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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.08.2006
Aktenzeichen: I ZB 135/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 855
Zur Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf die Herausgabe der Wohnung bei Geltendmachung des Vermieterpfandrechts (Bestätigung von BGH, Beschl. v. 17.11.2005 - I ZB 45/05, NZM 2006, 149).
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

I ZB 135/05

vom 10. August 2006

in der Rechtsbeschwerdesache

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. August 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Bergmann

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss der Zivilkammer 81 des Landgerichts Berlin vom 22. Juli 2005 aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde der Schuldner gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wedding vom 15. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren haben die Schuldner zu tragen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 6.100 € festgesetzt.

Gründe:

I. Die Schuldner sind aufgrund des Teilurteils des Landgerichts Berlin vom 10. März 2005 verurteilt, die Wohnung W. in B. im 1. Obergeschoss zu räumen.

Mit Schreiben vom 12. April 2005 erteilte die Gläubigerin dem Gerichtsvollzieher unter Benennung eines Kostenvorschusses in Höhe von 400 € einen Räumungsauftrag, wobei sie zugleich an sämtlichen in der Wohnung befindlichen Gegenständen der Schuldner ein Vermieterpfandrecht geltend machte. Die Ausführung dieses Auftrags machte der Gerichtsvollzieher von der Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 6.500 € für die Vollstreckungskosten abhängig.

Auf die dagegen von der Gläubigerin eingelegte Erinnerung hat das Amtsgericht den Gerichtsvollzieher angewiesen, die Räumungsvollstreckung auftragsgemäß nach Erhalt eines Kostenvorschusses in Höhe von 400 € ohne Hinzuziehung eines Transportunternehmens durchzuführen und dabei alle Gegenstände, an denen die Gläubigerin ein Vermieterpfandrecht geltend gemacht hat, in der Wohnung zu belassen.

Das Landgericht hat auf die sofortige Beschwerde der Schuldner den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben, soweit der Gerichtsvollzieher angewiesen worden ist. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubigerin.

II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückweisung der sofortigen Beschwerde der Schuldner.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Das Amtsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass wegen der Ausübung des Vermieterpfandrechts kein Transportunternehmen bereit zu stellen sei. Eine isolierte Herausgabevollstreckung sei im Gesetz nicht vorgesehen. Sie liefe dem Herausgabeanspruch des Schuldners nach § 885 Abs. 3 Satz 2 ZPO zuwider. In § 885 Abs. 2 bis 4 ZPO sei vorgesehen, dass der Gerichtsvollzieher die Fortschaffung der dort genannten Sachen zu veranlassen und unpfändbare Sachen ohne weiteres an den Schuldner auf dessen Verlangen herauszugeben habe. Der Gerichtsvollzieher habe zu prüfen, auf welche Sachen sich das Vermieterpfandrecht erstrecke, und diese Sachen in der Wohnung zu belassen, während er die unpfändbaren Sachen einzulagern und gegebenenfalls an den Schuldner herauszugeben habe. Dieser Herausgabeanspruch des Schuldners werde vereitelt, wenn der Gerichtsvollzieher sämtliche Sachen in der Wohnung belassen müsse. Nach der Lebenserfahrung befänden sich in fast jeder Wohnung Sachen, die wegen Unpfändbarkeit von dem Vermieterpfandrecht nicht betroffen seien. Deshalb habe der Gerichtsvollzieher zu Recht die durch die Räumung mit Hilfe eines Transportunternehmens entstehenden Kosten bei der Bestimmung der Höhe des Vorschusses in Ansatz gebracht.

2. Der von dem Gerichtsvollzieher verlangte, 400 € übersteigende Kostenvorschuss für die Hinzuziehung eines Transportunternehmens ist nicht gerechtfertigt. Die Gläubigerin begehrt zulässigerweise nur die Herausgabe der Wohnräume ohne Wegschaffung der beweglichen Sachen.

Der Senat hat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden, dass der Gläubiger die Zwangsvollstreckung nach § 885 ZPO auf die Herausgabe der Wohnung beschränken kann, wenn er an sämtlichen in den Räumen befindlichen Gegenständen ein Vermieterpfandrecht geltend macht (BGH, Beschl. v. 17.11.2005 - I ZB 45/05, NZM 2006, 149 = WuM 2006, 50 = Grundeigentum 2006, 110 = Rpfleger 2006, 143 = ZMR 2006, 199; zustimmend Kellner, Grundeigentum 2006, 95, 96; Körner, ZMR 2006, 201; ablehnend Flatow, NJW 2006, 1396; Seip, DGVZ 2006, 24).

