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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.11.2005
Aktenzeichen: AnwZ (B) 82/04
Rechtsgebiete: BRAO


Vorschriften:

BRAO § 20 Abs. 1 Nr. 2
BRAO § 226
BRAO § 226 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

AnwZ (B) 82/04

vom 14. November 2005

in dem anwaltsgerichtlichen Verfahren

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofes Prof. Dr. Hirsch, den Richter Dr. Ganter, die Richterin Dr. Otten, den Richter Dr. Ernemann, die Rechtsanwälte Dr. Schott, Dr. Frey und Dr. Wosgien

am 14. November 2005

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 16. September 2004 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, der zunächst im richterlichen Dienst des Saarlandes tätig war - und zwar seit 1970 als Oberlandesgerichtsrat - wurde am 6. Juni 1989 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Am 29. Januar 2004 wurde er zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt beim Landgericht B. zugelassen.

Am 10. Februar 2004 hat der Antragsteller unter Verzicht auf die Zulassung bei dem Landgericht die Zulassung zum Kammergericht beantragt. Die Antragsgegnerin hat diesen Antrag abgelehnt. Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Beschluss vom 16. September 2004 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, § 226 BRAO sehe - auch für B. - die Zulassung als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht nur dann vor, wenn der Bewerber zuvor fünf Jahre lang bei einem erstinstanzlichen Gericht zugelassen gewesen sei. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 BRAO), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Gemäß § 226 Abs. 2 BRAO setzt die Zulassung eines Rechtsanwalts beim Oberlandesgericht zwingend eine vorherige mindestens fünfjährige Zulassung bei einem erstinstanzlichen Gericht voraus. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift war zunächst beschränkt auf solche Bundesländer, in denen der Grundsatz der Simultanzulassung galt, eine Zulassung bei einem Oberlandesgericht mithin nicht die Aufgabe der Zulassung bei einem erstinstanzlichen Gericht voraussetzte. Diese Beschränkung ist durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2000 (NJW 2001, 353, 354) weggefallen. Dort ist ausgesprochen, dass § 226 Abs. 2 BRAO ab dem 1. Juli 2002 "hinsichtlich der Beschränkung auf die dort genannten Länder gegenstandslos" ist. Seither gilt der Grundsatz der Simultanzulassung in allen Bundesländern.

Eine mindestens fünfjährige Zulassung als Rechtsanwalt bei einem erstinstanzlichen Gericht kann der Antragsteller nicht vorweisen.

2. Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO - die bei der Entscheidung über einen Antrag eines Bewerbers, der noch keine fünf Jahre lang bei einem erstinstanzlichen Gericht tätig war, auf Zulassung zu einem Oberlandesgericht einen Ermessensspielraum einräumt und insoweit dem § 226 Abs. 2 BRAO widerspricht - hat keinen Anwendungsbereich mehr.

a) Vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2000 (aaO) hatten § 226 Abs. 2 und § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO jeweils eigene Regelungsbereiche. Die erstgenannte Vorschrift galt für solche - lokal abgrenzbare - Fälle, in denen eine Simultanzulassung möglich war, die letztgenannte für solche, in denen es diese Möglichkeit nicht gab. Nachdem eine Simultanzulassung überall erfolgen kann, ist der Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO entfallen (ebenso Feuerich/Weyland, BRAO 6. Aufl. § 20 Rn. 42; Prütting in Henssler/Prütting, BRAO 2. Aufl. § 20 Rn. 24, 31).

b) Ein anderweitiges Bedürfnis nach einer flexiblen Lösung, wie sie § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO anbot, ist nicht ersichtlich.

