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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.10.1998
Aktenzeichen: AnwZ (B) 30/98
Rechtsgebiete: RAG, BRAO, RNPG, StGB-DDR


Vorschriften:

RAG § 38 Abs. 1 Nr. 3
BRAO Neuordnungsgesetz Art. 21
BRAO § 42 Abs. 1 Nr. 3
RNPG § 1 Abs. 2
StGB-DDR § 99
StGB-DDR § 100
StGB-DDR § 97
StGB-DDR § 213
StGB-DDR § 213 Abs. 1
StGB-DDR § 214
StGB-DDR § 219
StGB-DDR § 336
StGB-DDR § 62 Abs. 3
StGB-DDR § 22 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

AnwZ (B) 30/98

vom

5. Oktober 1998

In dem Verfahren

wegen Rücknahme der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert, die Richter Dr. Fischer, Basdorf und Dr. Ganter, die Rechtsanwälte Dr. von Hase und Dr. Kieserling sowie die Rechtsanwältin Dr. Christian

nach mündlicher Verhandlung

am 5. Oktober 1998 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des 1. Senats des Sächsischen Anwaltsgerichtshofs beim Oberlandesgericht Dresden vom 6. März 1998 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und dem Antragsgegner die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 90.000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Die im Jahre 1952 geborene Antragstellerin schloß ihr rechtswissenschaftliches Studium im Jahre 1977 mit dem Grad einer Diplom-Juristin ab. Mit Wirkung vom 1. September 1978 war sie als Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft des Kreises G. und L. tätig. Im Jahre 1982 wurde sie an die Staatsanwaltschaft des Bezirks L. versetzt und bearbeitete von da an in der Abteilung I a insbesondere politische Strafsachen, die vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ermittelt worden waren. Im September 1988 wurde die Antragstellerin in eine andere Abteilung versetzt, deren Leitung sie bald darauf übernahm. Ab 1. März 1990 bis zu ihrem Ausscheiden am 31. Juli 1990 bearbeitete sie ein allgemeines Strafdezernat. Seit dem 1. August 1990 ist sie als Rechtsanwältin zugelassen.

Mit Bescheid vom 22. Juni 1995 hat der Antragsgegner die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückgenommen, weil die Antragstellerin sich bei der Bearbeitung von politischen Strafsachen als Staatsanwältin eines Verhaltens schuldig gemacht habe, das sie unwürdig erscheinen lasse, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 38 Abs. 1 Nr. 3 RAG, Art. 21 BRAO Neuordnungsgesetz, § 42 Abs. 1 Nr. 3 BRAO), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu Recht zurückgewiesen.

1. Die angefochtene Verfügung beruht auf § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter (RNPG) vom 24. Juli 1992 (BGBl. I S. 1386). Danach können vor dem 15. September 1990 ausgesprochene Zulassungen zur Rechtsanwaltschaft mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden, wenn sich der Rechtsanwalt vor seiner Zulassung eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen läßt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben, weil er gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit insbesondere im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes verstoßen hat. Das Gesetz ist jedoch nicht auf diese Personengruppe beschränkt. Es sollte vielmehr zugleich eine Rechtsgrundlage schaffen, um Juristen aus der Rechtsanwaltschaft zu entfernen, die auf andere Weise in das SED-Unrechtssystem verstrickt, beispielsweise an unberechtigten Freiheitsentziehungen beteiligt waren (vgl. Regierungsentwurf des Gesetzes, BT-Drucks. 12/2169 S. 6). Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, kann ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit auch durch die Mitwirkung als Richter oder Staatsanwalt an Urteilen in politischen Strafsachen begründet sein (Senatsbeschl. v. 24. Oktober 1994 - AnwZ (B) 30/94, BRAK-Mitt. 1995, 76; v. 9. Dezember 1996 - AnwZ (B) 33/96, BRAK-Mitt. 1997, 89; v. 31. Januar 1997 - AnwZ (B) 8/96, BRAK-Mitt. 1997, 204, 205; v. 29. September 1997 - AnwZ (B) 27/97, BRAK-Mitt. 1998, 89, 90; v. 16. Februar 1998 - AnwZ (B) 69/97).

a) Nicht jede Tätigkeit in der politische Strafsachen betreffenden Rechtsprechung der ehemaligen DDR rechtfertigt allerdings den Vorwurf eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit. Bei der Beurteilung des in Rede stehenden Verhaltens ist von dem Rechtssystem auszugehen, in das Richter und Staatsanwälte damals eingebunden waren. Sie hatten gerade im Bereich des politischen Strafrechts Vorschriften anzuwenden, die rechtsstaatlichen Anforderungen weder inhaltlich noch formal genügten. Es wäre daher mit dem Inhalt des Grundrechts der Berufsfreiheit nicht vereinbar, jeden Juristen, der aufgrund seines damaligen Amtes mit jenen Normen befaßt war, gleichsam automatisch von der Rechtsanwaltschaft fernzuhalten. Für die Prüfung, ob ein Rechtsanwalt vor seiner Zulassung durch die Tätigkeit in politischen Strafsachen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, ist vielmehr stets auf die konkrete Rechtsanwendung abzustellen (Senatsbeschl. v. 31. Januar 1997, aaO; v. 29. September 1997, aaO; v. 16. Februar 1998, aaO).

