Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 02.04.2001
Aktenzeichen: AnwZ (B) 32/00
Rechtsgebiete: BRAO, BGB, StGB


Vorschriften:

BRAO § 15
BRAO § 8 a Abs. 1 Satz 1
BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 3
BRAO § 42 Abs. 1 Nr. 3
BRAO § 15 Satz 2
BGAO § 15 Satz 1
BGB § 6 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 1896 Abs. 1
BGB § 1896
StGB § 20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

AnwZ (B) 32/00

vom

2. April 2001

in dem anwaltsgerichtlichen Verfahren

wegen Widerrufs der Zulassung

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, die Richter Dr. Fischer, Basdorf und Dr. Ganter, die Rechtsanwälte Dr. Kieserling und Dr. Wüllrich sowie die Rechtsanwältin Dr. Hauger

am 2. April 2001 nach mündlicher Verhandlung

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. April 2000 wird zurückgewiesen.

Die im Beschwerdeverfahren zusätzlich gestellten Anträge werden als unzulässig abgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 100.000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der im Jahre 1919 geborene Antragsteller war 30 Jahre im richterlichen Dienst tätig, zuletzt von 1971 bis 1984 als Vorsitzender Richter am Landgericht S.. Nach seiner Pensionierung widmete er sich - wie schon während seiner beruflichen Tätigkeit - in erheblichem Umfang ehrenamtlichen Aufgaben in verschiedenen kirchlichen und sozialen Einrichtungen. Im Jahre 1989 gründete er einen Verein zur Förderung psychisch Kranker, den er vier Jahre lang leitete, ehe er ihn nach Auseinandersetzungen mit seinem Stellvertreter verließ.

Im Jahre 1998 gründete der Antragsteller die N'EURO Stiftung "für neurologische, psychosomatische und psychische Gesundheit, gegen Intoleranz und Inhumanität sowie Stiftung für Familienvorsorge". Persönlich sowie namens der Stiftung wandte sich der Antragsteller in der Öffentlichkeit entschieden gegen ein Baugesuch der Islamischen Bruderschaft L., das die Errichtung eines islamischen Zentrums betraf. Die Bruderschaft hatte gegen einen ablehnenden Bescheid der Stadt Klage erhoben und erzielte im Februar 1999 ein obsiegendes Urteil beim Verwaltungsgericht S..

Am 12. Mai 1999 beantragte der Antragsteller die Zulassung als Rechtsanwalt, die ihm von der Antragsgegnerin am 15. Juni 1999 erteilt wurde. Seit einem kritischen Artikel der L. Kreiszeitung über eine Veranstaltung der vom Antragsteller gegründeten Stiftung sieht dieser in dem Herausgeber der Zeitung, Konrad U., den Kopf einer mafiaähnlichen Verbindung ("Mafia-Präsident von Baden-Württemberg"), die unter anderem den Plan der Errichtung des islamischen Zentrums verfolge. Der Antragsteller verbreitete seine Auffassung in zahlreichen Schreiben an verschiedene im öffentlichen Leben stehende Personen und erhob darin auch den Vorwurf, U. habe sich durch Bestechung den Oberbürgermeister, die im Gerichtsverfahren zuständigen Richter sowie weitere einflußreiche Persönlichkeiten aus Justiz und Politik gefügig gemacht. Der Antragsteller stellte im Berufungsverfahren der Stadt L. gegen die islamische Vereinigung namens eines Stadtrats sowie der Stiftung N'EURO Anträge und versuchte erfolglos, deren Beiladung zu erreichen. Die Ablehnung des Antrags bezeichnete der Antragsteller als eine Erpressung des Vorsitzenden im Amte. In einem Schreiben vom 15. Oktober 1999 an den Präsidenten des OLG S. führte der Antragsteller aus, der "Mafia-Pate" Konrad U. beschäftige den Präsidenten seit einigen Jahren als Chef-Justizmanager in seinem Imperium, und bezichtigte weiter eine Reihe von Juristen der Rechtsbeugung.

Mit Schreiben vom 25. Oktober 1999 erklärte die Antragsgegnerin dem Antragsteller, es bestehe Anlaß zu überprüfen, ob seine Zulassung wegen gesundheitlicher Mängel zu widerrufen sei. Am 5. November 1999 forderte sie ihn auf, sich binnen eines Monats bei dem ihm von der Kammer benannten Facharzt für Neurologie und Psychiatrie untersuchen zu lassen. Dieser Auflage ist der Antragsteller nicht nachgekommen. Daraufhin hat die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 24. Januar 2000 die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß §§ 15, 8 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO "zurückgenommen". Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, der darüber hinaus beantragt, die Antragsgegnerin zu verurteilen, ihm allen zugefügten Schaden zu ersetzen - mindestens in Höhe von 2 Millionen DM - und die Antragsgegnerin zu verpflichten, alle Handlungen rückgängig zu machen, die die Staatsanwaltschaft S. auf ihre Veranlassung vorgenommen habe.

