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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.11.2000
Aktenzeichen: I ZB 34/00
Rechtsgebiete: UWG, ZPO, GVG
Vorschriften:
UWG § 3 | |
ZPO § 233 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 85 Abs. 2 | |
ZPO § 568 Abs. 2 | |
GVG § 17a Abs. 4 Satz 4 | |
GVG § 17a | |
GVG § 17a Abs. 4 Satz 2 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
23. November 2000
in der Beschwerdesache
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 23. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Starck, Dr. Büscher und Dr. Schaffert
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag der Beklagten, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 2. August 2000 zu gewähren, wird abgelehnt.
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 2. August 2000 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Der Gegenstandswert der Beschwerde wird auf 6.063,13 DM festgesetzt.
Gründe:
I. Die Beklagte, eine Betriebskrankenkasse, versandte im September 1999 Rundschreiben an die Personalabteilungen von Unternehmen und alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen im Raum W. , in denen sie mit der Behauptung warb, sie sei mit einem allgemeinen Beitragssatz von 12,5 % die kostengünstigste Krankenkasse in W. und Umgebung. Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., sieht darin einen Verstoß gegen § 3 UWG, weil die in W. vertretene Betriebskrankenkasse H. lediglich einen Beitragssatz von 12,4 % erhebt. Sie nimmt die Beklagte deshalb auf Unterlassung der Werbeaussage und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.
Die Beklagte hat bereits in der Erwiderung auf die im Jahre 1999 rechtshängig gewordene Klage den zu den ordentlichen Gerichten beschrittenen Rechtsweg als unzulässig gerügt und die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Sozialgericht beantragt.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 9. Dezember 1999 der Klage stattgegeben, ohne vorab über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu entscheiden.
Das Oberlandesgericht hat, nachdem die Beklagte gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und weiterhin die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs gerügt hatte, mit Beschluß vom 2. August 2000 festgestellt, daß der beschrittene Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulässig ist.
Gegen diese, dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 9. August 2000 zugestellte Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer am 4. September 2000 eingegangenen (zugelassenen) sofortigen Beschwerde, mit der sie zugleich Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist beantragt.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages trägt die Beklagte vor:
Im Büro von Rechtsanwalt H. - dem bestellten Vertreter und Kollegen ihres Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt P. - seien die dort tätigen Rechtsanwaltsgehilfinnen angewiesen, bei mit Zustellungsurkunde zugestellten Dokumenten zunächst oberhalb des Posteingangsstempels einen entsprechenden Vermerk anzubringen. Beginne mit der Zustellung der Lauf einer Frist, bestehe die Anweisung, dies auf dem entsprechenden Schriftstück durch einen Vermerk kenntlich zu machen und den Fristablauf mit zwei Vorfristen sowohl im handschriftlich geführten als auch im elektronischen Fristenkalender einzutragen. Danach sei das jeweilige Dokument unverzüglich mit Akte dem zuständigen anwaltlichen Sachbearbeiter vorzulegen. Dieser verfüge dann regelmäßig auf dem Dokument nochmals die Notierung zweier Vorfristen und der Schriftsatzfrist. Der Eintrag dieser Fristen in den elektronischen und handschriftlichen Fristenkalender werde durch die zuständige Anwaltsgehilfin dann mit Datum und Handzeichen bestätigt.
Am 9. August 2000 sei Frau W. , die für Rechtsanwalt H. und dessen Kollegen P. seit vielen Jahren tätig sei, mit der Postbearbeitung betraut gewesen. Sie sei ausgebildete Rechtsanwaltsgehilfin und Bürovorsteherin des Büros von Rechtsanwalt H. ; sie habe sich stets als außerordentlich zuverlässige Mitarbeiterin erwiesen. Auf dem Beschluß habe sie oberhalb des Posteingangsstempels vom 9. August 2000 den Vermerk über die Zustellung angebracht; aus nicht erfindlichen Gründen sei jedoch der Hinweis auf die laufende Notfrist sowie die Notierung der Vorfrist und der Schriftsatzfrist unterblieben.
Auch Rechtsanwalt H. habe, nachdem ihm der Beschluß am 9. August 2000 vorgelegt worden sei, augenscheinlich infolge erheblicher Arbeitsüberlastung übersehen, daß das Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde zum Bundesgerichtshof im vorliegenden Fall zugelassen habe. Dies habe er erst bei Wiedervorlage der Akte am 25. August 2000 festgestellt.