b) Ein zulassungsrechtlich erheblicher Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschlichkeit fällt jedoch dem Rechtsanwalt zur Last, der die einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuches oder der Strafprozeßordnung der DDR damals exzessiv zum Nachteil des Angeklagten ausgelegt und angewendet oder bei der Strafverfolgung Menschenverachtung an den Tag gelegt hat. Dies kann insbesondere dadurch geschehen sein, daß die angeordneten Rechtsfolgen auch auf der Grundlage des damals geltenden DDR-Strafrechts in grobem Mißverhältnis zu der abgeurteilten Tat stehen (Senatsbeschl. v. 24. Oktober 1994, aaO; v. 29. September 1997, aaO; v. 16. Februar 1998, aaO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Rechtsanwalt sich bei seiner früheren Tätigkeit der Rechtsbeugung schuldig gemacht hat; einen derartig engen Prüfungsmaßstab fordert Art. 12 GG nicht (BVerfG, Beschl. v. 28. Mai 1997 - 1 BvR 304/97, BRAK-Mitt. 1997, 211, 212; Senatsbeschl. v. 31. Januar 1997, aaO). Die Wahrnehmung der Aufgaben eines Rechtsanwalts im wiedervereinigten Deutschland durch einen ehemaligen Richter oder Staatsanwalt der DDR kann sowohl für den Berufsstand als auch das rechtsuchende Publikum bereits dann eine unerträgliche, nicht hinnehmbare Belastung darstellen, wenn er für eine Rechtsanwendung verantwortlich ist, die für die davon Betroffenen zu unerträglichen, offensichtlich rechtsstaatswidrigen Beeinträchtigungen geführt hat (Senatsbeschl. v. 29. September 1997, aaO; v. 16. Februar 1998 aaO; vgl. auch BGHSt 41, 247, 256). Dabei steht der Annahme eines groben Mißverhältnisses zwischen der angeordneten Rechtsfolge und der ihr zugrundeliegenden Tat nicht entgegen, daß in vergleichbaren anderen Fällen ähnlich hohe unverhältnismäßige Strafen verhängt wurden (Senatsbeschl. v. 31. Januar 1997, aaO).

Da der in einem Rechtsstaat selbstverständliche Grundsatz einer freien, von hoheitlichen Weisungen unabhängigen Advokatur in der DDR nicht galt, Rechtsanwälte dort vielmehr in das herrschende gesellschaftliche und politische System eingebunden waren, kann die gegen einen Angeklagten verhängte Strafe im Einzelfall auch dann offensichtlich unverhältnismäßig und grob gesetzwidrig sein, wenn sie dem Antrag der Verteidigung entsprach oder nur gering über ihn hinausging.

2. Die Antragstellerin hat in zahlreichen politischen Strafsachen durch die Art ihrer Mitwirkung, vor allem die von ihr gestellten Strafanträge, Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit in schwerwiegender Weise verletzt.

a) Strafverfahren mit Schwerpunkt auf §§ 99, 100 StGB-DDR

aa) Die vom Anwaltsgerichtshof (AGH) unter I Ziffer 1.3 bis 1.5, 1.7 bis 1.9, 1.11 bis 1.13, 1.15 und 1.17 geschilderten elf Verfahren (Urteilssammlung Nr. 3, 5, 6, 9, 45, 46, 48, 50, 52, 57 und 61) richteten sich gegen insgesamt 17 Personen, denen im wesentlichen zur Last gelegt wurde, nach Ablehnung ihrer Ausreiseanträge sich mit der Bitte um Hilfe an amtliche bundesdeutsche Stellen, insbesondere die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR, das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen und deutsche Botschaften in Osteuropa sowie an die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGfM) gewandt zu haben. Je einmal waren auch das Zweite Deutsche Fernsehen und die Organisation "Hilferuf von drüben" eingeschaltet worden. Diese Bemühungen wurden rechtlich als landesverräterische Agententätigkeit (§ 100 StGB-DDR) gewertet und, soweit die Betroffenen nach Auffassung des Gerichts darüber hinausgehende Tatsachen mitgeteilt hatten, als landesverräterische Nachrichtenübermittlung (§ 99 StGB-DDR; vgl. AGH I Ziffer 1.4, 1.7 und 1.8) geahndet. Soweit daneben weitere Straftatbestände verwirkt waren, hatten diese nur untergeordnete Bedeutung; denn die Strafe wurde jeweils § 99 bzw. § 100 StGB-DDR entnommen.

