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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.02.2005
Aktenzeichen: 5 StR 566/04
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 4 | |
StPO § 349 Abs. 2 | |
StGB § 21 | |
StGB § 20 | |
StGB § 213 Alt. 2 | |
StGB § 213 | |
StGB § 49 | |
StGB § 218a | |
StGB § 46 Abs. 1 Satz 2 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 16. Februar 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Februar 2005 beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 13. Juli 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision der Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit das Rechtsmittel sich gegen den Schuldspruch richtet. Jedoch hat der Strafausspruch keinen Bestand.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen lebte die Angeklagte zur Tatzeit mit ihrem Partner und ihren drei Kindern, die 13 Jahre, vier Jahre sowie ein Jahr alt waren, in einer halbwegs stabilen Familiensituation. Ihr Partner, der Vater des dritten Kindes und des hiesigen Tatopfers ist, hatte mehrfach und nachdrücklich, auch als er die Angeklagte im Frühjahr 2003 mindestens zweimal auf eine etwaige Schwangerschaft ansprach, damit gedroht, die Angeklagte - und damit die Familie - im Fall einer erneuten Schwangerschaft zu verlassen. Die Angeklagte nahm diese Drohung "wegen der ohnehin schwierigen finanziellen Lage und des problematischen Verhältnisses" ernst und entschloß sich, die Schwangerschaft planmäßig zu verdekken. Die Angeklagte gebar am 4. August 2003 nachts - von ihrer Familie unbemerkt - ein lebendes Kind und ertränkte es unmittelbar danach in einem nahegelegenen See.
Das Landgericht hat, dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen folgend, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB verneint. Dazu hat das Landgericht zunächst ausgeführt, daß die Angeklagte - unabhängig von der Geburtssituation - auf dem Boden einer charakterneurotischen Persönlichkeit phasenweise unter neurotischer Symptomatik in Form von depressiven Verstimmungen bis hin zu Suizidalität und funktionellen körperlichen Störungen (nächtlichem Einnässen) gelitten habe. Ihre Persönlichkeitsstruktur sei durch selbstunsicher-abhängige, unreife, histrionische und depressive Züge gekennzeichnet. Die Angeklagte habe sich nach einem Familienumzug und der Aufnahme einer Berufstätigkeit angesichts der finanziellen Situation nach der Geburt des dritten Kindes, der fortdauernden Konflikte mit dem Partner und der ungewollten neuen Schwangerschaft in einer "Überforderungssituation" befunden. Dies alles begründe lediglich eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion (ICD 10, F 43.22). Die diagnostischen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung lägen nicht vor. Eine Erwägung, ob etwa eine sogenannte "abhängige Persönlichkeitsstörung" (ICD 10, F 60.7, womit eine Persönlichkeitsstörung infolge einer Abhängigkeit von einer anderen Person gemeint ist) vorliegt, ist nicht angestellt worden. Das Landgericht hat alsdann verneint, daß "die besondere Streßsituation nach der Geburt in Verbindung mit der Anpassungsstörung" eine erhebliche Verminderung der Steuerungs- oder Unrechtseinsichtsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründe. Dies hat es darauf gestützt, daß die Angeklagte bei der Fahrt zum See einen PKW führen und nach der Tat "Sicherungshandlungen" vornehmen konnte, wie die Beseitigung eines Handtuchs, in das das Kind zunächst gewickelt war, und der beim Ertränken des Kindes durchnäßten Kleidung der Angeklagten. Zudem sei die Angeklagte von dem Gedanken geleitet gewesen, schnellstmöglich wieder zurück zur Wohnung zu gelangen, um eine Entdeckung der Tat durch ihren Partner oder ihre Kinder zu verhindern. Schließlich sei die Angeklagte weder während der Schwangerschaft noch nach dem Tatgeschehen in ihrer gewohnten Lebensführung beeinträchtigt gewesen, vielmehr habe sie die "aufgebaute Fassade aufrechterhalten".
Die Verneinung der Voraussetzungen des § 21 StGB hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht nicht verkannt, daß in Fällen der vorliegenden Art eine Gesamtwürdigung geboten ist, in die namentlich die besondere psychische Situation der Mutter unmittelbar nach der Geburt einzubeziehen ist (vgl. BGH, Beschluß vom 14. Dezember 1999 - 5 StR 534/99). Jedoch hat das Landgericht mit seinen Ausführungen zu dem letztgenannten Gesichtspunkt allein auf das Verhalten der Angeklagten vor der Tat, die Fähigkeit zur Führung eines Kraftfahrzeugs und das Nachtatverhalten abgestellt. Den Kern der naheliegenden psychischen Beeinträchtigung der Angeklagten, nämlich die aus der Geburtssituation resultierende besondere Einschränkung ihrer auch psychischen Leistungsfähigkeit in und sogleich nach der Geburt, hat das Landgericht damit nicht hinreichend erfaßt.
Dieser Rechtsfehler berührt den Schuldspruch nicht, weil eine gänzliche Aufhebung der Steuerungsfähigkeit nach § 20 StGB ausgeschlossen werden kann. Indes liegt es nahe, daß das Landgericht, das einen sonstigen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 2 StGB angenommen hat, bei Bejahung einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zu einer Herabsetzung des Strafrahmens des § 213 StGB nach den §§ 21, 49 StGB gefunden hätte.
Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Bei der erneuten psychiatrischen Begutachtung wird insbesondere zu prüfen sein, ob etwa eine Persönlichkeitsstörung der in ICD 10, F 60.7 genannten Art vorliegt.
Es werden strafschärfende Erwägungen (vgl. UA S. 31 f.) zu vermeiden sein, die daran anknüpfen, daß die Angeklagte nicht von der Möglichkeit eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs nach § 218a StGB Gebrauch gemacht hat.
Es wäre zulässig, in erweiternder Anwendung des Rechtsgedankens des § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB auch diejenigen Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben der drei Kinder der Angeklagten zu erwarten sind.
Ende der Entscheidung
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