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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.08.2008
Aktenzeichen: EnZR 15/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 712
ZPO § 719 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

EnZR 15/08

vom 4. August 2008

in dem Rechtsstreit Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. August 2008 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Dr. Raum, Dr. Kirchhoff und Dr. Grüneberg

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29. Januar 2008 einstweilen einzustellen, wird abgelehnt.

Gründe:

I. Die Parteien streiten über die Berechtigung der Klägerin zur Übernahme des Gasversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung auf dem Gebiet der Gemeinde B. . Das Berufungsgericht hat mit dem Urteil, das die Beklagte mit der Revision anfechten möchte, festgestellt, dass die Beklagte Zug-um-Zug gegen eine zu bestimmende Vergütung seit dem 1. Januar 2006 verpflichtet ist, das Eigentum an den Verteilungsanlagen und alle zu deren Betrieb notwendigen schuldrechtlichen und dinglichen Grundstücksbenutzungsrechte an die Klägerin zu übertragen sowie notwendige Unterlagen für den Betrieb des Gasnetzes herauszugeben. Die Beklagte ist durch das Berufungsurteil ferner verurteilt worden, der Klägerin Auskunft hinsichtlich des Mengengerüsts der Verteilungsanlagen zu erteilen und bestimmte Unterlagen für die Ermittlung einer gegebenenfalls erforderlichen Netzentflechtung und eines Netzzugangsentgelts herauszugeben. Die in Rede stehenden Informationen und Unterlagen sind unter I 2 bis 4 des Urteilsausspruchs näher bezeichnet. Das Berufungsgericht hat das Urteil für vorläufig vollstreckbar erklärt. Der Beklagten ist nachgelassen worden, eine Vollstreckung der Klägerin wegen der Kosten durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000 € abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Das Berufungsgericht hat die Revision der Beklagten nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Sie beantragt,

die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29. Januar 2008 einstweilen einzustellen.

Zur Begründung macht sie geltend, zwischen der Klägerin und ihr habe Einigkeit bestanden, das Verfahren als Musterprozess zu führen. Mit der Herausgabe der verlangten Informationen und Daten müsse sie Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse offenbaren. Dadurch werde ihre durch Art. 12 und 14 GG gewährleistete Position irreparabel entwertet.

II. Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen, ist nicht begründet.

Das Gesetz knüpft die Einstellung der Zwangsvollstreckung im Revisionsverfahren an besonders strenge Voraussetzungen. Sie kommt nur in Betracht, wenn auf der einen Seite die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und wenn auf der anderen Seite kein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht (§ 719 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Darüber hinaus entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Einstellung nach § 719 Abs. 2 ZPO regelmäßig dann zu versagen ist, wenn der Schuldner es versäumt hat, im Berufungsrechtszug einen ihm möglichen und zumutbaren Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO zu stellen (BGH, Beschl. v. 25.9.2007 - KZR 24/07, DGVZ 2007, 380 Tz. 4 m.w.N.).

Diese - negative - Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 13. November 2007 keinen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO gestellt, obwohl es ihr möglich und zumutbar gewesen wäre, die nunmehr zur Begründung angeführten Umstände schon damals vorzutragen und glaubhaft zu machen.

Die Beklagte trägt hierzu vor, sie habe darauf vertraut, dass die Klägerin nicht entgegen der Vereinbarung der Parteien, einen Musterprozess zu führen, aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil vollstrecken würde. Im Fall einer Auskunftserteilung würde die Klägerin - so trägt die Beklagte vor - Kenntnis von allen technischen Einzelheiten des bestehenden Gasnetzes der Gemeinde B. erhalten. Sie werde damit in die Lage versetzt zu bewerten, welche Kunden wirtschaftlich so interessant seien, dass der Bau alternativer Stichkanäle in Betracht zu ziehen sei; außerdem erhalte die Klägerin auf diese Weise Einblick in die individuelle Kostensituation der Beklagten und erfahre wichtige technische Einzelheiten.

Dieser Vortrag reicht nicht aus, um darzulegen, dass ein Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO nicht aussichtsreich hätte begründet werden können. Die Beklagte durfte auch nicht darauf vertrauen, dass ein solcher Antrag nicht erforderlich sein würde. Allein der Umstand, dass es sich nach der Vorstellung der Parteien um ein Musterverfahren handeln sollte, rechtfertigt ein solches Vertrauen nicht. Eine weitergehende Vereinbarung der Parteien hat die Beklagte nicht dargetan. Insbesondere hat sie nicht vorgetragen, dass die Parteien vereinbart haben, bis zur Rechtskraft einer Entscheidung auf die Zwangsvollstreckung zu verzichten. Ein solcher Verzicht lässt sich nicht dem Umstand entnehmen, dass zwischen den Parteien Einigkeit bestand, das Verfahren als Musterverfahren zur Klärung bestimmter Rechtsfragen zu führen. Insofern ist der Streitfall nicht vergleichbar mit der Fallkonstellation, der der von der Beklagten angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Mai 2006 - VIII ZR 28/06, NJW-RR 2007, 11 - zugrunde lag.

Dem Antrag der Beklagten verhilft auch der Umstand nicht zum Erfolg, dass die vorläufige Vollstreckung eines auf Erteilung einer Auskunft gerichteten Urteils insoweit endgültig ist, als sich das einmal erlangte Wissen nicht zurückholen lässt. Denn dieses Risiko ist jeder Vollstreckung aus einem Titel auf Auskunftserteilung immanent und musste daher der Beklagten auch schon während des Berufungsverfahrens gegenwärtig sein. Allein der Umstand, dass die Vollstreckung das Prozessergebnis vorwegnehmen würde, stellt keinen unersetzlichen Nachteil dar (BGH, Beschl. v. 9.11.1995 - I ZR 220/95, GRUR 1996, 78 = WRP 1996, 107 - Umgehungsprogramm, m.w.N.).

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