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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.02.2003
Aktenzeichen: GSSt 2/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1
Wer bei einer Raubtat das Opfer mit einer geladenen Schreckschußwaffe, bei der der Explosionsdruck nach vorn austritt, bedroht, verwendet eine Waffe und erfüllt damit den Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

GSSt 2/02

vom 4. Februar 2003

in der Strafsache

gegen

wegen schwerer räuberischer Erpressung

Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Nack sowie die Richter am Bundesgerichtshof Dr. h.c. Detter, Häger, Maatz, Basdorf, Winkler und Dr. Wahl am 4. Februar 2003 beschlossen:

Tenor:

Wer bei einer Raubtat das Opfer mit einer geladenen Schreckschußwaffe, bei der der Explosionsdruck nach vorn austritt, bedroht, verwendet eine Waffe und erfüllt damit den Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB.

Gründe:

A.

I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und eine Maßregel verhängt.

Nach den Feststellungen betrat der Angeklagte mit einer geladenen Schreckschußpistole eine Bankfiliale, lud die Pistole durch und forderte von den beiden anwesenden Bankmitarbeiterinnen mit den Worten "Geld her, das ist ein Überfall, sofort Geld her, sonst schieße ich" die Herausgabe von Bargeld. Eine der Mitarbeiterinnen befand sich in der gesicherten Kassenbox, die zweite zunächst im Schalterraum; sie flüchtete später ebenfalls in den Kassenraum. Im angrenzenden Besprechungsraum führte der Filialleiter ein Kundengespräch. Der Angeklagte drohte, als ihm nicht sogleich Bargeld ausgehändigt wurde, mehrfach damit, "alle zu erschießen"; hierbei deutete er auf die Tür des Besprechungsraums. Die Mitarbeiterinnen, die die Drohung ernst nahmen, übergaben ihm daraufhin einen Bargeldbetrag in Höhe von 34.840 DM, mit welchem der Angeklagte flüchtete. Da sich nicht feststellen ließ, ob die von dem Angeklagten verwendete Pistole mit Gas- oder Schreckschußmunition geladen war, ist das Landgericht zu seinen Gunsten davon ausgegangen, daß nur Schreckschußmunition verwendet wurde.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Verwendung einer Waffe gemäß §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt. Zwar hat es die Bedrohung einer Person mit der Schreckschußpistole aus kürzester Entfernung durch den Angeklagten nicht festgestellt. Gleichwohl hat es gemeint, der Angeklagte habe "mit der geladenen Schreckschußpistole auch eine Waffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwendet, da er gedroht hat, mit dieser Waffe andere zu erschießen." Die Strafe hat das Landgericht dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen; das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB hat es verneint.

II. Gegen die Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Der für die Entscheidung über das Rechtsmittel zuständige 2. Strafsenat will die Revision des Angeklagten verwerfen. Nach seiner Auffassung ist eine zur Bedrohung des Tatopfers eingesetzte geladene Schreckschußpistole zwar keine Waffe, sie sei aber als gefährliches Werkzeug im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB anzusehen, wenn "sie vom Täter innerhalb kürzester Zeit ohne weitere Zwischenschritte unmittelbar am Körper der bedrohten Person zum Einsatz gebracht" werden bzw. "sich die objektive Gefährlichkeit des Werkzeugs im unmittelbaren Fortgang des konkreten Tatgeschehens in kürzester Zeit realisieren" könne. Seine entgegenstehende eigene Rechtsprechung (etwa NStZ 2002, 31, 33), wonach es sich bei einer bei einem Raub oder einer räuberischen Erpressung zur Bedrohung verwendeten geladenen Schreckschußpistole nicht um ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB handele, wenn der drohende Einsatz nicht unmittelbar am Körper des Tatopfers erfolge, will der Senat aufgeben.