Die Urteile in diesen Verfahren ergingen zwischen dem 4. April 1983 und dem 14. November 1985. Zwei Personen, deren Bemühungen schon im Versuchsstadium steckengeblieben waren, wurden gemäß § 100 Abs. 2 StGB-DDR zu Freiheitsstrafen von je einem Jahr verurteilt (AGH I Ziffer 1.9 und 1.13). Gegen die übrigen durchweg nicht vorbestraften 15 Angeklagten wurden ausnahmslos Freiheitsstrafen zwischen zwei Jahren zwei Monaten und drei Jahren acht Monaten verhängt. Der Angeklagten oblag in allen Fällen die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft. Ihre Anträge lagen in keinem Fall unter den ausgesprochenen Strafen; dreimal hatte sie eine noch härtere Sanktion verlangt.

bb) Jedenfalls in der Verhängung der ausgesprochenen Freiheitsstrafen, die der Antragstellerin mitverantwortlich zuzurechnen sind, ist eine willkürliche Rechtsanwendung und infolgedessen eine offensichtlich schwere Menschenrechtsverletzung zu sehen.

(1) Nach § 99 Abs. 1 StGB-DDR war mit Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu zwölf Jahren bedroht, wer der Geheimhaltung nicht unterliegende Nachrichten zum Nachteil der Interessen der DDR an die in § 97 StGB-DDR näher bezeichneten Stellen (an eine fremde Macht, deren Einrichtungen oder Vertreter oder an einen Geheimdienst oder an ausländische Organisationen oder deren Helfer) übergab, für diese sammelte oder ihnen zugänglich machte. Damit eröffnete sich dem Wortlaut nach ein außerordentlich weiter Anwendungsbereich, der selbst einer Erfassung von Fällen nicht eindeutig entgegenstand, in denen sich ausreisewillige Bürger der DDR in der Erwartung, Hilfe zur Durchsetzung ihres Wunsches zu erlangen, an amtliche Stellen der Bundesrepublik Deutschland oder dort tätige Hilfsorganisationen gewandt und dabei lediglich ihre persönlichen Verhältnisse und ihre Bemühungen um die Übersiedlung geschildert hatten. Angesichts der besonders hohen Strafdrohung der Vorschrift war indessen die Annahme eines Nachteils der Interessen der DDR bei solchen Sachverhalten allenfalls dann noch rechtlich vertretbar, wenn die erteilten Informationen für den Nachrichtenempfänger ein gewisses Gewicht besaßen. Wurden dagegen längere Freiheitsstrafen verhängt, obwohl dem geahndeten Verhalten selbst bei denkbar großzügiger Würdigung der staatlichen Interessen der DDR und der damals herrschenden Rechtsvorstellungen allenfalls geringe Bedeutung zukam, lag darin ein unerträglicher und offensichtlicher Verstoß gegen die auch in der DDR gültigen Elementargebote der Gerechtigkeit und des völkerrechtlich anerkannten Menschenrechtsschutzes (BGH, Urt. v. 15. September 1995 - 5 StR 642/94, Verfassungsbeschwerde nicht angenommen durch BVerfG, Beschl. v. 7. April 1998 - 2 BvR 2560/95, NJW 1998, 2585; v. 15. November 1995 - 3 StR 527/94, BGHR StGB § 336 DDR-Recht 14).

Die hier nach § 99 StGB verurteilten Personen hatten den von ihnen angegangenen Organisationen lediglich Informationen über den Inhalt ihrer Ausreiseanträge und der an staatliche Stellen der DDR gerichteten Schreiben sowie teilweise über ihnen daraus entstandene berufliche Nachteile übermittelt. Diese Nachrichten waren für die Empfängerseite ersichtlich von geringem Informationswert, weil sie im wesentlichen den Angaben zahlreicher anderer Hilfesuchender entsprachen und keine neuen Erkenntnisse über Handlungsweise und Absicht der staatlichen Stellen der DDR eröffneten. Soweit aus der Sicht der DDR-Justiz gleichwohl ein Strafbedürfnis für solche Handlungen zu bejahen war, konnten sie ohne weiteres als Verstöße gegen § 219 StGB-DDR behandelt werden, eine Vorschrift, die die Verbindungsaufnahme zu Organisationen, Einrichtungen oder Personen mit gegen die DDR gerichteter Zielsetzung sowie die Verbreitung von den Interessen der DDR nachteiligen Nachrichten im Ausland unter Strafe stellte. Dies ist in der damaligen Rechtspraxis auch in zahlreichen gleichgelagerten Fällen geschehen. Das belegen schon die im angefochtenen Beschluß unter I Ziffer 5.1 bis 5.3, 5.5 bis 5.8 dargestellten Urteile. Schon damit wird der willkürliche Charakter der Verfolgung der hier betroffenen Personen nach §§ 99, 100 StGB-DDR offenbar.

