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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.10.1998
Aktenzeichen: AnwZ (B) 54/97
Rechtsgebiete: BRAO, StPO


Vorschriften:

BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 8
BRAO § 42 Abs. 1 Nr. 3
BRAO § 42 Abs. 4
StPO § 132a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

AnwZ (B) 54/97

vom

5. Oktober 1998

in dem Rechtsstreit

- Antragsteller und Beschwerdeführer -

gegen

- Antragsgegner und Beschwerdegegner -

wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat am 5. Oktober 1998 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert, die Richter Basdorf, Terno und die Richterin Dr. Otten sowie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Salditt, Dr. Schott und Dr. Wüllrich nach mündlicher Verhandlung beschlossen:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs in Celle vom 9. Juni 1997 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen und dem Antragsgegner die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 100.000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wurde 1975 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Verfügung vom 7. März 1996 hat der Antragsgegner die Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO widerrufen. Mit Bescheid vom 21. November 1996 wurde die sofortige Vollziehung der Widerrufsverfügung angeordnet. Die dagegen gerichteten Anträge auf gerichtliche Entscheidung und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren - beschränkt auf die Aufhebung der Widerrufsverfügung und die insoweit ergangene Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs - weiter.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Nach § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, daß dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete schlechte Vermögensverhältnisse, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, geraten und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluß vom 29. September 1997 - AnwZ(B) 21/97).

Aufgrund der Vielzahl der gegen den Antragsteller - in der Widerrufsverfügung im einzelnen aufgeführten - titulierten Forderungen und Vollstreckungsverfahren ist der Anwaltsgerichtshof mit Recht davon ausgegangen, daß der Antragsteller zum Zeitpunkt des Erlasses der Widerrufsverfügung in Vermögensverfall geraten war. Dem steht nicht entgegen, daß für die Mehrzahl der von dem Antragsgegner als noch offen aufgeführten Forderungen eine - wenn auch erheblich verspätete und regelmäßig erst nach Erlaß eines Vollstreckungstitels - erfolgte Zahlung noch vor Erlaß der Widerrufsverfügung nachgewiesen worden ist. Weitere Forderungen in der Aufstellung wurden im Laufe des Jahres 1996, teilweise aber auch erst mit der Veräußerung eines Grundstücks des Antragstellers im Jahre 1997 beglichen. Auch insoweit sind in einigen Fällen vergebliche Pfändungsversuche vorangegangen. Zugleich ließ der Antragsteller weitere Vollstreckungsbescheide gegen sich ergehen. Zudem bestanden erhebliche Steuerrückstände.

Durch den Vermögensverfall waren die Interessen der Rechtsuchenden erheblich gefährdet. Der Antragsteller hat gerade auch Fremdgelder pflichtwidrig auf seinen Geschäftskonten belassen und nicht unverzüglich weitergeleitet. Er wurde deshalb wegen Untreue in 15 Fällen durch Urteil des Landgerichts O. vom 8. Juli 1998 zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und einem dreimonatigen Berufverbot verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Bereits mit Beschluß vom 1. November 1996 war gegen ihn gemäß § 132 a StPO ein vorläufiges Berufsverbot angeordnet worden. Die Staatsanwaltschaft hat ihm weiter mit Anklageschrift vom 6. Juli 1998 Untreue in zehn Fällen, begangen in der Zeit vom September 1994 bis August 1996, vorgeworfen.

