Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.09.2005
Aktenzeichen: AK 8/05
Rechtsgebiete: StPO, StGB, POG RhPf


Vorschriften:

StPO §§ 100 c ff. aF
StPO § 100 d Abs. 6 Nr. 3
StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2
StPO § 112 Abs. 3
StPO § 121
StPO § 122
StGB § 129
StGB § 129 a
StGB § 129 b
StGB § 129 b Abs. 1 Satz 3
POG RhPf § 29 Abs. 1
POG RhPf § 29 Abs. 4 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 BJs 57/04 - 8 AK 8/05

vom 8. September 2005

in dem Ermittlungsverfahren

gegen

wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Beschuldigten und seiner Verteidigerin am 8. September 2005 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:

Tenor:

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

Der Beschuldigte wurde am 23. Januar 2005 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 24. Januar 2005 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs von diesem Tag (2 BGs 45/2005) ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, sich in Deutschland als Mitglied an einer ausländischen terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) sowie Straftaten gegen die persönliche Freiheit (§§ 239 a oder 239 b StGB) und Sprengstoffdelikte (§ 308 Abs. 1 bis 3 StGB) zu begehen, wobei letztere bestimmt sind, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat erheblich schädigen können (§ 129 b Abs. 1 i. V. m. § 129 a Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB).

Der Beschuldigte ist weiterhin dringend verdächtig, in elf Fällen gemeinschaftlich mit den Mitbeschuldigten Y. A. und I. A. in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt zu haben, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregte oder unterhielt, sowie in weiteren 23 Fällen eine solche Tat versucht zu haben.

a) Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand besteht der dringende Verdacht, dass

- die Al Qaeda ihr Ziel, im Wege des gewaltsamen Jihad (Heiliger Krieg) einen islamischen Gottesstaat zu errichten, durch die Begehung von Terrorakten

- darunter auch Bombenanschläge - verfolgt, die von Mitgliedern der Al Qaeda selbst begangen werden, oder deren Täter dabei von Mitgliedern dieser Vereinigung unterstützt werden;

- sich der Beschuldigte in Deutschland an dieser Vereinigung als Mitglied beteiligt hat, indem er nach Aufenthalten in den Ausbildungslagern der Al Qaeda in Afghanistan nach Deutschland zurückkehrte, um von hier aus Freiwillige für den Jihad zu rekrutieren und für die finanzielle Unterstützung der Organisation zu sorgen;

- der Beschuldigte spätestens im Sommer 2004 mit dem Mitbeschuldigten Y. A. übereinkam, durch die Begehung von Betrugstaten zum Nachteil von Lebensversicherungsgesellschaften hohe Geldsummen zu erlangen; zu diesem Zweck sollte alsbald nach dem Abschluss von Verträgen auf den Mitbeschuldigten Y. A. dessen tödlicher Verkehrsunfall in Ägypten vorgetäuscht werden; alsdann sollten von dem Beschuldigten zusammen mit dem Mitbeschuldigten I. A. , dem Begünstigten der Verträge, die Versicherungssummen geltend gemacht werden; von dem Erlös sollte Al Qaeda ein Fünftel bis ein Drittel zukommen; in Verfolgung dieses Plans gelang den Beschuldigten der Abschluss von elf Lebensversicherungsverträgen mit einer Gesamtversicherungssumme von über 1,3 Millionen Euro. Mit Eingehung des Vertrages waren die Versicherungsgesellschaften geschädigt, weil sie dem Risiko ausgesetzt waren, innerhalb kurzer Zeit hohe Versicherungsleistungen auszahlen zu müssen, ohne dass dem eine adäquate Gegenleistung gegenüberstand (vgl. BGH StV 1985, 368). In 23 weiteren Fällen stellten die Beschuldigten Anträge auf Lebensversicherungen mit einer Gesamtversicherungssumme von mehr als 3 Millionen Euro, ohne dass es zu Vertragsabschlüssen kam.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Tatvorwürfe, insbesondere zu Entstehung, Struktur und Zielen der Vereinigung Al Qaeda, ihrer terroristischen Ausrichtung und der mitgliedschaftlichen Betätigung des Beschuldigten wird im Übrigen auf die Gründe des Haftbefehls vom 24. Januar 2005 Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten der Versicherungsverträge wird auf die Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts im Haftprüfungsverfahren vom 20. Juli 2005 Bezug genommen.

b) Der dringende Verdacht, dass es sich bei Al Qaeda nach ihrer Struktur um eine Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129 a StGB handelt, sowie ihre terroristischen Zwecke und Tätigkeiten sind durch einen Auswerte- und Erkenntnisbericht des Bundeskriminalamts vom 13. Oktober 2004 sowie durch die Ergänzung zu diesem Bericht vom 4. Mai 2005 belegt.