Bei Anwendung von § 219 StGB-DDR wäre aber in Anbetracht des auch auf der Grundlage der damals geltenden Strafrechtsordnung geringen Unrechtsgehalts der Taten die Verurteilung zu Freiheitsstrafe ohne Bewährung zumal in der erkannten Höhe, angesichts des wesentlich niedrigeren Sanktionsrahmens, der Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, Verurteilung auf Bewährung oder Geldstrafe vorsah, ebenfalls als willkürliche Rechtsanwendung und offensichtliche schwere Menschenrechtsverletzung anzusehen gewesen (BGH, Urt. v. 15. September 1995 - 5 StR 642/94; v. 15. November 1995 - 3 StR 527/94, aaO).

(2) Wer zu den in § 97 StGB-DDR genannten Stellen oder Personen Verbindung aufnahm oder sich zur Mitarbeit anbot oder diese Stellen oder Personen in sonstiger Weise unterstützte, um die Interessen der DDR zu schädigen, war nach § 100 StGB-DDR mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu belegen. Die Verurteilung nach dieser Bestimmung beruhte ebenfalls auf einer willkürlichen Überdehnung der Norm; denn die Annahme, die Verfolgten hätten gehandelt, um die Interessen der DDR zu schädigen, ist - auch bei Zugrundelegen der damals herrschenden Rechtsvorstellungen - in diesen Fällen nicht mehr nachvollziehbar (vgl. BGH, Urt. v. 15. September 1995 - 5 StR 642/94; v. 15. September 1995 - 3 StR 527/94, aaO). Zwar hatten die Betroffenen zweifellos mit einer fremden Macht bzw. deren Einrichtung Verbindung aufgenommen. Die von § 100 StGB-DDR geforderte "staatsfeindliche Motivation" (vgl. Kommentar zum StGB der DDR, 3. Aufl. § 100 Anm. 3) dieser Verbindungsaufnahme läßt sich den festgestellten Sachverhalten aber ersichtlich nicht entnehmen. Den Betroffenen ging es allein um die Verwirklichung ihres Ausreisezieles. Die den bundesdeutschen Stellen oder in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Organisationen gegenüber geäußerten Bitten um Hilfe und Beratung enthielten keine die staatlichen Stellen der DDR diskriminierenden oder provozierenden Tatsachen. Nach dem Inhalt der ergangenen Urteile besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, daß die Bundesrepublik Deutschland nach dem Willen der Betroffenen mit konkreten Aktivitäten Druck auf die DDR ausüben sollte. Vielmehr kam es den Betroffenen allein darauf an, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren Fall im Rahmen des innerdeutschen Dialogs über humanitäre Fragen in irgendeiner Weise ins Gespräch brachte. Keines der ergangenen Urteile enthält demzufolge auch nur ansatzweise tatsächliche Feststellungen, die auf eine Absicht der Verurteilten hindeuten, Interessen der DDR zu schädigen. Bei gesetzmäßiger Anwendung des damals geltenden Strafrechts kam daher allenfalls eine Verurteilung nach § 219 StGB-DDR in Betracht; insoweit hätte aus den oben genannten Gründen aber keinesfalls auf eine derart hohe Freiheitsstrafe erkannt werden dürfen.

cc) Dem Umstand, daß mehrere der Verurteilten einen erheblichen Teil der gegen sie verhängten Freiheitsstrafen nicht verbüßen mußten, weil sie später von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft wurden, kommt entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin keine wesentliche Bedeutung für die Beurteilung ihres damaligen Verhaltens zu (vgl. BGH, Urt. v. 15. September 1995 - 5 StR 68/95, BGHR StGB § 336 DDR-Recht 9; v. 11. April 1997 - 3 StR 576/96). Bei Erlaß der Urteile war nicht hinreichend abzusehen, ob und gegebenenfalls wann ein Verurteilter auf diesem Wege freikommen würde. Daher ist grundsätzlich von den erkannten Strafen, die die Beschwerdeführerin mitzuverantworten hat, auszugehen. Soweit die Beschwerde andeutet, die Angeklagten seien mit ihrer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe einverstanden gewesen, weil sie bewußt diesen Weg gewählt hätten, um in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen, wäre auch dies unerheblich. Im übrigen haben sich dafür in keinem der hier behandelten Fälle konkrete Anhaltspunkte ergeben. Sollten die Freiheitsstrafen deshalb beantragt und verhängt worden sein, um die Bundesrepublik Deutschland zum Freikauf zu veranlassen und der DDR auf diese Weise Devisen zu beschaffen, wie die Beschwerdeführerin geltend macht, ergäbe sich daraus ohne weiteres, daß die beteiligten Richter und Staatsanwälte bewußt gesetzwidrig gehandelt und sich allein schon hierdurch wegen Rechtsbeugung strafbar gemacht hätten.

