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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 11.11.2008
Aktenzeichen: EnVR 1/08
Rechtsgebiete: EnWG


Vorschriften:

EnWG § 75 Abs. 2
EnWG § 86 Abs. 1
a) Eine Zwischenentscheidung eines Oberlandesgerichts über die Zulässigkeit der Beschwerde in einem Verfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz ist ein "in der Hauptsache" erlassener Beschluss, gegen den gemäß § 86 Abs. 1 EnWG die Rechtsbeschwerde stattfindet.

b) Beschwerdebefugt i.S. des § 75 Abs. 2 EnWG kann auch derjenige sein, der einen Beiladungsantrag nicht stellen konnte, weil die Behörde den Bescheid erlassen hat, ohne dass das Verfahren in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist.


Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. November 2008 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Dr. Raum, Dr. Strohn und Dr. Kirchhoff

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Beschwerdegegners gegen den Beschluss des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. November 2007 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 28. November 2007 wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdegegner hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Auslagen der Antragstellerin und der Bundesnetzagentur werden nicht erstattet.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Beschwerdegegner (im Folgenden: Landesregulierungsbehörde) hat auf Antrag der e. I. GmbH mit Bescheid vom 8. September 2005 festgestellt, dass hinsichtlich der von der Antragstellerin betriebenen Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze im Chemiepark B. jeweils die Voraussetzungen eines Objektnetzes nach § 110 Abs. 1 EnWG vorliegen. An dem Verwaltungsverfahren war außer der Antragstellerin niemand beteiligt.

Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: citiworks) ist ein bundesweit tätiger Stromlieferant. Sie beliefert seit dem 1. Januar 2005 im Chemiepark B. über das Arealnetz der Antragstellerin ein Unternehmen mit Strom. Mit der Antragstellerin schloss sie dazu einen Lieferantenrahmenvertrag zur Netznutzung.

Im Dezember 2005 wurde sie von der Antragstellerin davon in Kenntnis gesetzt, dass das Stromnetz als Objektnetz qualifiziert worden sei. Im Februar 2006 beantragte sie bei der Landesregulierungsbehörde, zu dem Verfahren beigeladen zu werden. Der Antrag wurde abgelehnt.

Am 21. August 2006 hat citiworks Beschwerde gegen den Bescheid vom 8. September 2005 eingelegt. Das Beschwerdegericht hat durch "Zwischenbeschluss" festgestellt, dass die Beschwerde zulässig ist.

Dagegen wehrt sich die Landesregulierungsbehörde mit der von dem Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Über die Rechtsbeschwerde kann der Senat gemäß § 81 Abs. 1 Halbsatz 2 EnWG ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Sämtliche Beteiligten haben sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt. Ihnen ist durch die Mitteilung des Beratungstermins rechtliches Gehör gewährt worden.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft. Sie richtet sich gegen einen in der Hauptsache ergangenen Beschluss i.S. des § 86 Abs. 1 EnWG.

"In der Hauptsache" erlassene Beschlüsse des Beschwerdegerichts sind nach der Rechtsprechung des Senats zu dem vergleichbaren Tatbestandsmerkmal des § 74 Abs. 1 GWB in der bis zum 30. Juni 2005 geltenden Fassung solche Beschlüsse, die sich nicht in der Entscheidung über Neben- oder Zwischenfragen erschöpfen, sondern das Verfahren über das eigentliche Streitverhältnis ganz oder teilweise zum Abschluss bringen (BGHZ 34, 47, 50 f. - IG Bergbau; ebenso BGH, Beschl. v. 25.1.1983 - KVZ 1/82, WuW/E 1982, 1983 - Auskunftsbescheid; Beschl. v. 15.10.1991 - KVR 1/91, WuW/E 2739, 2740). Das ist auch bei Zwischenentscheidungen über die Zulässigkeit einer Beschwerde der Fall. Sie bringen das Verfahren teilweise, nämlich hinsichtlich des Streits über die Zulässigkeit der Beschwerde, zum Abschluss.