Zur Begründung hat der Senat darauf abgestellt, dass das Vermieterpfandrecht Vorrang hat gegenüber der in § 885 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmten Entfernung der beweglichen Sachen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind. Eine Prüfung, ob die bei Durchführung der Herausgabevollstreckung in der Wohnung befindlichen Gegenstände vom Vermieterpfandrecht erfasst werden, ist vom Gerichtsvollzieher nicht vorzunehmen.

Der Gerichtsvollzieher ist als Vollstreckungsorgan grundsätzlich nicht dafür zuständig, materiell-rechtliche Ansprüche der Parteien im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu klären. Dies gilt auch für die Frage, ob die in Rede stehenden Gegenstände wegen Unpfändbarkeit nach § 562 Abs. 1 Satz 2 BGB dem Vermieterpfandrecht nicht unterliegen. Auch hierüber haben bei Streit der Parteien die Gerichte und nicht die Vollstreckungsorgane zu entscheiden (BGH NZM 2006, 149 Tz 14).

Schutzwürdige Belange des Vollstreckungsschuldners werden nicht in einem Ausmaß betroffen, dass von einer auf die Herausgabe begrenzten Zwangsvollstreckung abzusehen ist, wenn ein Vermieterpfandrecht geltend gemacht wird (BGH NZM 2006, 149 Tz 15/16).

Die Vollstreckung des Räumungstitels wird gemäß § 885 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der Weise durchgeführt, dass der Gerichtsvollzieher den Schuldner aus dem Besitz der zu räumenden Wohnung setzt und den Gläubiger in deren Besitz einweist. Bewegliche Sachen, die nicht Zubehör (§§ 97, 98 BGB) sind und auf die sich der Räumungstitel somit nicht erstreckt, werden vom Gerichtsvollzieher grundsätzlich weggeschafft, weil sie nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind, § 885 Abs. 2 und 3 ZPO. Dieser Entfernung kann der Gläubiger eines Pfand- oder Zurückbehaltungsrechts an den Sachen widersprechen. Der Vermieter kann sein gesetzliches Vermieterpfandrecht (§ 562 BGB) auch ohne Anrufen des Gerichts geltend machen, § 562b Abs. 1 Satz 1 BGB. Er benötigt daher, wenn er sein Vermieterpfandrecht durch Beschränkung des Vollstreckungsauftrags aus dem Räumungstitel ausübt, keinen Vollstreckungstitel hinsichtlich der Gegenstände in der zu räumenden Wohnung (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 885 Rdn. 20; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 885 Rdn. 29; Hk-ZPO/Pukall, § 885 Rdn. 16; a.A. Flatow, NJW 2006, 1396, 1397). Die Frage, ob sich das geltend gemachte Vermieterpfandrecht auf alle in der Wohnung befindlichen Gegenstände erstreckt, ist materiell-rechtlicher Natur und daher nicht vom Gerichtsvollzieher zu entscheiden. Dies gilt auch für unpfändbare Sachen (§ 811 ZPO), die nicht dem Vermieterpfandrecht unterfallen, § 562 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. Schuschke, NZM 2005, 681, 682 m.w.N.). Die Bestimmung des § 811 ZPO betrifft die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen (Pfändung). Sie ist daher bei der Räumungsvollstreckung nach § 885 ZPO nicht anwendbar (vgl. Stein/Jonas/Brehm aaO § 885 Rdn. 29; Schneider, MDR 1982, 984, 985). Der Herausgabeanspruch nach § 885 Abs. 3 Satz 2 ZPO entsteht erst, wenn der Gerichtsvollzieher die Sachen nach § 885 Abs. 3 Satz 1 ZPO weggeschafft hat. Der Schuldner ist dadurch hinreichend geschützt, dass er die unpfändbaren, nicht dem Vermieterpfandrecht unterfallenden Gegenstände vor Durchführung der Herausgabevollstreckung aus der Wohnung entfernen kann, solange er noch nicht aus deren Besitz gesetzt ist. Die Beschränkung des Vollstreckungsauftrags des Gläubigers auf die Herausgabe der Wohnung hat lediglich zur Folge, dass der Gerichtsvollzieher von der Entfernung der nicht der Zwangsvollstreckung unterliegenden Sachen gemäß § 885 Abs. 2 und 3 ZPO abzusehen hat. Sie berechtigt ihn dagegen nicht, den Schuldner daran zu hindern, Sachen aus der Wohnung zu entfernen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind.

3. Das Amtsgericht hat daher richtig entschieden, dass der Gerichtsvollzieher zu der Zwangsvollstreckung verpflichtet ist und keinen Vorschuss für Kosten des Abtransports der Möbel verlangen kann.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

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