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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.02.2001
Aktenzeichen: 5 StR 6/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 349 Abs. 4 | |
StPO § 349 Abs. 2 | |
StGB § 20 | |
StGB § 21 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
19. Februar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Februar 2001 beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. Mai 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen zweifachen tateinheitlich begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die Revision der Angeklagten, die das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat teilweise Erfolg.
Die Verfahrensrügen greifen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge hat zum Schuldspruch ebenfalls keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Dagegen kann der Rechtsfolgenausspruch nicht bestehen bleiben, weil die Urteilsdarlegungen zu der nach Ansicht der Strafkammer uneingeschränkten Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit rechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
Zur Frage der Schuldfähigkeit der zur Tatzeit 23 Jahre alten Angeklagten, die nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ihre zwei und drei Jahre alten Söhne zwei Wochen unversorgt und unbeaufsichtigt in der Wohnung zurückließ, während sie sich selbst bei einem Freund aufhielt, und dadurch den Tod der Kinder durch Verdursten und Verhungern herbeiführte, hat das Landgericht zwei Sachverständigengutachten eingeholt. Beide Gutachten kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß die Angeklagte an einer Persönlichkeitsstörung leide, die sich unter anderem in Ausweich- und Verdrängungstendenzen, Abschieben von Verantwortung und Negieren der Realität äußere und die als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB zu werten sei.
Trotz dieser gravierenden Störung hat die Sachverständige J eine tatzeitbezogene erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten ausgeschlossen. Zwar habe eine solche Einschränkung möglicherweise während der ersten vier Tage bestanden, an denen die Angeklagte die Kinder - einem stereotypen Verhaltensmuster folgend - sich selbst überlassen habe. Für die Folgezeit spreche jedoch das Verhalten der Angeklagten, die auf Nachfragen von Bekannten nach dem Verbleib der Kinder immer neue Ausflüchte gesucht und gegenüber ihrem Freund geäußert hatte, sie wisse nicht, wo die Kinder seien, sie habe Angst, gegen einen durchgehenden Realitätsverlust und dauerhaften Abdrängungsprozeß.
Demgegenüber ist der Sachverständige W bei gleicher Ausgangsdiagnose zum gegenteiligen Ergebnis gelangt, indem er eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten im Tatzeitraum für möglich erachtet hat. Seine Ausführungen teilt das Landgericht, das sich vollinhaltlich dem Gutachten der Sachverständigen J angeschlossen, in Bezug auf W dagegen Zweifel an dessen Unvoreingenommenheit und Sachkunde geäußert hat, nicht im Einzelnen mit. Dessen hätte es jedoch hier bedurft, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob das Landgericht angesichts sich widersprechender Gutachten seine Überzeugung von der vollen Schuldfähigkeit der Angeklagten in rechtlich bedenkenfreier Weise getroffen hat. Dies gilt umso mehr, als es sich nicht ohne weiteres von selbst versteht, daß die extremen Verdrängungs- und Ausweichtendenzen, die das Alltagsleben der Angeklagten insgesamt kennzeichneten, lediglich in den ersten vier Tagen nach Verlassen der Kinder, nicht aber danach - bei Konfrontation mit der von der Angeklagten als belastend empfundenen Verantwortung für ihre Kinder jeweils erneut - wirksam geworden sein sollen. Der Umstand, daß die Angeklagte die Sorge um ihre Söhne nicht vollständig verdrängt und in Situationen, in denen sie auf die Kinder angesprochen wurde, flexibel reagiert hat, wäre zwar geeignet, eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit sicher auszuschließen, spricht jedoch vor dem Hintergrund einer von zwei Sachverständigen als schwere seelische Abartigkeit eingestuften Persönlichkeitsstörung nicht ohne weiteres gegen eine (nur) erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (vgl. BGHR StGB § 21 - seelische Abartigkeit 25).
Sollte der erneut mit der Sache befaßte Tatrichter auf der Grundlage eines neuen Sachverständigengutachtens zu einer anderen Bewertung der Schuldfähigkeit der Angeklagten gelangen, kann dies die vom Landgericht angenommenen niedrigen Beweggründe in Frage stellen. Insgesamt bliebe der Schuldspruch davon aber unberührt, da das Mordmerkmal der grausamen Begehungsweise trotz des darin enthaltenen subjektiven Elements in dem angefochtenen Urteil unabhängig von der Frage der Schuldfähigkeit in rechtsfehlerfreier Weise festgestellt ist.
Ende der Entscheidung
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