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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.10.1998
Aktenzeichen: AnwZ (B) 26/98
Rechtsgebiete: BRAO
Vorschriften:
BRAO § 7 Nr. 5 | |
BRAO § 42 Abs. 3 | |
BRAO § 42 Abs. 4 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
5. Oktober 1998
In dem Verfahren
wegen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert, die Richter Dr. Fischer, Basdorf und Dr. Ganter, die Rechtsanwälte Dr. von Hase und Dr. Kieserling sowie die Rechtsanwältin Dr. Christian am 5. Oktober 1998
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Thüringer Anwaltsgerichtshofs vom 1. September 1997 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und dem Antragsteller die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 90.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der im Jahre 1946 geborene Antragsteller studierte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Rechtswissenschaft und schloß seine Ausbildung im Jahre 1972 mit dem akademischen Grad des Diplom-Juristen ab. Anschließend war er als Justitiar im VEB Straßen- und Tiefbaukombinat E. und seit 1975 als vom Bezirksbaudirektor beauftragter Justitiar für das örtlich geleitete Bauwesen des Bezirks E. tätig. Im August 1981 wurde ihm zusätzlich die Funktion eines Leiters des Büros des Bezirksbaudirektors übertragen. Ab 1990 bis zum 31. Mai 1991 arbeitete der Antragsteller zunächst als Regierungsbevollmächtigter der Bezirksverwaltungsbehörde E., später dann als Mitarbeiter der Zentralabteilung des Thüringer Innenministeriums auf dem Gebiet der Rechtsangleichung. Von Juli 1994 bis September 1994 war er als Hotelier tätig.
Am 5. September 1994 beantragte der Antragsteller, ihn zur Rechtsanwaltschaft im Freistaat Thüringen zuzulassen. Zugleich erklärte er - wie schon am 13. November 1990 gegenüber dem damaligen Thüringischen Ministerpräsidenten - "niemals offiziell oder inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR gearbeitet" zu haben. In den Archiven des Bundesbeauftragten befinden sich Unterlagen, wonach der Antragsteller in der Zeit zwischen dem 24. März 1981 und dem 24. September 1985 als inoffizieller Mitarbeiter/Sicherheit (IMS) unter dem Decknamen "Hermann" für das MfS gearbeitet haben soll. Das vom Thüringer Ministerium für Justiz und Europaangelegenheiten eingeholte Gutachten der Antragsgegnerin vom 1. November 1995 gelangte zu dem Ergebnis, daß dem Antragsteller deshalb die Zulassung gemäß § 7 Nr. 5 BRAO zu versagen sei. Der vom Antragsteller daraufhin angerufene Anwaltsgerichtshof hat festgestellt, daß der Versagungsgrund aus § 7 Nr. 5 BRAO nicht vorliegt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 3 u. 4 BRAO) hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Anwaltsgerichtshof hat zu Recht angenommen, daß dem Antragsteller die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht nach § 7 Nr. 5 BRAO versagt werden darf.
1. Als unwürdig im Sinne dieser Vorschrift ist ein Bewerber anzusehen, der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Zulassung bei Abwägung seines schuldhaften Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf (noch) nicht tragbar ist (Senatsbeschl. v. 21. November 1994 - AnwZ (B) 54/94, BRAK-Mitt. 1995, 71; v. 18. November 1996 - AnwZ (B) 19/96, BRAK-Mitt. 1997, 122; v. 16. Februar 1998 - AnwZ (B) 72/97). Hat der Bewerber dem MfS Informationen über Dritte zugetragen, so kann ihm aus diesem Grunde die Zulassung nur versagt werden, sofern er durch im einzelnen verifizierbare Handlungen erhebliche Schuld auf sich geladen hat. Demnach müssen weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten auch bei Berücksichtigung der staatlichen Ordnung, die in der DDR gegolten hat, und der Aufgabe, die dem MfS damals zur Aufrechterhaltung des herrschenden repressiven Systems zukam, objektiv und subjektiv besonders verwerflich erscheinen lassen (BVerfGE 93, 213, 244; Senatsbeschl. v. 16. Februar 1998 - AnwZ (B) 72/97 u. 76/97).