Obwohl grundsätzlich der Zeitpunkt der Widerrufsverfügung maßgeblich ist, kann es im Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung noch berücksichtigt werden, wenn der Widerrufsgrund nachträglich zweifelsfrei weggefallen ist (BGHZ 75, 356; 84, 159, 160). Zu Recht hat der Anwaltsgerichtshof festgestellt, daß davon im Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht ausgegangen werden konnte. Selbst im Beschwerdeverfahren sind noch weitere Forderungen bekannt geworden, die gegen den Antragsteller klageweise geltend gemacht worden sind. In einem Teil der Verfahren sind gegen ihn Versäumnisurteile ergangen (AG O. Az.: 15 C 515/95 über 2.318,62 DM, Az.: 7 C 287/95 über 539,38 DM, Az.: 6 C 186/97 über 10.000,-- DM, Az.: 52 C 34/97 über 643,67 DM und Az.: 15 C 275/97 über 1.687,28 DM). Ferner haben das Amtsgericht O. am 7. Januar 1998 über 368,57 DM und am 12. Januar 1998 über 5.347,50 DM - und das Amtsgericht B. - am 3. Februar 1998 über 2.404,95 DM - Vollstreckungsbescheide gegen den Antragsteller erlassen; auch dies hat er nicht in Abrede gestellt.

Allerdings hat der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 1998 eine nachvollziehbare und hinsichtlich der Verbindlichkeiten belegte Aufstellung über sein Vermögen und seine Verbindlichkeiten vorgelegt. Danach bestanden Ende April 1998 noch Kreditverbindlichkeiten in Höhe von ca. 50.000,-- DM (Darlehen Sparkasse O. : 19.219,34 DM, Geschäftskonto 39537 Sparkasse O. : Sollsaldo 17.056,80 DM bei einem Kreditrahmen von 20.000,-- DM). Weiterhin hatte der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt noch Steuerrückstände von ca. 40.000,-- DM, außerdem waren Säumniszuschläge von ca. 20.000,-- DM angefallen. Der Antragsteller hofft auf einen Erlaß der Säumniszuschläge nach Begleichung der Steuerschulden, für die eine monatliche Tilgung von 2.000,-- DM mit dem Finanzamt vereinbart worden ist. Die weiteren bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden, vom Antragsgegner aufgelisteten Verbindlichkeiten hatte der Antragsteller mit Mitteln aus Veräußerungserlösen eines ihm gehörenden Grundstücks in Höhe von 1 Mio. DM und zweier weiterer ihm im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragener Grundstücke in Höhe von 250.000 DM und 310.000 DM bis auf ganz wenige Ausnahmen, bei denen er die Berechtigung der Forderung bestreitet, beglichen. Aus diesen Mitteln hat er auch den amtlich bestellten Vertreter für seine Tätigkeit für die Zeit bis Juni 1997 (ca. 45.000,-- DM) gezahlt. Der Antragsteller hat weiter von einem Wirtschaftsprüfer erstellte Gewinnermittlungen für 1996 und 1997 vorgelegt. Danach ergab sich für 1996 ein Verlust aus der Kanzlei in Höhe von 55.946,60 DM, dabei wurden nach den Ausführungen des Wirtschaftsprüfers Prozeßkosten in Höhe von 106.040,62 DM und weitere - nicht näher spezifizierte - Aufwendungen für die frühere Sozietät gewinnmindernd berücksichtigt. Für 1997 wurde ein Gewinn von 53.458,82 DM ermittelt, auch insoweit fielen als Betriebsausgaben Prozeßkosten in Höhe von 95.436,56 DM an. Der Antragsteller hat weiter angegeben, daß er über Privatvermögen - wert- vollen Hausrat, Waffen, Schmuck - im Wert von ca. 300.000,-- DM verfüge. Seine Ehefrau und er hätten Ersparnisse in Höhe von ca. 10.000,-- DM, der Rückkaufswert seiner Lebensversicherung belaufe sich auf ca. 15.000,-- DM. Die Haushaltskosten würden aus dem Gehalt seiner Ehefrau - nach seinem Schriftsatz vom 30. September 1998 monatlich netto 3.754,80 DM einschließlich Weihnachtsgeld - beglichen.

Auch wenn nicht zu verkennen ist, daß der Antragsteller erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um seine Verbindlichkeiten zu reduzieren, so kann doch ein zweifelsfreier Wegfall des Vermögensverfalls und eine dauerhafte Konsolidierung der finanziellen Situation des Antragstellers nicht festgestellt werden.