dd) Soweit die Betroffenen außer nach §§ 99, 100 StGB-DDR auch wegen Verstoßes gegen § 214 StGB-DDR (Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit) verurteilt wurden (AGH I Ziffer 1.4 und 1.12), ging es jeweils darum, daß sie an sogenannten stillen Protesten teilgenommen hatten. Ein solches Verhalten rechtfertigte aber unter keinen Umständen die Verhängung einer Freiheitsstrafe; insoweit wird auf die Ausführungen unten zu c) aa) verwiesen.

b) Strafverfahren mit dem Schwerpunkt auf § 213 StGB-DDR

aa) In den vom AGH unter I Ziffer 3.1 und 3.4 (Urteilssammlung Nr. 12 und 20) geschilderten Fällen wurden gegen insgesamt drei nicht vorbestrafte Angeklagte wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall (§ 213 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 4 und 5 StGB-DDR) mit Urteilen vom 9. März 1984 und 19. Februar 1988 Freiheitsstrafen zwischen zwei Jahren acht Monaten und drei Jahren vier Monaten verhängt.

(1) Die verurteilten Personen waren in dem Fahrzeug, das sie ausschleusen sollte, jeweils an der Grenze entdeckt worden. Die Antragstellerin hat auch in diesen Fällen die Sitzungsvertretung für die Staatsanwaltschaft wahrgenommen und darüber hinaus im Wege des Protestes gegen ein kreisgerichtliches Urteil, das zwei der genannten Angeklagten zu Freiheitsstrafen von je zwei Jahren verurteilt hatte, bewirkt, daß diese Strafen durch das Bezirksgericht auf zwei Jahre acht Monate erhöht wurden.

(2) Die Höhe der von der Antragstellerin mitzuverantwortenden Strafen begründete jeweils eine rechtsstaatswidrige Menschenrechtsverletzung zum Nachteil der Betroffenen (vgl. Senatsbeschl. v. 29. September 1997, aaO). Die den Angeklagten zur Last gelegten Taten waren zwar mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht, weil sie unter Ausnutzung eines Verstecks begangen worden waren (§ 213 Abs. 3 Nr. 4 StGB-DDR). Durch das Verhalten der Betroffenen wurden aber über den Versuch, das Land zu verlassen, hinausgehende Belange der DDR nicht berührt. Auch sonstige zugunsten der Angeklagten sprechenden Umstände, insbesondere, daß sie sämtlich nicht vorbestraft waren, wurden nicht berücksichtigt (vgl. auch StGB-Kommentar, aaO, § 62 Anm. 7).

Das Vorgehen der Antragstellerin war ersichtlich gerade darauf ausgerichtet, eine Verurteilung der Angeklagten ohne Berücksichtigung von Milderungsgründen, die sich aus dem straffreien Vorleben, persönlichen Motiven und den besonderen Umständen der Tat ergaben, durchzusetzen. Das zeigt besonders augenfällig die Begründung ihres Protests gegen das Urteil des Kreisgerichts L. vom 13. Januar 1988. Dieses hatte zugunsten der Angeklagten gewertet, daß ihr Entschluß maßgeblich durch das Verhalten der bereits illegal ausgereisten Schwester bzw. Tochter beeinflußt worden war, daß zwischenmenschliche familiäre Bindungen das Motiv ihrer Handlungen gewesen waren und die nicht vorbestraften Angeklagten bis zu ihrer Festnahme und auch nach der ersten Tatbegehung vorbildlich ihrer Arbeit nachgegangen waren. Gerade dies machte die Antragstellerin in der Begründung ihres Rechtsmittels dem Kreisgericht zum Vorwurf. Nach ihrer Auffassung sollte die Strafverfolgung in diesen Sachen hauptsächlich dazu dienen, die Bevölkerung von Versuchen, die Staatsgrenze ungenehmigt zu überschreiten, durch unnachsichtige Härte gegen die Angeklagten wirkungsvoll abzuschrecken. Diesem Ziel wurde das Recht des einzelnen Täters auf eine schuldangemessene Behandlung bedingungslos untergeordnet.

bb) In den vom AGH unter I Ziffer 3.2 und 3.8 dargestellten Fällen (Urteilssammlung Nr. 13 und 103 (2)) waren die insgesamt vier ebenfalls nicht vorbestraften Angeklagten mehrere Kilometer vor der Grenze, schon vor oder bei dem Verlassen der öffentlichen Verkehrsmittel aufgegriffen worden. Gleichwohl wurden sie, in Übereinstimmung mit den Anträgen der Antragstellerin, wegen eines strafbaren Versuchs zu Freiheitsstrafen von einem Jahr acht Monaten und einem Jahr zwei Monaten verurteilt. Wie der Senat bereits entschieden hat, stellt die Verhängung solcher Sanktionen gegenüber nicht vorbestraften Tätern, die nicht in unmittelbarer Nähe der Grenze entdeckt worden waren oder deren Tat jedenfalls noch weit entfernt war von einem Ansetzen zur Überwindung der Grenzeinrichtungen, eine unerträgliche Menschenrechtsverletzung dar, wenn nicht besondere Umstände hinzukamen (Senatsbeschl. v. 29. September 1997, aaO; v. 16. Februar 1998, aaO).