III. Auf Anfrage des 2. Strafsenats, der sich an der beabsichtigten Entscheidung durch die Rechtsprechung anderer Senate (vgl. Nachw. bei Sander NStZ 2002, 596) gehindert sieht, haben der 1. Strafsenat mit Beschluß vom 3. April 2002 - 1 ARs 5/02 -, der 3. Strafsenat mit Beschluß vom 5. März 2002 - 3 ARs 5/02 - und der 4. Strafsenat mit Beschluß vom 21. Februar 2002 - 4 ARs 6/02 - mitgeteilt, es werde an der der beabsichtigten Entscheidung entgegenstehenden Rechtsprechung festgehalten. Der 5. Strafsenat hat mit Beschluß vom 19. Februar 2002 - 5 ARs 6/02 - mitgeteilt, Rechtsprechung dieses Senats stehe der beabsichtigten Entscheidung nicht entgegen, eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erscheine jedoch wenig sinnvoll.

Daraufhin hat der 2. Strafsenat dem Großen Senat für Strafsachen gemäß § 132 Abs. 2 GVG mit Beschluß vom 15. Mai 2002 (= NJW 2002, 2889) folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB anwendbar in Fällen, in denen der Täter einer räuberischen Erpressung das Tatopfer mit einer mit Platzpatronen geladenen Schreckschußpistole bedroht, bei welcher der Explosionsdruck nach vorne austritt, wenn diese innerhalb kürzester Zeit unmittelbar am Körper des Opfers zum Einsatz gebracht werden kann?

IV. Der Generalbundesanwalt möchte an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs festhalten und hat beantragt zu beschließen:

Eine zur Bedrohung des Tatopfers eingesetzte, mit Platzpatronen geladene Schreckschußwaffe, bei welcher der Explosionsdruck nach vorn austritt, ist nur dann als gefährliches Werkzeug im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB anzusehen, wenn sie unmittelbar am Körper des Opfers zum Einsatz gebracht wird.

B.

I. Die Voraussetzungen für die Vorlegung an den Großen Senat für Strafsachen nach § 132 Abs. 2 GVG liegen vor.

Die Beantwortung der vorgelegten Rechtsfrage ist entscheidungserheblich. Der 2. Strafsenat kann nur bei Bejahung der Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB die Revision des Angeklagten verwerfen. Damit würde er sich jedoch in Widerspruch zur Rechtsprechung anderer Strafsenate setzen.

II. Der Große Senat für Strafsachen beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich. Er hält sich damit im Rahmen der Vorlegungsfrage. Eine sinnvolle Entscheidung der Vorlegungsfrage ist nicht möglich, wenn nicht zugleich die Frage der Eigenschaft der geladenen Schreckschußwaffe als einer Waffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB in die Prüfung einbezogen wird.

1. Die Rechtsprechung hat bisher Schreckschußwaffen nicht als "Waffen" im Sinne von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a), Abs. 2 Nr. 1 StGB angesehen (vgl. z.B. BGHR StGB § 244 Abs. 1 Nr. 1 Schußwaffe 1; BGH StV 1998, 486 f.; 2001, 274 f.). Dem lag ein strafrechtlicher Waffenbegriff zugrunde, nach dem "Waffe" im Sinne von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a), Abs. 2 Nr. 1 StGB, ebenso wie etwa in § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, derjenige körperliche Gegenstand ist, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und seinem Zustand zur Zeit der Tat bei bestimmungsgemäßer Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen (vgl. BGHSt 44, 103, 105; 45, 92, 93; BGH NStZ 1999, 301, 302). Obwohl die Schreckschußwaffe auch schon im geltenden Waffenrecht in gewissem Umfang einer Schußwaffe im Sinne von § 1 Abs. 1 WaffG gleichgestellt ist (§ 1 Abs. 2 WaffG; BGHSt 37, 330; Steindorf, Waffenrecht 7. Aufl. WaffG § 1 Rdn. 10), hat die Rechtsprechung bei ihr eine "artbestimmte generelle Bestimmung, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen", verneint. Davon ist auch noch der Gesetzgeber beim 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 164) ausgegangen, durch das § 250 StGB seine jetzige Fassung erhielt. Danach sollten "Überfälle mit einer Spielzeugpistole, mit einer mit vier Platzpatronen geladenen Schreckschußwaffe oder unter Vorhalt einer ungeladenen Gaspistole" von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) StGB nicht erfaßt sein (vgl. BTDrucks. 13/8587, S. 44).