II.

Die im Beschwerderechtszug zusätzlich gestellten Anträge sind unzulässig; denn im Zulassungsverfahren ist kein Raum für die Entscheidung über Ansprüche auf Leistung von Schadensersatz oder auf Beseitigung von Handlungen, die nicht die Zulassung als Rechtsanwalt betreffen.

III.

Im übrigen ist das Rechtsmittel gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 3 BRAO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Antragsteller rügt, der Anwaltsgerichtshof sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Er beanstandet, daß sein gegen zwei Richter gerichtetes Ablehnungsgesuch zurückgewiesen worden ist. Ob das Verfahren des Anwaltsgerichtshofs in diesem Punkt rechtlich zu beanstanden ist, kann indessen dahingestellt bleiben. Der Senat hat als Beschwerdegericht die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ohne Bindung an die Feststellungen der Vorinstanzen zu beurteilen. Er ist daher selbst dann, wenn das Verfahren der Vorinstanz an einem wesentlichen Mangel leidet, befugt, in der Sache selbst zu entscheiden, sofern er dies nach seinem pflichtgemäßen Ermessen für sachdienlich erachtet. Das trifft auch für die Rüge zu, der Anwaltsgerichtshof sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen (BGHZ 77, 327, 329). Vorliegend besteht schon deshalb kein Grund, die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, weil das Ablehnungsgesuch des Antragstellers offensichtlich unbegründet war. Es stützte sich allein darauf, daß die beim Anwaltsgerichtshof zur Mitwirkung berufenen Richter dem Gericht angehören, dessen Präsidenten der Antragsteller ständig mit dem haltlosen Vorwurf überzieht, er gehöre zur Mafia-Bande des "Paten" Konrad U..

2. Wie bereits der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, ist mit der angefochtenen Verfügung trotz ihres Wortlauts nicht die Rücknahme, sondern der Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ausgesprochen worden. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt wegen Schwäche seiner geistigen Kräfte nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben, es sei denn, daß sein Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft die Rechtspflege nicht gefährdet. Die Vorschrift setzt nicht voraus, daß der Rechtsanwalt geisteskrank oder geistesschwach im Sinne des früheren § 6 Abs. 1 Nr. 1 BGB, geistig oder seelisch behindert im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB oder schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB ist. Ein Widerruf ist vielmehr schon dann begründet, wenn die körperlichen oder geistigen Mängel zur Folge haben, daß der Anwalt zur ordnungsmäßigen Berufsausübung, insbesondere zur sorgfältigen Wahrnehmung der Interessen der Rechtsuchenden, voraussichtlich dauernd außerstande ist (BGH, Beschl. v. 30. Oktober 1995 - AnwZ (B) 15/95 - BRAK-Mitt. 1996, 74; v. 14. Februar 2000 - AnwZ (B) 17/98).

Liegen Umstände vor, die ernsthaft darauf hindeuten, daß der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf nicht mehr sachgerecht ausüben kann, so hat die für den Widerruf nunmehr zuständige Rechtsanwaltskammer dem Anwalt aufzugeben, das Gutachten eines von ihr bestimmten Arztes über seinen Gesundheitszustand vorzulegen. Kommt der Rechtsanwalt dieser Aufforderung innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht nach, ohne zur Verweigerung berechtigt zu sein, wird vermutet, daß er aus dem Grund des § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO, der durch das Gutachten geklärt werden soll, nicht nur vorübergehend unfähig ist, seinen Beruf uneingeschränkt auszuüben (§ 224 a i.V.m. §§ 15, 8 a Abs. 1 Satz 1 BRAO).

