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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.04.1998
Aktenzeichen: I ZB 2/98
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233 I
ZPO § 233 I

Die bei Ausnutzung einer Frist bis zum Ablauf des letzten Tages, also bis 24.00 Uhr, aufzuwendende erhöhte Sorgfalt geht nicht so weit, daß die Partei bzw. ihr Prozeßbevollmächtigter damit rechnen muß, bei einer persönlichen Überbringung eines fristgebundenen Schriftsatzes zum Gericht durch unvorhersehbare Ereignisse - hier einen Verkehrsunfall - an der rechtzeitigen Einreichung gehindert zu werden.

BGH, Beschl. v. 23. April 1998 - I ZB 2/98 - OLG Hamburg LG Hamburg


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

I ZB 2/98

vom 23. April 1998

in der Beschwerdesache

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Prof. Dr. Mees, Starck, Dr. Bornkamm und Pokrant

am 23. April 1998

beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 7. Zivilsenat, vom 12. November 1997 aufgehoben.

Dem Beklagten wird wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 12 für Handelssachen, vom 11. Juli 1997 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Gründe

I. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung und Herausgabe mehrerer Kraftfahrzeuge in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage durch Urteil vom 11. Juli 1997 stattgegeben. Gegen dieses ihm am 15. Juli 1997 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 13. August 1997 Berufung eingelegt. Auf seinen Antrag vom 11. September 1997 ist die Berufungsbegründungsfrist zunächst bis zum 13. Oktober 1997 verlängert worden. Auf einen weiteren, am 9. Oktober 1997 beim Berufungsgericht eingegangenen Antrag ist die Berufungsbegründungsfrist nochmals bis zum 27. Oktober 1997 verlängert worden. Die Berufungsbegründung des Beklagten ist erst nach Ablauf dieser Frist am 28. Oktober 1997 im Gerichtsbriefkasten des Berufungsgerichts eingegangen.

Der Beklagte hat mit einem am 29. Oktober 1997 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er hat diesen Antrag damit begründet, daß sein Prozeßbevollmächtigter seine Kanzlei am 27. Oktober 1997 um 23.44 Uhr verlassen habe, um die Berufungsbegründung persönlich in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts einzuwerfen. Die Fahrtzeit zum Gericht betrage zur Nachtzeit etwa zehn Minuten, so daß eine fristgerechte Einreichung sichergestellt gewesen sei. Bei Antritt der Fahrt zum Oberlandesgericht sei der Prozeßbevollmächtigte in einen von ihm nicht verschuldeten Verkehrsunfall verwickelt worden und dadurch gehindert gewesen, die Berufungsbegründung fristgerecht einzuwerfen.

Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen, weil das Rechtsmittel nicht fristgerecht begründet worden sei.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten, mit der er geltend macht, sein Prozeßbevollmächtigter sei ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Dem Beklagten ist auf seinen rechtzeitig (§ 234 Abs. 1 ZPO) gestellten Antrag gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er war ohne ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten gehindert, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO).

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß eine Partei eine Frist grundsätzlich bis zum Ablauf des letzten Tages, also bis 24.00 Uhr, ausnutzen darf (vgl. BVerfG NJW 1991, 2076 m.w.N.). Es hat weiter auch zu Recht angenommen, daß in einem solchen Fall eine erhöhte Sorgfalt aufzuwenden ist, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (vgl. BGH, Beschl. v. 4.12.1986 - I ZB 7/86, VersR 1987, 589). Diese geht aber nicht so weit, daß die Partei bzw. ihr Prozeßbevollmächtigter auch damit rechnen muß, beim persönlichen Überbringen eines fristgebundenen Schriftsatzes durch unvorhersehbare Ereignisse an der rechtzeitigen Einreichung gehindert zu werden; auf Unvorhersehbares kann man sich nicht einstellen (vgl. BGH, Beschl. v. 17.9.1987 - VII ZB 5/87, VersR 1988, 249 für den Fall einer Reifenpanne; Beschl. v. 2.2.1989 - I ZB 19/88, NJW 1989, 2393 für den Fall einer Behinderung des Pkws des Prozeßbevollmächtigten durch ein verkehrswidrig abgestelltes Fahrzeug). So liegt der Fall auch hier.

Das Berufungsgericht macht dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten zu Unrecht zum Vorwurf, daß er bei einer geschätzten Fahrtzeit zum Gericht von etwa zehn Minuten erst um 23.44 Uhr des letzten Tages der Frist sein Büro verlassen und frühestens um 23.45 Uhr abfahrbereit in seinem Fahrzeug gesessen habe. Bei dieser zeitlichen Kalkulation habe ein hohes Risiko bestanden, das die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründung zwar nicht ausgeschlossen habe, die Fristeinhaltung aber auch ohne Dazutreten eines nicht vorhersehbaren Ereignisses ungewiß machte.

Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, daß der Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts bei einer regelmäßigen Fahrtzeit von etwa zehn Minuten noch rechtzeitig vor 24.00 Uhr hätte erreicht werden können, da der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten um 23.45 Uhr abfahrbereit war. Wenn es in der knappen zeitlichen Kalkulation gleichwohl eine schuldhafte Pflichtverletzung des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten erblickt, so überspannt es damit die Sorgfaltsanforderungen. Denn ohne das Unfallereignis, mit dem der Prozeßbvollmächtigte nicht zu rechnen brauchte, hätte die Frist gewahrt werden können.

Ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten ergibt sich entgegen der Annahme des Berufungsgerichts auch nicht aus einer ihm anzulastenden schuldhaften Mitverursachung des Verkehrsunfalls. Dieser Umstand muß bei der Beurteilung der Verschuldensfrage hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist außer Betracht bleiben, weil der Prozeßbevollmächtigte mit einem derartigen Hindernis mangels Voraussehbarkeit bei der zeitlichen Planung der Fahrt zum Gericht gerade nicht zu rechnen brauchte.

Dem Beklagten war daher die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

Ende der Entscheidung

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