Da gegen den Antragsteller noch das vorläufige Berufsverbot besteht, fallen weiter erhebliche Beträge für die Tätigkeit des amtlich bestellten Vertreters an. Vor der Entscheidung über die Revision der Staatsanwaltschaft kann mit der Aufhebung der Anordnung kaum gerechnet werden. Nach der vorgelegten Bescheinigung sind für 1998 bisher ca. 6.000 DM, nach den Angaben des Antragstellers ca. 16.000 DM Vertreterkosten gezahlt. Weitere erhebliche Beträge sind am Jahresende fällig. Der Antragsteller hat zudem - wenn das Urteil des Landgerichts rechtskräftig wird - 25.000 DM als Bewährungsauflage zu zahlen, die er aus seinen Einkünften begleichen will. Daß der Antragsteller, dessen monatliches Einkommen nach der von ihm zum letzten Termin vorgelegten Gewinn- und Verlustrechnung mit ca. 3.000,-- DM brutto (ohne außerordentliche Erträge) anzusetzen ist, aber weiterhin große Mühe hat, seinen fälligen Verpflichtungen nachzukommen, ergibt sich daraus, daß nicht nur nach dem Termin vom 4. Mai 1998 zwei weitere Vollstreckungsbescheide (AG I. Az.: 11 B 439/98 vom 30. März 1998 über 5.347,50 DM und AG O. Az.: 48 B 761/98 vom 17. Juni 1998 über 563,76 DM) bekannt geworden sind (die Forderungen sind inzwischen beglichen). Auch unter dem 10. Juli 1998, 19. August 1998 und 27. August 1998 sind weitere Vollstreckungsbescheide ergangen (AG I. Az.: 11 B 1319/98 über 5.347,50 DM, AG O. Az.: 47 B 1257/98 über 2.722,63 DM, AG O. Az.: 47 B 1279/98 über 915,75 DM), Zahlungen waren bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlungen nicht erfolgt. Dabei handelt es sich bei der Forderung der Kraftfahrzeug GmbH über 5.347,50 DM nach den Angaben des Antragstellers um ständig anfallende Kosten für Akteneinlagerungen der alten Sozietät, für die, wie der Antragsteller weiß, von seinem früheren Sozius keine Zahlungen zu erhalten sind.

Ferner nahm das Finanzamt O. am 29. Juli 1998 eine Pfändung des Kontos des Antragstellers bei der Stadtsparkasse O. vor, die ausgesetzt wurde, nachdem er am 19. August 1998 einen Betrag von 7.080,-- DM für rückständige Raten auf seine Steuerschuld und für laufende Steuern geleistet hat. Auch wenn sich die Steuerrückstände zwischenzeitlich durch Steuererstattungen weiter vermindert haben, ist der Antragsteller weiterhin erhebliche Beträge an Säumniszuschlägen schuldig. Ob ein Erlaß der Säumniszuschläge erfolgen wird, bleibt abzuwarten.

Angesichts der angespannten Einkommenssituation - der Antragsteller hat allein an festen monatlichen Kosten Miete (privat) in Höhe von 1.760,-- DM, Unterhalt in Höhe von 500,-- DM, Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 644,--DM und Beiträge für die Altersversorgung in Höhe von 852,60 DM zu zahlen -, die ersichtlich immer wieder dazu führt, daß gegen ihn Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden müssen, liegt ein zweifelsfreier Wegfall des Widerrufsgrundes, der zur Vermeidung einer Verdoppelung des Verfahrens - Aufrechterhaltung des Entzuges der Zulassung durch den Bundesgerichtshof, sofortige Wiederzulassung auf erneuten Antrag des Rechtsanwalts - in der Beschwerdeinstanz ausnahmsweise noch berücksichtigt werden könnte (vgl. Feuerich/Braun, BRAO 3. Aufl. § 39 Rdn. 13), auch im Zeitpunkt der letzten Verhandlung vor dem Anwaltssenat nicht vor.



Ende der Entscheidung

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