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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.04.2009
Aktenzeichen: BLw 9/07
(1)
Rechtsgebiete: LPachtVG, LwVG
Vorschriften:
LPachtVG § 4 Abs. 1 | |
LPachtVG § 8 Abs. 1 | |
LwVG § 24 Abs. 1 |
Der Bundesgerichtshof, Senat für Landwirtschaftssachen, hat
am 24. April 2009
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und
die Richter Dr. Lemke und Dr. Czub sowie
die ehrenamtlichen Richter Breitsameter und Kreye
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 13. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe - Senat für Landwirtschaftssachen - vom 16. April 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 410 EUR.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist schweizerischer Landwirt und hat seinen Betriebssitz in der Schweiz. Mit Vertrag vom 5. September 2005 pachtete er von dem Verpächter in Deutschland gelegenes Ackerland zur Größe von 2,05 ha für einen jährlichen Pachtzins von 410 EUR für die Zeit vom 1. November 2005 bis zum 31. Oktober 2006. Der Vertrag enthält eine Verlängerungsklausel für jeweils ein weiteres Jahr.
Das Landwirtschaftsamt beanstandete den Pachtvertrag und forderte die Beteiligten auf, ihn unverzüglich aufzuheben. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist erfolglos geblieben; das Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - hat den Pachtvertrag aufgehoben. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Oberlandesgericht - Senat für Landwirtschaftssachen - zurückgewiesen.
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will der Antragsteller die Feststellung erreichen, dass der Pachtvertrag nicht zu beanstanden ist.
Der Senat hat mit Beschluss vom 23. November 2007 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob nach Art. 15 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (ABl. 2002, L 114, S. 6) nur Selbständigen im Sinne von Art. 12 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens in dem Aufnahmestaat hinsichtlich des Zugangs zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit und deren Ausübung eine Behandlung zu gewähren ist, die nicht weniger günstiger ist als die den eigenen Staatsangehörigen gewährte Behandlung, oder ob dies auch für selbständige Grenzgänger im Sinne von Art. 13 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens gilt. Nachdem der Gerichtshof in einer Parallelsache (BLw 10/07) diese Frage beantwortet hat, hat der Senat mit Einverständnis der Beteiligten das Vorabentscheidungsersuchen nicht aufrechterhalten.
II.
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts hat das Landwirtschaftsgericht den Pachtvertrag zu Recht mit der Begründung aufgehoben, die Verpachtung bedeute eine ungesunde Verteilung der Bodennutzung im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 LPachtVG. Ein schweizerischer Landwirt mit Betriebssitz in der Schweiz sei bei der Anpachtung von Flächen im deutschen Hoheitsgebiet nicht wie ein inländischer Landwirt, sondern wie ein Nichtlandwirt zu behandeln. Der in Art. 15 des Anhangs I zu dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits geregelte Gleichbehandlungsgrundsatz gelte nur für Selbständige, nicht aber für selbständige Grenzgänger. Die von dem Landwirtschaftsgericht durchgeführte Beweisaufnahme habe ein dringendes Bedürfnis zweier deutscher Landwirte an der Anpachtung der Flächen ergeben, von denen einer zudem bereit und in der Lage sei, einen angemessenen Pachtzins zu zahlen.
Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
III.
Die nach § 24 Abs. 1 LwVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht die Aufhebung des Pachtvertrags durch das Landwirtschaftsgericht (§ 8 Abs. 1 Satz 1 LPachtVG) bestätigt. Die Verpachtung bedeutet keine ungesunde Verteilung der Bodennutzung.
1.
Nach § 4 Abs. 2 LPachtVG liegt eine ungesunde Verteilung der Bodennutzung in der Regel vor, wenn die Verpachtung Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur widerspricht. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats (BGHZ 101, 95, 99) der Fall, wenn landwirtschaftliche Grundstücke auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland durch Verpachtung an schweizerische Landwirte, deren Betriebsstätte in der Schweiz liegt, der Nutzung deutscher Vollerwerbslandwirte entzogen werden, die dieses Land dringend zur Schaffung und Erhaltung leistungs- und wettbewerbsfähiger Betriebe benötigen. Das in die schweizerische Agrarstruktur eingebettete Nutzungsinteresse schweizerischer Landwirte muss demgegenüber zurücktreten, so dass im Ergebnis bei der Anwendung von § 4 LPachtVG schweizerische Landwirte mit Betriebssitz in der Schweiz als außerhalb der deutschen Agrarstruktur stehend, mithin wie Nichtlandwirte zu behandeln sind.
2.
Der Senat hält diese Rechtsprechung nicht aufrecht. Ihr steht nämlich die Regelung in Art. 15 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (ABl. 2002, L 114, S. 6), welches am 1. Juni 2002 in Kraft getreten ist (BGBl. II S. 1692), entgegen. Danach muss eine Vertragspartei den selbständigen Grenzgängern einer anderen Vertragspartei im Sinne des Art. 13 dieses Anhangs hinsichtlich des Zugangs zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit und deren Ausübung im Aufnahmestaat eine Behandlung gewähren, die nicht weniger günstig ist als die den eigenen Staatsangehörigen gewährte Behandlung (EuGH, Urt. v. 22. Dezember 2008, C-13/08, DÖV 2009, 210).
3.
Demnach muss der Antragsteller bei der Beurteilung des Pachtvertrags wie ein deutscher Landwirt mit Betriebssitz in Deutschland behandelt werden, denn er ist selbstständiger Grenzgänger.
Nach Art. 13 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens ist selbständiger Grenzgänger ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei, der eine selbständige Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei ausübt und in der Regel täglich oder mindestens einmal in der Woche an seinen Wohnort zurückkehrt. Der Grenzgängereigenschaft steht es nicht entgegen, dass ein schweizerischer Landwirt, der in Deutschland gelegene Pachtflächen von seinem Betriebssitz in der Schweiz aus bewirtschaftetet, diese Flächen gegebenenfalls über mehrere Wochen hinweg nicht aufsucht. Denn das Merkmal der täglichen oder mindestens wöchentlichen Rückkehr an den Wohnort muss schon nach dem Wortlaut der Bestimmung nur "in der Regel" vorliegen; Ausnahmen sind demnach möglich, ohne dass der rechtliche Status des Grenzgängers entfällt. Im Übrigen verlangen auch die tatsächlichen Gegebenheiten ein Absehen von dem Erfordernis des täglichen oder wenigstens wöchentlichen Aufsuchens der Flächen. Denn es gibt Erwerbstätige, bei denen das nicht notwendig ist, weil die Ausübung der selbständigen Tätigkeit in dem fremden Hoheitsgebiet nicht ständig den täglichen oder wöchentlichen Aufenthalt erfordert. Ein Beispiel dafür ist die Bewirtschaftung grenznaher landwirtschaftlicher Flächen vom Nachbarstaat aus.
4.
Somit führt die Verpachtung der landwirtschaftlichen Flächen an den Antragsteller trotz des Vorhandenseins von zwei deutschen Landwirten mit dringendem Aufstockungsbedürfnis zu keiner ungesunden Verteilung der Bodennutzung allein aus dem Grund, dass er schweizerischer Landwirt ist.
IV.
Nach alledem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat kann keine eigene Sachentscheidung treffen, weil bisher noch nicht geprüft worden ist, ob der Pachtvertrag aus anderen Gründen zu beanstanden ist. Damit diese Prüfung nachgeholt werden kann, ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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