Derartige Zwischenentscheidungen als Entscheidungen in der Hauptsache anzusehen, entspricht der Systematik des Gesetzes. Das Beschwerdeverfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz ist der Sache nach ein verwaltungsgerichtliches Verfahren. Deshalb sind - neben den in § 85 EnWG für entsprechend anwendbar erklärten Bestimmungen der Zivilprozessordnung - zumindest auch die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung analog anzuwenden, wenn und soweit das Energiewirtschaftsgesetz einzelne Fragen nicht regelt (ebenso für das vergleichbare Verfahren nach dem GWB BGHZ 56, 155, 156 - Bayerischer Bankenverband; K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 73 Rdn. 1). Über die Möglichkeit, durch einen Zwischenbeschluss über die Zulässigkeit einer Beschwerde zu entscheiden, enthält das Energiewirtschaftsgesetz keine Regelung. Damit kommt § 109 VwGO zur Anwendung, wonach - ebenso wie nach § 280 ZPO - über die Zulässigkeit einer Klage durch Zwischenurteil entschieden werden kann. Diese Vorschrift gilt nicht nur im Urteilsverfahren, sondern auch im Beschwerdeverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung (BayVGH BayVBl 1985, 52; Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl. § 109 Rdn. 2). Zwischenurteile bzw. -beschlüsse haben den Zweck, den Prozessstoff zu straffen, wenn sowohl über die Zulässigkeit als auch über die Begründetheit eines Antrags gestritten wird. Dementsprechend sind sie nach § 124 VwGO - ebenso wie nach § 280 Abs. 2 Satz 1 ZPO - in Bezug auf die Rechtsmittel wie Endentscheidungen zu behandeln. Sie werden rechtskräftig, wenn sie nicht fristgerecht angefochten werden. In entsprechender Anwendung dieser Vorschriften auf das energiewirtschaftsrechtliche Verfahren wird ein Beschluss über die Zulässigkeit einer Beschwerde demnach rechtskräftig, wenn er nicht rechtzeitig angefochten wird.

Es steht auch nicht in Widerspruch zum Sinn des § 86 Abs. 1 EnWG, die Rechtsbeschwerde gegen eine Zwischenentscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde zu eröffnen. Mit dem Merkmal "Entscheidung in der Hauptsache" in § 86 EnWG erstrebte der Gesetzgeber - ebenso wie durch dasselbe Merkmal in § 74 GWB a.F. (BGH, Beschl. v. 15.10.1991 - KVR 1/91, WuW/E 2739, 2740) - eine wirksame Entlastung des Bundesgerichtshofs. Vor allem Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes, aber auch Zwischenverfügungen über Beiladungsanträge, Auskunftsersuchen und ähnliche Entscheidungen sollen nicht zur Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellt werden können. Die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Beschwerde ist damit indes nicht vergleichbar.

IV.

Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat zu Recht festgestellt, dass die Beschwerde von citiworks zulässig ist.

1.

Dazu hat es ausgeführt: Die Beschwerde sei form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdeführerin sei beschwerdebefugt. Das ergebe sich zwar nicht aus dem Wortlaut des § 75 Abs. 2 EnWG, wonach die Beschwerde nur den am Verfahren vor der Regulierungsbehörde Beteiligten zustehe. Diese Norm stelle jedoch keine abschließende Regelung dar. Vielmehr sei eine Beschwerdebefugnis auch dann anzuerkennen, wenn der Beschwerdeführer in seinen subjektiven Rechten berührt sei. Davon sei hier auszugehen, wobei offenbleiben könne, ob die angefochtene Entscheidung konstitutiven oder nur deklaratorischen Charakter habe. Denn jedenfalls würden damit die Rechtsfolgen des § 110 EnWG bindend festgestellt, nämlich die Freistellung des Netzbetreibers von allen Vorschriften zur Regulierung des Netzbetriebs. Das habe erhebliche rechtliche Auswirkungen auf die Netznutzer. Citiworks sei auch formell beschwert. Sie könne sich zwar nicht darauf berufen, dass ihre Beiladung zu Unrecht oder nur aus verfahrensökonomischen Gründen abgelehnt worden sei. Das stehe ihrer Beschwerdebefugnis aber nicht entgegen, weil sie von der Einleitung des Verfahrens hätte benachrichtigt werden müssen. Ob die einschlägigen Normen individualrechtsschützenden Charakter hätten, könne demgemäß offenbleiben.

2.