2. Daran hält der Große Senat jedenfalls in Bezug auf die geladene Schreckschußwaffe nicht mehr fest.

a) Die geladene Schreckschußwaffe ist generell als "Waffe" im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen einzuordnen. Sie wird damit der geladenen Gaswaffe gleichgestellt, die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon bisher allgemein als Schußwaffe und damit als Waffe im technischen Sinne angesehen wird (BGHSt 45, 92, 93 m.w.N.). Maßgebend dafür ist, daß die Gefährlichkeit der geladenen Schreckschußwaffe nicht derart hinter der einer geladenen Gaswaffe zurücksteht, daß dies eine unterschiedliche rechtliche Einstufung länger rechtfertigt. Mit Gaskartuschen geladene Waffen sollen die körperliche Unversehrtheit eines anderen Menschen beeinträchtigen, indem das durch den Schuß freigesetzte Gas - auch über eine gewisse Distanz hinweg - auf das Nervensystem des Gegners einwirkt, während mit Knallkartuschen geladene Waffen in erster Linie zur Erzeugung eines Schußknalls dienen. Das allein steht der Qualifizierung der geladenen Schreckschußwaffe als "Waffe" im strafrechtlichen Sinne jedoch nicht entgegen.

b) Auch die geladene Schreckschußwaffe, bei der beim Abfeuern der Explosionsdruck nach vorn aus dem Lauf austritt, ist nach ihrer Beschaffenheit geeignet, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Die Waffenmechanik bei dieser Waffe ist identisch mit der bei scharfen Waffen, sie unterscheidet sich nur dadurch, daß Sperrungen vorhanden sind, die das Abschießen fester Geschosse verhindern sollen. In der kriminaltechnischen und rechtsmedizinischen Literatur war früher schon wiederholt auf ihre Gefährlichkeit hingewiesen worden (vgl. u.a. Greiner Kriminalistik 1990, 540 ff.; Sattler/Wagner Kriminalistik 1986, 485; Rothschild/Krause ArchKrim 197 (1996(, 65; Rothschild, Freiverkäufliche Schreckschußwaffen, 1999; ders. NStZ 2001, 406 ff.; Schyma/Schyma Rechtsmedizin 9 (1999(, 210 ff.; Perdekamp/Peuten/Sequenc/Schmidt/Pollak ArchKrim 208 (2001(, 88 ff.; Püschel/Kulle/Koops ArchKrim 207 (2001(, 26 ff.). Diese Einschätzung hat sich in neuerer Zeit, zuletzt im Gesetzgebungsverfahren bei der Neugestaltung des Waffenrechts (dazu weiter unter 3. b), bestätigt und erhärtet. Art und Umfang möglicher Verletzungen hängen dabei von äußeren Bedingungen und dem Waffentyp ab, diese sind um so erheblicher, je näher sich die Waffe am Körper des Opfers befindet. Ein aufgesetzter Schuß auch mit einer Knallkartusche führt regelmäßig zu Aufplatzungen der Haut, je nach Waffenart auch zu schweren Verwundungen tieferliegenden Gewebes. Beim Ansetzen der Waffe an Kopf, Schläfe, Augen oder Hals kann ein Schuß auch tödliche Wirkung haben. Aus rechtsmedizinischer Sicht müssen "Schreckschußwaffen eigentlich genauso behandelt werden wie scharfe Waffen" (Äußerung des vom Innenausschuß des Deutschen Bundestages angehörten Sachverständigen Prof. Dr. Rothschild, Protokoll des Ausschusses 14. WP Nr. 92 S. 16).