3. In entsprechender Weise ist die Antragsgegnerin hier vorgegangen. Da der Antragsteller nicht bereit war, die Untersuchung bei dem ihm benannten Arzt vornehmen zu lassen, hat er die gesetzte Frist aus von ihm zu vertretenden Gründen versäumt. Die Antragsgegnerin hat die angegriffene Verfügung daher auf die aus § 15 Satz 2 BRAO folgende Vermutung gestützt. Dagegen wendet sich der Antragsteller vergeblich.

a) Der Antragsteller hat keine Gründe dargelegt, die ihn berechtigten, die Vorlage des Gutachtens zu verweigern. Vielmehr gaben die in der Widerrufsverfügung sowie dem Beschluß des Anwaltsgerichtshofs im einzelnen dargelegten Gründe hinreichende Veranlassung, daran zu zweifeln, daß der Antragsteller noch in dem zur Ausübung seines Berufs notwendigen Besitz seiner geistigen Kräfte ist. Schon die Art und Weise, wie sich der Antragsteller gegenüber Personen äußert, die seinen Anträgen nicht entsprechen oder in einer ihm wesentlichen Frage eine abweichende Auffassung vertreten, begründet Zweifel daran, daß er den in den jeweiligen Angelegenheiten erforderlichen geistigen Überblick sowie die Fähigkeit zu sachlicher Einordnung und Prüfung des Tatsachenstoffs besitzt (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 14. Februar 2000 aaO). Er sieht sich inzwischen von einer ständig größer werdenden "Mafia-Bande" unter Leitung des Herausgebers der L. Kreiszeitung verfolgt und betrachtet jeden, der in dem von ihm betriebenen Verfahren seinen Anträgen nicht entsprochen hat, als Mitglied eines verbrecherischen Kartells. Die Zahl der Personen, die der Antragsteller mit massivsten Beleidigungen belegt, hat sich deshalb innerhalb kurzer Zeit beträchtlich erhöht.

Die von ihm in diesem Verfahren eingereichten Schriftsätze begründen ebenfalls erhebliche Zweifel daran, daß er geistig noch in der Lage ist, in einer rechtlichen Auseinandersetzung belanglose Tatsachen von rechtserheblichen Umständen zu unterscheiden und den Prozeßstoff verständlich zu ordnen. So beantragt er etwa in diesem Beschwerdeverfahren die Vernehmung mehrerer Repräsentanten aus Politik und Justiz zu angeblich von diesen Personen begangenen Straftaten, also zu Vorgängen, die mit der Frage, ob der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen der anwaltlichen Berufsausübung nicht mehr gewachsen ist, für jedermann ersichtlich in keinerlei Zusammenhang stehen.

Das Auftreten des Antragstellers in Rechtsangelegenheiten hat inzwischen dazu geführt, daß das Vormundschaftsgericht ein Verfahren nach § 1896 BGB zur Prüfung, ob für den Antragsteller ein Betreuer zu bestellen ist, eingeleitet hat. Bei Gesamtbetrachtung aller dieser Umstände kann nicht zweifelhaft sein, daß für die Antragsgegnerin hinreichend Anlaß bestand, dem Antragsteller gemäß § 15 Satz 1 BRAO die Vorlage eines Gutachtens zur Frage seiner geistigen Gesundheit aufzugeben.

b) Ist danach zu vermuten, daß der Beschwerdeführer nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß wahrzunehmen, so ist damit zugleich eine Gefährdung der Rechtspflege bei einem Verbleiben des Beschwerdeführers in der Rechtsanwaltschaft indiziert. Ein Rechtsanwalt mit gesundheitlichen Mängeln, wie sie aufgrund der die gesetzliche Vermutung begründenden Regelung zwingend anzunehmen sind, kann nicht das leisten, was Rechtsuchende von einem Rechtsanwalt als unabhängigem Organ der Rechtspflege erwarten dürfen. Besondere Umstände, die es ausnahmsweise erwarten lassen, daß eine solche Gefährdung nicht besteht, sind beim Beschwerdeführer nicht gegeben. Schon im Hinblick darauf, daß er massiv versucht hat, im Namen Dritter in den Rechtsstreit zwischen der Islamischen Bruderschaft und der Stadt L. einzugreifen und allen Ernstes die Auffassung vertreten hat, die von ihm gegründete N'EURO Stiftung sei dort als gesetzlicher Vertreter der Stadt L. und ihrer Einwohner im Wege der Geschäftsführung ohne Auftrag gegen den Willen des Oberbürgermeisters Verfahrensbeteiligte, kann eine Gefährdung der Rechtspflege nicht ausgeschlossen werden, wenn der Beschwerdeführer seine Zulassung als Rechtsanwalt behält.

4. Mit dieser Entscheidung erledigt sich zugleich der Antrag des Beschwerdeführers gegen den von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 23. Mai 2000 angeordneten Sofortvollzug der Widerrufsverfügung.



Ende der Entscheidung

Zurück