Dagegen wehrt sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.

a)

Nach dem Wortlaut des § 75 Abs. 2 EnWG steht die Beschwerde allerdings nur den am Verfahren vor der Regulierungsbehörde Beteiligten zu. Die Beschwerdeführerin gehört nicht zu diesem Personenkreis. Die Vorschrift enthält jedoch keine abschließende Regelung. Nach der Rechtsprechung des Senats zu § 54 Abs. 2, § 63 Abs. 2 GWB ist ein Dritter in erweiternder Auslegung dieser Vorschriften befugt, gegen die in der Hauptsache ergangene Entscheidung Beschwerde einzulegen, wenn in seiner Person die subjektiven Voraussetzungen für eine Beiladung vorliegen, sein Antrag auf Beiladung allein aus Gründen der Verfahrensökonomie abgelehnt worden ist und er geltend machen kann, durch die Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen zu sein (BGHZ 169, 370 Tz. 18 ff. - pepcom). Diese Grundsätze beziehen sich - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht nur auf das Fusionskontrollverfahren, sondern sind auf das energiewirtschaftsrechtliche Verfahren nach den insoweit im Wesentlichen gleichlautenden § 66 Abs. 2, § 75 Abs. 2 EnWG zu übertragen.

b)

Danach ist die Beschwerde von citiworks zulässig.

aa)

Zwar ist der Beiladungsantrag von citiworks nicht aus verfahrensökonomischen Gründen abgelehnt worden, sondern deshalb, weil das Verwaltungsverfahren bereits abgeschlossen war (vgl. BGH WuW/E DE-R 1544 Tz. 5). Das kann aber unter den besonderen Umständen des Falles keinen Unterschied begründen. Denn citiworks hatte keine Möglichkeit, den Beiladungsantrag rechtzeitig zu stellen. Wie sich aus dem vom Beschwerdegericht beigezogenen Verwaltungsvorgang ergibt, ist der Antrag auf Feststellung der Objektnetzeigenschaft der streitigen Netze am 23. August 2005 bei der Regulierungsbehörde eingegangen; schon am 8. September 2005 hat die Behörde den Bescheid erlassen, ohne dass das Verfahren in der Öffentlichkeit - etwa durch eine Anhörung möglicherweise wirtschaftlich Betroffener - bekannt geworden ist. Bei dieser Verfahrensweise war es citiworks von vornherein unmöglich, rechtzeitig eine Beiladung zu beantragen und damit die in § 75 Abs. 2 EnWG aufgestellte formelle Voraussetzung für eine Beschwerdeberechtigung herbeizuführen. Deshalb ist citiworks so zu stellen, als hätte sie ihren Beiladungsantrag rechtzeitig gestellt.

bb)

Citiworks erfüllt die Voraussetzungen für eine Beiladung nach § 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG. Danach sind u.a. Personen beizuladen, deren Interessen durch die Entscheidung erheblich berührt werden. Dafür reichen erhebliche wirtschaftliche Interessen aus (BGHZ 169, 370 Tz. 11 - pepcom). Citiworks unterhält aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages einen Netzzugang zu einem der beiden streitigen Netze. Dass es citiworks wirtschaftlich erheblich berührt, wenn der Netzbetreiber aufgrund der Anerkennung des Netzes als Objektnetz von der Beachtung sämtlicher Regulierungsvorschriften der Teile 2 und 3 des Energiewirtschaftsgesetzes befreit ist, hat das Beschwerdegericht zutreffend festgestellt. Dem kann die Regulierungsbehörde nicht mit Erfolg entgegenhalten, ein Anspruch auf Netzzugang ergebe sich schon aus §§ 33, 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB und die Billigkeit der Netzentgelte könne citiworks jedenfalls nach § 315 BGB überprüfen lassen. Denn diese Vorschriften enthalten zusätzliche Tatbestandsmerkmale, die nicht erfüllt sein müssen, wenn sich die Ansprüche auf Netzzugang und auf Beschränkung des Netznutzungsentgelts bereits aus §§ 20, 23a EnWG ergeben.

cc)

Daraus folgt zugleich, dass citiworks durch die angefochtene Entscheidung individuell und unmittelbar betroffen und damit materiell beschwert ist (vgl. BGH, Beschl. v. 10.4.1984 - KVR 8/83, WuW/E 2077, 2078 f. - Coop-Supermagazin).

Ohne Bedeutung für die materielle Beschwer ist, dass die Regelung über die Freistellung der Objektnetze in § 110 Abs. 1 Nr. 1 EnWG nach der Entscheidung des Gerichthofs der Europäischen Gemeinschaften vom 22. Mai 2008 (C-439/06, RdE 2008, 245 - citiworks AG) mit Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. EG Nr. L 176, S. 37) nicht vereinbar ist und diese Wertung möglicherweise auf die übrigen Alternativen des § 110 Abs. 1 EnWG zu übertragen ist. Denn jedenfalls ist der angefochtene Bescheid nicht schon dann unwirksam, wenn die zugrunde liegende Norm mit der Richtlinie nicht vereinbar ist.

c)

Die weiteren Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Beschwerde stehen nicht im Streit und sind vom Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei festgestellt worden.

Ende der Entscheidung

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