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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 30.03.1999
Aktenzeichen: 5 StR 95/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 358 Abs. 2 Satz 2
StGB § 306b Abs. 2 Nr. 1
StGB § 20
StGB § 63
StGB § 21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 StR 95/99

vom

30. März 1999

in der Strafsache

gegen

wegen besonders schwerer Brandstiftung u. a.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. März 1999 beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. November 1998 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu drei Jahren und neun Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Der 39jährige Angeklagte lebte mit seiner Mutter in einer "symbiotischen Verklammerung" zusammen. Seine einzige sonstige Bezugsperson war die Zeugin S , eine nahezu 20 Jahre ältere, schwer alkoholkranke Frau. Ihr fügte der Angeklagte durch mehrere Handkantenschläge massive Kopfverletzungen zu, nachdem die betrunkene Frau sich mehrfach abfällig über die Mutter des Angeklagten geäußert hatte, dann jedoch eingeschlafen war, so daß der Angeklagte entgegen seinem Bedürfnis sich nicht weiter mit ihr unterhalten konnte. Anschließend setzte der Angeklagte im Wohnungsflur der im zehnten Obergeschoß eines Hochhauses gelegenen Wohnung der Zeugin einen Korbstuhl in Brand. Durch das Feuer, das der Angeklagte vergeblich - mit Mineralwasser - zu löschen versuchte, brannte die Wohnung der Zeugin völlig aus. Der Angeklagte hatte sich mit der Frau auf den Balkon der Wohnung flüchten können; sie wurden dort von Feuerwehrleuten "gerade noch rechtzeitig" gerettet.

2. Das Landgericht stellt fest, beim Entzünden des Stuhles sei die Brandentwicklung für den Angeklagten vorhersehbar gewesen, er habe sie ebenso wie die akute Lebensgefahr für die Zeugin S billigend in Kauf genommen. Die insoweit für den Vorsatz nach § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB tragenden Feststellungen beruhen auf einer lückenhaften Beweisgrundlage. Der Tatrichter hat es unterlassen zu erörtern, daß der Angeklagte, der nach den Feststellungen keinerlei Anstalten zur Flucht aus der brennenden Wohnung getroffen hat, konsequent seine eigene Lebensgefährdung in Betracht gezogen haben müßte. Ohne Abhandlung dieses Umstandes wird der qualifizierte Tatvorsatz durch den pauschalen Hinweis auf ein weitgehendes Geständnis (UA S. 7) nicht hinreichend belegt.

3. Die Erwägungen der Kammer zur Auswirkung der beim Angeklagten festgestellten Persönlichkeitsstörung auf dessen Steuerungsfähigkeit sind gleichfalls unvollständig. In diesem Zusammenhang hätte der Tatrichter gleichfalls den naheliegenden Umstand mitbedenken müssen, daß der Angeklagte durch Begehung der Tat auch eine akute Lebensgefahr für sich selbst - naheliegend bewußt - verursacht hat. Derartige Erwägungen fehlen insoweit ebenfalls.

Die Ausführungen der Strafkammer im Zusammenhang mit einem Ausschluß der Voraussetzungen des § 20 StGB - sowie des § 63 StGB, weil nicht einmal eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB sicher festzustellen war - sind auch sonst nicht frei von Mängeln.

In diesem Zusammenhang mußte der Tatrichter feststellen und erörtern, aufgrund welcher Diagnose der Angeklagte im Jahr 1986 im Zusammenhang mit teils massiven Straftaten anläßlich einer Bombendrohung in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden ist und wie diese Diagnose aus derzeitiger Sicht im Nachhinein zu beurteilen ist. Der Tatrichter hätte ferner feststellen müssen, was der Gegenstand späterer Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten gewesen ist, die wegen Schuldunfähigkeit eingestellt worden sind (UA S. 3). Es hätte auch näherer Feststellungen zum Verlauf der über nahezu zehn Jahre vollzogenen Unterbringung und zum Anlaß des zwischenzeitlichen Widerrufs einer Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung bedurft.

Soweit der psychiatrische Sachverständige, dem sich der Tatrichter angeschlossen hat, aus den Umständen eines gemeinsamen Verzehrs bestellten Essens mit dem Opfer zu Beginn des Zusammentreffens, aus den - ersichtlich unzulänglichen - Löschversuchen des Angeklagten und aus dem Umstand, daß er im Krankenhaus falsche Personalien angab, um sich vor Strafverfolgung zu schützen, Argumente gegen eine sichere Feststellung einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten hergeleitet hat, erscheint dies wenig überzeugungskräftig. Die Beurteilung durch den Sachverständigen unterliegt auch insoweit Bedenken, als dieser trotz des Hintergrundes der früheren Unterbringung des Angeklagten und trotz der hochgradigen Gefährlichkeit der hier abgeurteilten Brandstiftung eine Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit verneint hat. Dieser kaum nachvollziehbaren Beurteilung hat sich der Tatrichter ebenfalls angeschlossen. Eine Tat, die allein aus der individuellen Beziehung des Angeklagten zu dem Tatopfer erklärbar und aufgrund der Aufhebung dieser Beziehung nicht wiederholbar erscheint, liegt ersichtlich nicht vor.

Die Fragen der Schuldfähigkeit des Angeklagten und des Vorliegens der Voraussetzungen des § 63 StGB - dessen Anordnung die Verteidigung erstrebt und die auch nach eigener Revision des Angeklagten weiterhin möglich ist (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO) - bedarf umfassender neuer Prüfung. Allein im Blick auf eine etwa gänzlich fehlende Therapierbarkeit des Angeklagten darf von dessen Unterbringung nach § 63 StGB nicht abgesehen werden. Angesichts der Hinweise, die auf eine schwere Persönlichkeitsstörung des Angeklagten hindeuten, dürften durchgreifende Bedenken gegen eine Unterbringung nach § 63 StGB auch aus den in BGHSt 42, 385 entwickelten Grundsätzen nicht herzuleiten sein.

Eine an sich mögliche Aufrechterhaltung von Feststellungen zum äußeren Tathergang erscheint vorliegend nicht angezeigt.

Ende der Entscheidung

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