c) Für das nunmehr vom Großen Senat gefundene Ergebnis spricht auch die Entscheidung BGHSt 45, 92, auf die der vorlegende Strafsenat zu Recht verweist. Der Bundesgerichtshof hat danach den Begriff des Verwendens einer "Waffe" im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht (mehr) davon abhängig gemacht, daß der Einsatz des objektiv gefährlichen Tatmittels eine konkrete Gefahr erheblicher Verletzungen anderer begründet. Diese Entscheidung stellt klar, daß der Begriff der "Waffe" keine Einschränkung dadurch erfährt, daß "die nach Beschaffenheit und Zustand des Tatmittels bei bestimmungsgemäßer Verwendung gegebene Gefährlichkeit aufgrund anderer Umstände der Tatsituation für den konkreten Einzelfall ausnahmsweise ausgeschlossen werden kann" (BGHSt aaO S. 93: Bedrohung der in schußsicher verglastem Kassenschalter befindlichen Bankangestellten). Zwar bezieht sich diese Entscheidung auf den Fall einer funktionsfähigen und einsatzbereiten (geladenen) Gaswaffe. Doch treffen die Erwägungen auf die geladene Schreckschußwaffe in gleicher Weise zu. Deren Eigenschaft als "Waffe" kann sinnvoll nicht länger mit der Begründung verneint werden, dem Opfer der Raubtat drohe keine gesteigerte Leibesgefahr, solange der Täter die Schreckschußwaffe zunächst aus "sicherer Distanz" auf das Opfer richtet, um dadurch eine "echte" Schußwaffe vorzutäuschen. Für die strafrechtliche Einordnung des Gegenstandes als "Waffe" kommt es nicht maßgeblich darauf an, ob sich der Täter in einer Entfernung zum Opfer befindet, welche die Zufügung einer erheblichen Körperverletzung (gerade) noch nicht gestattet, wenn sich andererseits die von dem Gegenstand nach seiner Bauart und seiner bestimmungsgemäßen Verwendung als Schießwerkzeug ausgehende Gefahr grundsätzlich realisieren kann.

d) Den verbleibenden Unterschied bei der Drohung mit einer geladenen Schreckschußwaffe, mit der in aller Regel nicht deren funktionsgemäßer Einsatz, sondern - täuschend - der Einsatz einer scharfen Waffe in Aussicht gestellt werden soll, erachtet der Große Senat nicht als derart gravierend, daß allein im Blick darauf die bisherige Rechtsprechung aufrechterhalten werden sollte. Dies gilt namentlich wegen des Vergleichs zum Fall der Drohung mit einer geladenen Gaswaffe, mit der typischerweise auch ein derartiges Täuschungselement einhergeht.

3. In seiner Entscheidung zur vorgelegten Rechtsfrage sieht sich der Große Senat auch durch die gesetzgeberischen Überlegungen zur Neuregelung des Waffenrechts bestätigt:

a) Was als "Waffe" im Sinne § 250 StGB zu gelten hat, wird im Strafgesetzbuch nicht geregelt. Der Inhalt dieses Rechtsbegriffs ist zu bestimmen im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch auch unter Berücksichtigung seiner Wandelbarkeit je nach dem Fortschritt der Waffentechnik in Anlehnung an die in den Waffengesetzen enthaltenen Grundvorstellungen über eine Schußwaffe, wenn auch nicht in unmittelbarer Abhängigkeit davon. Die Begriffsbestimmungen des Waffengesetzes, das den Umgang mit Waffen oder Munition unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung regelt, bieten dabei aber eine "gewisse Orientierung" (vgl. BGH NJW 1965, 2115; BGHSt 24, 136, 138; BGH NStZ 1989, 476; vgl. auch BGHSt 4, 125, 127).