cc) In diesem Sinne ist auch das Urteil gegen einen Bürger der Bundesrepublik Deutschland vom 18. September 1985 zu werten, der in Übereinstimmung mit dem Strafantrag der Antragstellerin wegen Beihilfe zu § 213 StGB-DDR mit einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten belegt wurde, weil er versucht hatte, Gegenstände eines Ehepaares, das die DDR unerlaubt verlassen wollte, in die Bundesrepublik Deutschland auszuführen (AGH I Ziffer 3.3; Urteilssammlung Nr. 14). Im Hinblick darauf, daß das Urteil keine Tatsachen nennt, die in der gemeinsamen Tatbegehung des Ehepaares eine Erschwerung der Tat erkennen lassen (vgl. § 62 Abs. 3 StGB-DDR), § 213 Abs. 1 StGB-DDR außer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren eine Verurteilung auf Bewährung oder Geldstrafe vorsah und die Strafe bei bloßen Beihilfehandlungen zusätzlich gemildert werden konnte (§ 22 Abs. 4 StGB-DDR), ist die ausgesprochene Strafe, die in Übereinstimmung mit dem Strafantrag der Antragstellerin alle diese Gesichtspunkte unberücksichtigt ließ, als unerträgliche menschenrechtswidrige Sanktion anzusehen.

c) Strafverfahren mit dem Schwerpunkt auf § 214 StGB-DDR

Eine schwere Menschenrechtsverletzung ist weiter in der Mitwirkung der Beschwerdeführerin an den nachfolgenden drei Strafverfahren zu sehen, in denen entsprechend ihren Anträgen nicht vorbestrafte Angeklagte wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit zu den nachfolgend bezeichneten Freiheitsstrafen verurteilt wurden.

aa) In dem AGH I Ziffer 4.1 (Urteilssammlung Nr. 23) bezeichneten Verfahren wurden zwei Angeklagte am 28. September 1983 zu einem Jahr acht Monaten und einem Jahr zwei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie nach Ablehnung ihrer Ausreiseanträge gemeinsam mit ihren Ehefrauen an einem sogenannten stillen Protest in Jena teilgenommen hatten, der eine zweimal, der andere einmal.

Wie der Senat bereits in seinem Beschluß vom 16. Februar 1998 (AnwZ (B) 69/97) ausgeführt hat, ist schon kaum nachvollziehbar, daß ein solches Verhalten den Straftatbestand des § 214 StGB-DDR verwirklichte. Die vom Gericht bejahte Alternative einer Mißachtung der Gesetze in einer die öffentliche Ordnung gefährdenden Weise war nach den "Gemeinsamen Standpunkten" des Obersten Gerichts der DDR und des Generalstaatsanwalts der DDR vom 17. Oktober 1980 (Informationen des obersten Gerichts Sonderdruck/1980 S. 17, zitiert nach BGHSt 41, 247, 266) dann erfüllt, wenn der Täter in der Öffentlichkeit oder gegenüber staatlichen Organen und deren Vertretern in demonstrativer Weise, kategorisch und provokatorisch die Gesamtheit oder einzelne Gesetze der DDR herabwürdigte und z.B. ankündigte, sie als ungültig oder nicht verbindlich zu betrachten. Eine entsprechende Erklärung konnte auch in demonstrativen Handlungen zum Ausdruck kommen (StGB-Kommentar, aaO § 214 Anm. 4). Tatsachen, die geeignet sein könnten, das Verhalten der Angeklagten in dieser Weise zu würdigen, sind nicht festgestellt. Selbst wenn man jedoch annähme, bei einem an die äußerste Grenze der Auslegung gehenden Verständnis der Norm sei es noch möglich, in den beschriebenen Zusammenkünften einen Verstoß gegen das in § 214 StGB-DDR enthaltene Verbot zu sehen, handelte es sich jedenfalls um Bagatelldelikte, die mit Freiheitsstrafe geahndet wurden, obwohl die Vorschrift weniger einschneidende Sanktionen, insbesondere öffentlichen Tadel, Geldstrafe sowie eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe, vorsah. Das Verhalten der Antragstellerin begründet daher den Vorwurf einer schweren Menschenrechtsverletzung.