Wie der Senat bereits in der Entscheidung vom 12. Januar 2004 (AnwZ (B) 77/03, NJW 2004, 1327, 1328) ausgeführt hat, war die durch § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO gewährte, in Bezug auf die vorherige Zulassung bei einem erstinstanzlichen Gericht freiere Stellung der Zulassungsbehörden im Bereich der Singularzulassung in der Befürchtung begründet, dass wegen des mit der Zulassung beim Oberlandesgericht notwendig verbundenen Wegfalls der Zulassung bei den Eingangsgerichten viele Rechtsanwälte nicht bereit sein würden, nach Ablauf der Wartefrist von fünf Jahren ihre auf diese Gerichte eingestellte Praxis und damit die Früchte ihrer bisherigen Tätigkeit aufzugeben. Deshalb wollte man auch auf solche Bewerber zurückgreifen können, die noch nicht so lange Rechtsanwalt gewesen waren. Mit der bundesweiten Ausdehnung der Simultanzulassung ist der Anlass für diese Rücksichtnahme nicht mehr gegeben.

Ob die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO noch für solche Bewerber gilt, die - wie der Antragsteller - ausschließlich eine Singularzulassung beim Oberlandesgericht anstreben, obwohl ihnen die Simultanzulassung möglich wäre, hat der Senat in der Entscheidung vom 12. Januar 2004 offen gelassen. Diese Frage ist nunmehr zu verneinen. Dies ergibt sich sowohl aus der Sicht des rechtsuchenden Publikums als auch derjenigen der Bewerber um die Zulassung beim Oberlandesgericht.

Grundsätzlich ist es zum Schutze der rechtsuchenden Bevölkerung geboten, die Zulassung beim Oberlandesgericht von einer mehrjährigen Berufserfahrung als Rechtsanwalt abhängig zu machen (BGH, Beschl. v. 12. Januar 2004 - AnwZ (B) 24/03, NJW 2004, 1455 f). Die Einschränkung des Prüfungsumfangs des Berufungsgerichts (vgl. §§ 529, 531 ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001, BGBl. I, 1887), wodurch die erste Instanz an Bedeutung gewonnen hat, rechtfertigt es nicht, jeden Rechtsanwalt, der bei der ersten Instanz zugelassen ist, auch vor dem Oberlandesgericht auftreten zu lassen. Durch die Einschränkung des dort geltenden Prüfungsumfangs ist die Aufgabe des Berufungsanwalts - insbesondere die Beurteilung, welche Angriffs- und Verteidigungsmittel jetzt noch zulässigerweise vorgebracht werden können - nicht einfacher, sondern eher schwieriger geworden.

Dass zu wenige Rechtsanwälte sich bereit finden könnten, die Zulassung beim Oberlandesgericht anzustreben, wenn sie erst eine mehrjährige Berufserfahrung bei den Eingangsgerichten sammeln müssen - eine Gefahr, die aus dem Verbot der Simultanzulassung folgte -, ist nicht mehr zu befürchten, nachdem die zwischenzeitlich aufgebaute Praxis, namentlich die Mandatsbeziehungen, in vollem Umfange erhalten bleiben.

Wer anlässlich der Zulassung bei einem Oberlandesgericht die Zulassung bei einem erstinstanzlichen Gericht aufgibt, obwohl er sie beibehalten könnte, oder sich von vornherein nur um die Zulassung beim Oberlandesgericht bemüht, entscheidet sich aus freien Stücken, ohne wirtschaftliche Zwänge, für eine Singularzulassung.

c) Die danach übrig bleibende Regelung des § 226 Abs. 2 BRAO hält sich als reine Berufsausübungsregelung in dem durch Art. 12 GG gezogenen Rahmen (BGH, Beschl. v. 12. Januar 2004 - AnwZ (B) 77/03, aaO S. 1328; v. 12. Januar 2004 - AnwZ (B) 24/03, aaO m.w.N.). Rechtsanwälte mit Simultanzulassung mögen zwar gegenüber den nur bei den Eingangsgerichten zugelassenen Kollegen einen Wettbewerbsvorteil haben (BGH, Beschl. v. 12. Januar 2004 - AnwZ (B) 24/03, aaO S. 1456). Darauf kann sich jedoch nicht berufen, wer diesen Vorteil freiwillig aufgibt.

Ende der Entscheidung

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