Der dringende Verdacht hinsichtlich der Mitgliedschaft des Beschuldigten und seiner Aktivitäten für Al Qaeda ergibt sich aus den Ergebnissen der durchgeführten Telekommunikations- und Wohnraumüberwachungen sowie aus den Bekundungen von Vertretern der Versicherungen und der Auswertung der Vertragsunterlagen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 24. Januar 2005 sowie auf die Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts im Haftprüfungsverfahren vom 20. Juli 2005 Bezug genommen.

c) Die Ergebnisse der Überwachungsmaßnahmen sind auch insoweit verwertbar, als diese aufgrund des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes Rheinland-Pfalz (POG RhPf) durchgeführt worden sind. Die Erkenntnisse dürfen hier nach § 100 d Abs. 6 Nr. 3 StPO (§ 100 f Abs. 2 StPO aF) zu Beweiszwecken im Strafverfahren verwendet werden.

Der Erlangung der Erkenntnisse nach § 29 Abs. 1 POG RhPf stehen durchgreifende Bedenken nicht entgegen. Die Vorschrift erlaubt die Datenerhebung nur zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und nicht zur "Vorsorge für die Verfolgung" (vgl. insoweit BVerfG, Urt. vom 27. Juli 2005 - 1 BvR 668/04 - zu § 33 a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 SOG Nds). Die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die gesetzliche Ermächtigung zur Überwachung von Wohnraum zum Zweck der Strafverfolgung aufgestellt hat (BVerfG NJW 2004, 999 = NStZ 2004, 270), führen - übertragen auf die landesgesetzliche Regelung zur präventiven Wohnraumüberwachung - entgegen der Ansicht der Verteidigung nicht zur Unverwertbarkeit der Erkenntnisse. Das Bundesverfassungsgericht hat §§ 100 c ff. StPO aF zwar als teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt und den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 30. Juni 2005 einen verfassungsgemäßen Rechtszustand herzustellen, jedoch die weitere Anwendung der beanstandeten Normen unter Berücksichtigung des Schutzes der Menschenwürde und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bis zu diesem Zeitpunkt erlaubt (BVerfG NStZ 2004, 270, 273). Es ist nicht ersichtlich, dass die hier durchgeführten Überwachungsmaßnahmen gegen diese einschränkenden Voraussetzungen verstoßen hätten.

Der Senat muss nicht abschließend entscheiden, ob die genannten Anordnungsbeschlüsse durch die landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage in jeder Beziehung gedeckt waren, denn sie waren jedenfalls vertretbar (vgl. BGHSt 47, 362; BGHR POG-RhPf § 25 b Lausch-Eingriff 1). Insbesondere ist nicht zu besorgen, dass die Polizeibehörden in einer Situation, in der Tatsachen den Verdacht einer Straftat nach § 129 b StGB begründet haben, und in der Ziel der Maßnahmen die weitere Aufklärung des Sachverhalts zum Zweck der Strafverfolgung war, die polizeirechtlichen Anordnungen herbeigeführt haben, um so die engeren Voraussetzungen zu unterlaufen, die die Strafprozessordnung an die Durchführung repressiver Maßnahmen stellt.

Soweit die Verteidigung Bedenken gegen den Beschluss des Landgerichts daraus ableitet, dass dieser Beschluss entgegen § 29 Abs. 4 Satz 2 POG RhPf nicht befristet war, ist diese Frist jedenfalls dadurch eingehalten worden, dass rechtzeitig vor ihrem Ablauf der erforderliche gerichtliche Verlängerungsbeschluss erwirkt worden ist.

d) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz zur strafrechtlichen Verfolgung gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB ist erteilt worden.

2. Aus den im Haftbefehl vom 24. Januar 2005 genannten Gründen, auf die Bezug genommen wird, besteht weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie der besondere Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO. Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Im Hinblick auf den besonderen Umfang und die besonderen Schwierigkeiten der Ermittlungen ist das Verfahren noch mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Die Ermittlungen zu den Versicherungsverträgen konnten erst im Juni 2005 zum Abschluss gebracht werden. Die umfangreichen Erkenntnisse aus der Wohnraum- und Telekommunikationsüberwachung mussten übersetzt und ausgewertet werden. Diese Umstände haben den Abschluss der Ermittlungen, der jetzt aber zeitnah zu erwarten ist, noch nicht zugelassen und rechtfertigen noch die Fortdauer der Untersuchungshaft.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zur Bedeutung der Sache und der für den Beschuldigten im Falle seiner Verurteilung zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Ende der Entscheidung

Zurück