bb) In dem AGH I Ziffer 4.3 (Urteilssammlung Nr. 24) bezeichneten Verfahren wurde der Angeklagte am 8. Februar 1985 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, weil er während einer wissenschaftlichen Beratung eine Folie an die Leinwand projiziert hatte, in der Informationen über Dokumente und Gesetze zu dem von ihm gestellten Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft dargestellt waren. Auch dieses Verhalten, das nur bei äußerster Ausdehnung des Tatbestandes der Vorschrift als strafwürdig angesehen werden konnte und ersichtlich Bagatellcharakter hatte, wurde mit der verhängten Sanktion in offensichtlich unverhältnismäßiger Weise geahndet.

cc) In dem AGH I Ziffer 4.11 bezeichneten Verfahren (Urteilssammlung Nr. 34) wurde der Angeklagte am 10. Juli 1987 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zwei Monaten verurteilt, weil er vor Bescheidung seines Übersiedlungsantrags die Grenzübergangsstelle in Berlin, Invalidenstraße, aufgesucht, seinen Personalausweis vorgelegt und die Ausreise gefordert hatte. Außer den Grenzbeamten hatte keine außenstehende Person dieses Vorgehen bemerkt.

In einem solchen Verhalten ließ sich nur bei außerordentlich weitem Verständnis des Straftatbestandes eine Mißachtung der Gesetze in einer die öffentliche Ordnung gefährdenden Weise erkennen, wie sie die zweite Alternative der Vorschrift fordert. Jedenfalls stellt es eine schwere Menschenrechtsverletzung dar, entsprechende Handlungen, die selbst nach den Wertungen der damals geltenden rechtlichen Ordnung die Grenze zur Strafbarkeit allenfalls knapp überschritten hatten, mit Freiheitsstrafen ohne Bewährung zu belegen (BGHSt 41, 247, 273 ff; BGH, Urt. v. 15. September 1995 - 5 StR 168/95, v. 19. Februar 1998 - 5 StR 711/97, BGHR StGB § 336 DDR-Recht 29, Verfassungsbeschwerde nicht angenommen durch BVerfG, Beschl. v. 28. Juli 1998 - 2 BvR 432/98; Beschl. v. 31. Januar 1997 - AnwZ (B) 8/96, BRAK-Mitt. 1997, 204, 205). Die gefestigte Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs bejaht unter entsprechenden Voraussetzungen in der Regel eine Strafbarkeit der für solche Urteile verantwortlichen Berufsjuristen wegen Rechtsbeugung gemäß § 244 StGB-DDR. Der Bundesgerichtshof hat auch hier die Verurteilung der zuständigen Kammervorsitzenden wegen Rechtsbeugung (Urt. d. LG Leipzig v. 27. Februar 1997 - 5 KLs 835 Js 1756/92) durch Beschluß vom 23. Dezember 1997 (3 StR 401/97) gebilligt.

d) Strafverfahren mit dem Schwerpunkt auf § 219 StGB-DDR

Die vom AGH unter I Ziffer 5.1, 5.5, 5.7 und 5.8 geschilderten Verfahren (Urteilssammlung Nr. 36, 44, 89 und 93) richteten sich gegen Personen, denen Handlungen zur Last gelegt wurden, wie sie oben zu a) aa) beschrieben und in den dort genannten Verfahren als Straftaten nach §§ 99, 100 StGB abgeurteilt wurden. Obwohl hier nur eine Verfolgung nach § 219 StGB-DDR wegen ungesetzlicher Verbindungsaufnahme erfolgte, verhängten die in der Zeit zwischen dem 2. April 1984 und dem 7. Februar 1985 ergangenen Urteile in Übereinstimmung mit den Anträgen der Beschwerdeführerin ausnahmslos Freiheitsstrafen zwischen zwei Jahren acht Monaten und einem Jahr drei Monaten. Im Hinblick auf den auch aus der Sicht eines in der damaligen Rechtsordnung verhafteten Juristen geringen Unrechtsgehalts der angeklagten Taten sowie den Strafrahmen, den § 219 StGB-DDR zur Verfügung stellte, lag darin eine völlig unangemessene Sanktion, die als schwere Menschenrechtsverletzung zu werten ist (vgl. oben zu a) aa).

e) Die zu a) bis d) getroffenen Feststellungen beruhen auf den dem Senat vorliegenden Aktenauszügen der vorgenannten Verfahren, die insbesondere die Anklageschriften, die Urteile und eventuelle Rechtsmittelschriftsätze enthalten und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Dabei hat der Senat nicht wesentlich darauf abgestellt, ob die Antragstellerin die Anklageschriften jeweils selbst verfaßt hat. Maßgebend waren vielmehr die von ihr in allen Fällen gestellten Strafanträge; denn die Wertung, daß sie sich in erheblichem Umfang schwere Menschenrechtsverletzungen hat zuschulden kommen lassen, ergibt sich in aller Regel nicht aus der Tatsache, daß überhaupt Anklage erhoben wurde. Sie beruht vielmehr entscheidend auf Art und Höhe der auf ihren Antrag verhängten Sanktionen. Da das der Beschwerdeführerin insoweit zuzurechnende Verhalten sich aus den vorliegenden Urteilen deutlich ergibt und kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß die übrigen Aktenteile in diesem Zusammenhang wesentliche die Beschwerdeführerin entlastende Tatsachen enthalten, war dem Antrag, diese Akten vollständig beizuziehen, nicht zu folgen.