b) Durch das bereits verabschiedete Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts (WaffRNeuRegG - vom 11. Oktober 2002 - BGBl I 3970 - (Inkrafttreten: 1. April 2003() wird aus Gesichtspunkten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Rechtslage (auch) hinsichtlich der Schreckschußwaffen grundlegend geändert (vgl. zu dem Gesetz allgemein Soschinka/Heller NJW 2002, 2690 ff.; Weerth Kriminalistik 2003, 39 ff.). Der Gesetzgeber hat, sachverständig beraten (vgl. öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema "Waffenrecht" durch den Innenausschuß des Deutschen Bundestages am 20. März 2002 - Protokoll 14. WP Nr. 92, insbesondere die Äußerungen des Sachverständigen Prof. Dr. Rothschild, Protokoll aaO S. 14 ff.), Schreckschußwaffen wegen ihrer allgemeinen, nicht nur im einzelnen Anwendungsfall gegebenen Gefährlichkeit als "Feuerwaffen" eingestuft. Sie seien zwar nicht ursprünglich für Angriffs- oder Verteidigungszwecke gegen Menschen bestimmt, wiesen aber eine Gefährlichkeit auf, die derjenigen vergleichbar sei, die von echten Waffen ausgeht (BRDrucks. 596/01 S. 91 = BTDrucks. 14/7758 S. 49). Die Schreckschußwaffen werden deshalb nunmehr im Sinne des Waffengesetzes gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 WaffG nF Waffen im technischen Sinne ("Schußwaffen", vgl. Anlage 1, Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1 sowie Nr. 2 und Nr. 2.7), für deren Führen es nach § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG nF auch eines Waffenscheins bedarf (Kleiner Waffenschein; Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 3 Nr. 2 und 2.1; für den bisherigen Rechtszustand vgl. § 2 Abs. 4 Nr. 2 der 1. WaffV). Die Schreckschußwaffe wird dabei in der Gesetzessystematik des Waffenrechts der von der Rechtsprechung im Bereich des Strafrechts bisher schon als "Waffe" im Sinne der §§ 244, 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) und Abs. 2 Nr. 1 StGB eingestuften Gaspistole (vgl. u.a. BGHSt 24, 136 ff.; 45, 92; BGH NStZ 1981, 301; 1989, 476; BGHR StGB § 250 Abs. 1 Nr. 1 Schußwaffe 1) gleichgestellt (vgl. Anlage 1, Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 2.8). Hintergrund der Neuregelung ist die im Gesetzgebungsverfahren immer wieder betonte Gefährlichkeit dieser "Waffe", deren mißbräuchlicher Umgang eingedämmt werden soll. Waffen im Sinne des Waffenrechts sollen auch Gegenstände sein, die zwar nicht ursprünglich für Angriffs- oder Verteidigungszwecke gegen Menschen bestimmt sind, wegen ihrer besonderen Beschaffenheit, Handhabung oder Wirkungsweise aber in großem Umfang tatsächlich für Angriffs- oder Verteidigungszwecke verwendet werden und damit eine Gefährlichkeit aufweisen, die derjenigen vergleichbar ist, die von echten Waffen ausgeht (BRDrucks. 596/01 S. 91).

c) Zwar bedeutet die "Waffenscheinpflicht" nicht ohne weiteres, daß die Schreckschußwaffe auch nach den strafrechtlichen Regelungen als "Waffe" anzusehen wäre (BGH NJW 1965, 2115). Maßgebend bleibt allein die Gefährlichkeit, die unabhängig von waffenrechtlichen Verboten zu bestimmen ist. Diese ist aber, wie die Gesetzesmaterialien belegen (BTDrucks. 14/7758 S. 1, 49 f., vgl. auch S. 91 zu Anlage 2, Unterabschnitt 3 Nr. 2; 14/8886 S. 1 und 2), neben der - eher für die ordnungs- oder polizeirechtliche Sicht bedeutsamen - Tatsache, daß bei einem erheblichen Anteil von Straftaten solche Gegenstände verwendet werden, auch bei Schreckschußwaffen gegeben. Daß deren Benutzung im Einzelfall eine Gefährlichkeit ausschließt, ist ohne Bedeutung für die Einstufung als Waffe im strafrechtlichen Sinne, denn auch sonst können Schußwaffen in bestimmten Anwendungssituationen ungefährlich sein, ohne daß damit ihre rechtliche Einstufung in Frage gestellt wird.

d) Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, Erwägungen, die dem im wesentlichen am 1. April 2003 in Kraft tretenden Waffenrechtsneuregelungsgesetz zugrundeliegen, bereits zur Entscheidung über die Vorlage heranzuziehen. Das Landgericht hatte im Ausgangsfall die vom Angeklagten verwendete Schreckschußwaffe entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als "Waffe" eingestuft. Diese Rechtsprechung ändert der Große Senat auf Grund neuer tatsächlicher Erkenntnisse, die unter anderem auch dem Waffenrechtsneuregelungsgesetz zugrunde gelegen haben. Die Einstufung der vom Angeklagten verwendeten Schreckschußwaffe als Waffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB bedeutet aber nur eine - geänderte - Auslegung eines Tatbestandsmerkmals; sie korrigiert nicht etwa die bisherige Auslegung im Vorgriff auf eine erst nach der Tat verabschiedete und später in Kraft tretende Gesetzesänderung zu Lasten des Täters (vgl. dazu BVerfG - Kammer -, Beschluß vom 19. Dezember 2002 - 2 BvR 666/02) und beinhaltet keine - rückwirkende - Anwendung einer neuen gesetzlichen Regelung (vgl. u.a. BVerfG - Kammer - NJW 1990, 3140; 1995, 125 f.). Daß der Große Senat neue Erkenntnisse der Wissenschaft im Bereich der Rechtsmedizin und der Kriminalistik zur Gefährlichkeit der Schreckschußwaffen zur Auslegung einer Vorschrift des Strafgesetzbuches heranzieht, berührt auch nicht deshalb das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, weil diese Auslegung zu einer Änderung der bisherigen Rechtsprechung führt und auch auf zurückliegende Sachverhalte Anwendung findet. Denn die Grundsätze des Rückwirkungsverbots und des Vertrauensschutzes hindern die Gerichte nicht, bestimmte Sachverhalte aufgrund neuer Erkenntnisse abweichend von der bisherigen Rechtsprechung zu bewerten (vgl. BVerfGE 18, 224, 240 f.; BVerfG - Kammer - NJW 1990, 3140; Salger DRiZ 1990, 16, 19).

4. Die Bewertung der geladenen Schreckschußwaffe als Waffe im strafrechtlichen Sinne führt zu einer Harmonisierung desselben in § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) StGB und in Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift verwendeten Begriffs. Zudem werden auch weitere Ungereimtheiten vermieden:

a) Der Täter, der täuschend androht, das Opfer mit seiner Schreckschußwaffe aus einer Entfernung, die nicht mehr zu schweren Verletzungen führen kann, zu erschießen, erfüllte nach der bisherigen Rechtsprechung "nur" § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) StGB. Hingegen machte sich derjenige Täter nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB strafbar, der androhte, mit seiner als solche erkennbaren Schreckschußwaffe näher zu kommen, und zwar auch dann, wenn er sich innerlich vorbehielt, von der Waffe keinen gefährlichen Gebrauch zu machen. Die daraus bislang erwachsene Notwendigkeit, Feststellungen zur Vorstellung des Täters über die beabsichtigte Verwendung der Schreckschußwaffe - Drohung nur aus der Distanz oder gegebenenfalls Einsatz auch aus der Nähe - zu treffen, entfällt nunmehr. Solche inneren Tatsachen sind für den Tatrichter ohnehin schwer aufzuklären.

b) Die Bewertung der geladenen Schreckschußwaffe als Waffe im Sinne des § 250 StGB beseitigt zugleich einen gewissen Wertungswiderspruch, der in einem Vergleich mit der Bewertung des Einsatzes eines Messers gefunden werden kann. Dieses wurde von der Rechtsprechung stets als "anderes gefährliches Werkzeug" im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB eingestuft, unabhängig von der festgestellten Entfernung zwischen Täter und Opfer (vgl. z.B. BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Verwenden 1).



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