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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.12.2008
Aktenzeichen: 5 StR 542/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 StR 542/08

vom 10. Dezember 2008

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Dezember 2008

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in sechs weiteren Fällen unter Einbeziehung mehrerer Geldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und hat deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Nach den Feststellungen misshandelte der Angeklagte aus Eifersucht die Nebenklägerin, indem er sie unter anderem würgte und mit Fäusten schlug; er führte zudem in einem Fall in ihre Vagina gewaltsam zwei Finger ein, die er schmerzhaft hin- und herbewegte. 1. Die Einwände der Revision gegen den Schuldspruch, speziell die tatrichterliche Beweiswürdigung sowie die hierauf bezogene Verfahrensrüge, sind offensichtlich unbegründet. 2. Der Beschwerdeführer beanstandet jedoch zutreffend die Ablehnung eines Beweisantrages als rechtsfehlerhaft. a) Die Verteidigung hatte die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür beantragt, dass der Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig oder zumindest erheblich vermindert schuldfähig gewesen sei. Hierfür bezog sie sich auf einen durch das beantragte Gutachten erwarteten Nachweis einer mindestens erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge einer Affekt- beziehungsweise Persönlichkeitsstörung unter Darlegung zahlreicher, von vernommenen Zeuginnen bekundeten Besonderheiten. Diesen Beweisantrag hat das Tatgericht im Wesentlichen unter Hinweis auf die eigene Sachkunde mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Angeklagte sowohl gegenüber der Nebenklägerin als auch gegenüber weiteren früheren Freundinnen nur dann handgreiflich geworden sei, wenn er mit den jeweils Geschädigten alleine war. In den Urteilsgründen ist hierzu erläuternd ausgeführt, dass eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit aufgrund solch "kontrollierten" Verhaltens nicht ersichtlich sei. b) Die Ablehnung des Beweisantrages erweist sich unter den hier gegebenen besonderen Umständen als rechtsfehlerhaft. Art und Maß der in dem Beweisantrag genannten Besonderheiten in der Person des Angeklagten ergeben zumal vor dem Hintergrund der Feststellungen zu Eigentümlichkeiten bei den einzelnen Taten, dass die eigene Sachkunde der Strafkammer hier zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht in jeder Hinsicht ausgereicht hat. Zutreffend weist die Revision zunächst darauf hin, dass auch zielstrebiges und folgerichtiges Verhalten der Annahme einer erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens nicht unbedingt entgegensteht (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 83). Zudem hat der Antrag eine Reihe von besonderen Umständen in der Person des Angeklagten und dem Beziehungsgeflecht zur Nebenklägerin dargelegt, die geeignet gewesen sind, Bedenken hinsichtlich für § 21 StGB relevanter psychischer Befindlichkeiten zu begründen (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Sachkunde 1). Obgleich das Landgericht hierfür einschlägige Feststellungen getroffen hat, ergibt sich deren Bewertung weder aus dem zurückweisenden Beschluss noch aus den Urteilsgründen. Bereits in der früheren Beziehung des Angeklagten mit der Zeugin S. gab es "wegen der gegenseitigen Eifersucht viele Auseinandersetzungen", bei denen der Angeklagte die Zeugin mehrmals für "zwei bis drei Minuten" auf dem Sofa fixierte; er hatte sich häufig "im Zuge der Auseinandersetzungen so erregt, dass er zu schwitzen und leicht zu zittern begann" (UA S. 3, 4). Auch in der sich anschließenden Beziehung zur Zeugin Sl. wurde er aus nichtigen Anlässen gewalttätig und geriet wiederholt so in Rage, dass "er schwitzte und kreidebleich wurde" und die Zeugin etwa fünfzehnmal für einige Sekunden festhielt (UA S. 4). Schließlich war auch die Beziehung zur Nebenklägerin "von vielen Streitigkeiten geprägt, die ihren Grund in der starken Eifersucht und dem großen Misstrauen des Angeklagten" hatten. Sogar auf den Bruder der Nebenklägerin war der Angeklagte eifersüchtig, so dass er nach hierdurch veranlassten unberechtigten Datenabfragen zu dessen Nachteil wegen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz verurteilt wurde. Mindestens viermal fixierte er die Nebenklägerin - was diese als Schwitzkasten bezeichnete - zwei bis drei Stunden lang. Dabei sei er "häufig bleich" gewesen und habe "stark transpiriert" (UA S. 5). Nachdem er etwa eine Minute lang mit zwei Fingern in der Vagina der Nebenklägerin manipuliert hatte - die schwerwiegendste Tat -, blieb er "über längere Zeit" auf der Nebenklägerin liegen, "fixierte sie über Stunden auf dem Bett und zwang ihr eine Diskussion auf" (UA S. 13). Die Nebenklägerin bezeichnete ihn als "einen Partner mit zwei Gesichtern" (UA S. 24). c) Die fehlerhafte Zurückweisung des Beweisantrags erfasst nicht den Schuldspruch. Der Senat schließt aus, dass bei dem im Berufsalltag unauffällig gebliebenen Angeklagten ein Ausschluss der Schuldfähigkeit in Betracht kommt. 3. Der zeitliche Abstand zwischen dem Eröffnungsbeschluss und der Hauptverhandlung begegnet erheblichen Bedenken. Die Erwägungen des Landgerichts (UA S. 35) könnten dafür sprechen, es als Kompensation für einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK genügen zu lassen, dass der Verstoß lediglich ausdrücklich festgestellt wird (vgl. hierzu BGHSt [GS] 52, 124, 138 f.).

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