3. Der Senat kann dahingestellt lassen, ob weitere im angefochtenen Beschluß dokumentierte Urteile als schwere Verstöße gegen die Gebote der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit anzusehen sind. Schon infolge der Mitverantwortung für die hier zu 2. behandelten Entscheidungen erscheint die Antragstellerin im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht würdig, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Sie hat jahrelang ein für politische Strafsachen zuständiges staatsanwaltliches Referat bearbeitet. Aufgrund der dabei gewonnenen Erfahrungen sowie ihrer Ausbildung zur Diplom-Juristin lag es für sie auf der Hand, daß in den hier behandelten Fällen die gesetzlichen Tatbestände des politischen Strafrechts der DDR in exzessiver Weise angewandt und unangemessen hohe Strafen gegen ausreisewillige Angeklagte verhängt wurden. Abgesehen davon mußte ihr klar sein, daß die unverhältnismäßig harte Verfolgung der Ausreisewilligen gegen deren Menschenrechte verstieß, die in von der DDR anerkannten völkerrechtlichen Abkommen geschützt sind (vgl. BGHSt 40, 272, 278; 41, 247, 258). Die Beschwerdeführerin hat weder dargelegt, daß ihr in diesen Fällen eine offensichtliche Milderungsgründe berücksichtigende Beurteilung bei der Bemessung der beantragten Strafe damals nicht möglich oder nicht zumutbar war, noch sonstige Umstände aufgezeigt, die ihr Verhalten wenigstens subjektiv vertretbar erscheinen lassen.

4. Die Antragstellerin ist trotz der seither vergangenen Zeit gegenwärtig noch als unwürdig anzusehen, den Rechtsanwaltsberuf auszuüben. Das ihr als menschenrechtswidrig anzulastende Verhalten erstreckte sich über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren. Das erste hier behandelte Urteil ist am 17. November 1982, das letzte am 19. Februar 1988 ergangen. Zwar stammen die meisten Urteile, die sie in verwerflicher Weise mitbeeinflußt hat, aus den Jahren 1983 bis 1985, liegen also inzwischen 13 und mehr Jahre zurück. In Anbetracht der Zahl der hier als menschenrechtswidrig herausgestellten Urteile sowie der Belastungen, die die davon betroffenen Personen erlitten haben, gegen die in der Mehrzahl Freiheitsstrafen zwischen zwei und vier Jahren verhängt wurden, genügt die inzwischen vergangene Zeit noch nicht, um dem Interesse der Antragstellerin an beruflicher Eingliederung den Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der Integrität des Anwaltsstandes und einer funktionierenden Rechtspflege einzuräumen. Dabei verkennt der Senat nicht, daß die Antragstellerin nach der Wende beanstandungsfrei gearbeitet, am Aufbau der Beratungshilfe mitgewirkt sowie zehn Umschüler ausgebildet hat. Die Antragstellerin hat jedoch bewußt jahrelang an hervorgehobener Stelle des politischen Unterdrückungsapparats der DDR gewirkt. Dabei hat sie eine Aufgabe wahrgenommen, die damals in der Öffentlichkeit erhebliche Beachtung gefunden hat. Wenn solche in besonderem Maße vorbelastete Juristen jetzt als Rechtsanwälte tätig bleiben könnten, würde dies nicht nur bei ihren damaligen Opfern, sondern auch in großen Teilen der Öffentlichkeit mit Recht auf Unverständnis stoßen und das Vertrauen der Rechtsuchenden in die Integrität des Anwaltsstandes erschüttern (vgl. Senatsbeschl. v. 21. November 1994 - AnwZ (B) 54/94, BRAK-Mitt. 1995, 71; v. 29. September 1997 - AnwZ (B) 27/97; v. 16. Februar 1998 - AnwZ (B) 69/97). Aus diesen Gründen ist die Entziehung der Rechtsanwaltszulassung auch mit Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK, der das Recht einer Person auf Achtung ihres Eigentums schützt, vereinbar. Das öffentliche Interesse an der Integrität des Anwaltsstandes erfordert es, daß die Antragstellerin, die durch die Entziehung der Zulassung erst mit Rechtskraft dieser Entscheidung belastet wird, nicht vor dem Ende des Jahres 2002 wieder als Rechtsanwältin zugelassen wird.

Ende der Entscheidung

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