2. In den Unterlagen des Bundesbeauftragten befinden sich insgesamt 75 Berichte des Antragstellers, davon 63 mit personenbezogenem Inhalt. Diese Berichte betreffen fast ausschließlich Personen, die der Antragsteller im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit kennengelernt hat. Sie behandeln häufig berufliche Fähigkeiten und charakterliche Eigenschaften der Genannten und enthalten in einigen wenigen Fällen auch Hinweise auf die Begehung von Straftaten, darunter auch solche mit politischem Inhalt (vgl. Anl. 1/11 und 1/34 zum Bericht des Bundesbeauftragten). Daß den betroffenen Personen infolge dieser Berichte erhebliche Nachteile, etwa durch systembezogene Verfolgungsmaßnahmen, entstanden sind, ist nicht bekannt geworden. Es kann dahingestellt bleiben, ob in den vom Antragsteller zu verantwortenden Berichten ein schwerer Verstoß gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit zu sehen ist. Jedenfalls kann infolge des seitdem vergangenen Zeitraums von mehr als 13 Jahren in dem genannten Verhalten kein Grund mehr gesehen werden, der den Antragsteller noch heute unwürdig zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs erscheinen läßt (vgl. Senatsbeschl. v. 16. Februar 1998 - AnwZ (B) 76/97).
3. Dem Antragsteller darf auch nicht deshalb die Zulassung versagt werden, weil er die Frage, ob er für das MfS gearbeitet habe, zweimal verneint hat. Allerdings können nach der Rechtsprechung des Senats bewußt unwahre Angaben eines Anwaltsbewerbers zur Annahme seiner Unwürdigkeit im Sinne von § 7 Nr. 5 BRAO führen, insbesondere, wenn es sich um planmäßig über einen längeren Zeitraum geübte arglistige Machenschaften handelt oder die unwahren Angaben im Zulassungsverfahren zwecks Täuschung der Zulassungsbehörde gemacht werden (Beschl. v. 17. Juni 1996 - AnwZ (B) 54/95, DtZ 1997, 160). Der Senat sieht es jedoch ebenso wie der Anwaltsgerichtshof nicht als erwiesen an, daß der Antragsteller die Zulassungsbehörde hinsichtlich seiner Tätigkeit für das MfS hat täuschen wollen.
a) Der Antragsteller hat sich im Zulassungsverfahren dahin eingelassen, er sei nicht als IM verpflichtet worden. Die vorliegenden Berichte seien zwar von ihm gegeben worden, jedoch in seiner Funktion als Leiter des Büros des Bezirksbaudirektors. Das MfS habe sich mit Auskunftsersuchen persönlich an den Bezirksbaudirektor gewandt, der die Beantwortung jeweils an den Antragsteller delegiert habe. Die vom MfS verlangten Berichte hätten sich nicht nur auf Fachfragen, sondern auch auf eine Schilderung der politischen Lage und auf Angaben zu einzelnen Personen bezogen. Der Deckname "Hermann" sei ihm nicht bekannt gewesen; er habe die von ihm handschriftlich gefertigten Berichte nicht mit diesem Namen gezeichnet.
Diese Darstellung ist dem Antragsteller nicht zu widerlegen. Eine Personalakte über den Antragsteller befindet sich nicht bei den Unterlagen des Bundesbeauftragten. Auch ein Dokument, das die Verpflichtung des Antragstellers als IM belegt, ist nicht vorhanden. Die damaligen Stasi-Mitarbeiter L., Sch. und H. haben in einer schriftlichen Erklärung vom 16. Oktober 1996 bestätigt, daß alle Berichte des Antragstellers zuvor mit der Führung des Bauamtes abgestimmt worden seien, daß man die angeforderten Berichte erst auf der Dienststelle des MfS mit dem Decknamen "komplettiert" habe und der Antragsteller nie als IM verpflichtet worden sei. Schließlich gelangt das vom Anwaltsgerichtshof eingeholte Gutachten zu dem Ergebnis, die Namenszüge "Hermann" seien in zwei Fällen wahrscheinlich von einer anderen Person hinzugefügt worden; in den übrigen Fällen lasse sich weder eine Urheberschaft des Antragstellers, noch eine Handhabung, wie er sie behauptet, ausschließen.
b) Der Antragsteller hat sich zudem schon im Jahre 1992 - nach dem Erscheinen eines Artikels im "Spiegel", der ihn als IM bezeichnete - selbst an den Bundesbeauftragten gewandt und um Aufklärung gebeten, ob er möglicherweise wegen seiner dienstlichen Kontakte zum MfS dort als IM geführt worden sei. Der Antragsteller hat bei seiner Anhörung in diesem Verfahren am 26. Januar 1995 auf diese eigenen Bemühungen hingewiesen und der Zulassungsbehörde den insoweit angefallenen Schriftwechsel zugänglich gemacht. Auch dies deutet darauf hin, daß er seine Zulassung als Rechtsanwalt nicht durch unwahre Angaben über seine Tätigkeit für das MfS erschleichen wollte.
Ende der Entscheidung
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