejakuliert haben.
2.
Die von der Nebenklägerin erhobenen Verfahrensrügen sind aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts benannten Gründen schon nicht zulässig ausgeführt. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Aufklärungsrüge, mit der geltend gemacht wird, das Landgericht - das dem Gutachten des Sachverständigen R. , wonach die Aussagen der Nebenklägerin glaubhaft seien, nicht gefolgt ist - hätte einen weiteren aussagepsychologischen Gutachter hinzuziehen müssen, ist jedenfalls unbegründet. Angesichts der Vielzahl der vom Landgericht aufgeführten Auffälligkeiten in der Aussage der Nebenklägerin drängte sich die Einholung eines zusätzlichen aussagepsychologischen Gutachtens trotz der hinreichend deutlich aufgezeigten Schwächen des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens nicht auf.
3.
Der Freispruch hält auch der sachlichrechtlichen Nachprüfung stand.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Gründe, die ein Eingreifen des Revisionsgerichts veranlassen könnten (vgl. hierzu BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGH NJW 2006, 925, 928 ; insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt), liegen nicht vor. Insbesondere hat das Landgericht weder überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt, noch weist die nachvollziehbar dargestellte Beweiswürdigung durchgreifende Lücken auf.
a)
Das Landgericht hat die Aussage der Nebenklägerin als einziger Belastungszeugin hinreichend dargelegt. Die in der Hauptverhandlung erstattete Aussage hat es in ausführlicher Form geschlossen wiedergegeben. Auf Angaben bei früheren Vernehmungen oder bei der Exploration durch den Sachverständigen ist es nur insoweit eingegangen, als sie in Widerspruch zu den in der Hauptverhandlung gemachten Angaben stehen. Dies begegnet keinen Bedenken. Auch ist es entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht geboten, das komplette Aussageverhalten im Ermittlungsverfahren geschlossen darzustellen, da schon die vom Landgericht bei der gewählten Vorgehensweise dargestellten Widersprüche im Aussageverhalten den tatrichterlichen Schluss auf die nicht ausreichende Glaubhaftigkeit der Bekundungen zu tragen vermochten. Eine gesteigerte Darlegungspflicht kann allenfalls im umgekehrten Fall der Überführung des Angeklagten ungeachtet der Beweissituation Aussage gegen Aussage bestehen (vgl. BGH NJW 2006, 925, 928 m.w.N.).
Die Ausführungen zur Glaubhaftigkeit lassen auch nicht besorgen, dass das Landgericht der Aussagegenese nicht hinreichende Beachtung geschenkt haben könnte. Vielmehr hat es nachvollziehbar und tatsachenfundiert aus der Entwicklung der Aussage beachtliche Zweifel gegen deren Wahrheitsgehalt hergeleitet. Soweit es dem Umstand entscheidendes Gewicht beigemessen hat, dass die Nebenklägerin im Alter von 22 Jahren erstmals den Angeklagten der sexuellen Übergriffe beschuldigte, indem sie zunächst über mehrere Monate von Vergewaltigungen unter Fesselungen und Schlägen berichtete, sich nunmehr an solche Taten aber nicht erinnern kann, ist dies nicht zu beanstanden.
Entgegen den Ausführungen der Revisionsführerin waren keine ausführlicheren Erörterungen erforderlich, ob die geschilderten sexuellen Handlungen mit dem im Oktober 1994 - also nach behauptetem mehr als zweihundertfachem Geschlechtsverkehr - gestellten gynäkologischen Befund eines intakten Hymens unter medizinischen Gesichtspunkten vereinbar sein könnten. Das Landgericht hat diesem Befund ersichtlich nur die Bedeutung beigemessen, dass er jedenfalls keinen Beleg für den Realitätsgehalt der Angaben der Nebenklägerin darstellt.
b)
Es ist revisionsgerichtlich auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht eine von dem Gutachten des Sachverständigen abweichende eigene Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der zur Zeit der Hauptverhandlung fast 28 Jahre alten Nebenklägerin vorgenommen hat; denn das Tatgericht ist im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung stets zu einer eigenen Beurteilung verpflichtet (BGH, Beschluss vom 16. September 2008 - 3 StR 302/08; Schoreit in KK 6. Aufl. § 261 Rdn. 31a). Diese hat es tragfähig und nachvollziehbar begründet und sich dabei in ausreichendem Umfang mit den Ausführungen des Sachverständigen und den Gründen für die abweichende Würdigung der Anknüpfungstatsachen auseinandergesetzt (BGH NStZ 2000, 550, 551 ; BGH, Beschluss vom 16. September 2008 - 3 StR 302/08; Schoreit aaO Rdn. 33). Insbesondere die vom Landgericht geübte Kritik an der Vorgehensweise des Gutachters ist plausibel belegt worden. Hierzu ist anhand diverser Aspekte des Aussageverhaltens der Nebenklägerin anschaulich aufgezeigt, dass der Sachverständige einseitig auf die Glaubhaftigkeit der Angaben geschlossen hat, ohne die gegenteilige Annahme in Erwägung zu ziehen, und eine solche Hypothese auch auf entsprechenden Vorhalt weder überzeugend bzw. überhaupt unter Angabe von Gründen ausschließen konnte. Zudem ist dargelegt, dass der Sachverständige einige der nach seiner Meinung für die Glaubhaftigkeit sprechenden Kriterien der Aussage aus der Schilderung tatferner und unbestrittener Lebenssachverhalte abgeleitet hat.
c)
Angesichts der von der Strafkammer dargelegten erheblichen Fragwürdigkeiten im Aussageverhalten der Nebenklägerin, die sich sowohl auf die Entstehung der Aussage als auch auf ihren Inhalt und die Konstanz beziehen, bedurfte es nicht der Hinzuziehung eines weiteren aussagepsychologischen Sachverständigen. Nachvollziehbar hat das Landgericht hervorgehoben, dass die Angaben der Nebenklägerin zu der ersten Tat in überraschender Weise detailgetreu und logisch konsistent sind, fast schon "romanhafte" Züge tragen, sich dies aber nicht mit einem ausgezeichneten Erinnerungsvermögen der Nebenklägerin erklären lasse. Denn die übrigen Erinnerungen an die polizeilich dokumentierten einschneidenden Erlebnisse der betreffenden Nacht im Zusammenhang mit der Entdeckung des Suizids der Mutter der Nebenklägerin seien vage oder gar unzutreffend. Dies gelte auch für die Schilderung der weiteren Taten, die entweder keine individualisierenden Merkmale enthalte oder soweit solche geschildert werden, gravierende Widersprüche offenbare. Dass das Landgericht diesen und weiteren Umständen ein Gewicht beigemessen hat, welches einer Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten entgegensteht, ist - zudem nahe liegende - tatrichterliche Beweiswürdigung und vom Revisionsgericht nicht zu beanstanden.
Ende der Entscheidung
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