Rechtsanwalt H. sei seit dem 25. April 2000 bestellter Vertreter von Rechtsanwalt P. , der in deren Sozietät beim Oberlandesgericht zugelassen und auch alleiniger Sachbearbeiter in dieser Angelegenheit sei. Rechtsanwalt P. habe am 24. April 2000 (Ostermontag) einen schweren Verkehrsunfall gehabt, bei dem er lebensgefährliche Verletzungen erlitten und zunächst für mehrere Wochen im Koma gelegen habe. Rechtsanwalt P. sei derzeit nicht arbeitsfähig. Die Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit werde voraussichtlich bis mindestens zum Jahresende andauern. Seit dem Unfalltag habe Rechtsanwalt H. neben seinem eigenen Dezernat auch das umfangreiche Dezernat seines Kollegen P. zu betreuen und als dessen bestellter Vertreter auch die Betreuung beim Oberlandesgericht anhängiger Mandate zu gewährleisten.
Aufgrund dessen habe Rechtsanwalt H. möglicherweise überlesen, daß das Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung vom 2. August 2000 zugelassen habe, zumal eine solche Beschwerdezulassung zum Bundesgerichtshof keinen Regelfall darstelle.
II. Der zulässige Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist hat keinen Erfolg. Der Vortrag der Beklagten schließt es nicht aus, daß die Fristversäumung auf einem ihr zuzurechnenden (§ 85 Abs. 2 ZPO) anwaltlichen Verschulden beruht und daher für sie nicht unverschuldet im Sinne des § 233 ZPO ist.
Die Fristversäumung beruht nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten nicht allein darauf, daß die mit der Postbearbeitung betraute Rechtsanwaltsgehilfin und Bürovorsteherin es unterließ, auf die laufende Notfrist hinzuweisen sowie die Vorfrist und die Schriftsatzfrist zu notieren, sondern auch darauf, daß Rechtsanwalt H. , der bestellte Vertreter und Kollege ihres Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt P. , zunächst übersah, daß das Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen hatte.
Rechtsanwalt H. hat damit die Fristversäumung zu vertreten. Die Sorgfalt eines Rechtsanwalts erfordert es, daß dieser auch Sachen, die ihm als nicht fristgebunden vorgelegt werden, erst dann wieder zurückgibt, wenn er zuvor wenigstens festgestellt hat, um was es sich handelt und wie lange er sich mit der Bearbeitung Zeit lassen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 3.11.1997 - VI ZB 47/97, NJW 1998, 460, 461). Wäre dies im vorliegenden Fall geschehen, hätte Rechtsanwalt H. bereits dem Tenor des Beschlusses entnommen, daß das Oberlandesgericht den beschrittenen Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt und gegen diese Entscheidung die sofortige Beschwerde zugelassen hatte. Er hätte dann erkannt, daß eine Beschwerde innerhalb von zwei Wochen eingelegt werden mußte.
Es kann Rechtsanwalt H. nicht entlasten, daß er dies möglicherweise wegen seiner erheblichen zusätzlichen Arbeitsbelastung überlesen hat, als ihm der Beschluß am 9. August 2000 vorgelegt wurde. Denn diese Arbeitsüberlastung war kein Umstand, der plötzlich und unvorhersehbar eingetreten ist (vgl. BGH, Beschl. v. 23.11.1995 - V ZB 20/95, NJW 1996, 997, 998). Rechtsanwalt H. war am 25. April 2000 zum Vertreter seines Kollegen Rechtsanwalt P. bestellt worden, der am 24. April 2000 einen schweren Verkehrsunfall mit lebensgefährlichen Verletzungen erlitten hatte, aufgrund dessen er mehrere Wochen im Koma lag und voraussichtlich bis zum Jahresende arbeitsunfähig ist. Für Rechtsanwalt H. war daher absehbar, daß er die umfangreichen Aufgaben seines Kollegen für längere Zeit zusätzlich zu seinen eigenen Aufgaben werde wahrnehmen müssen. Er durfte nicht darauf vertrauen, daß er dieser Belastung standhalten würde, ohne Fehler zu begehen. Deshalb hätte er sobald wie möglich geeignete Maßnahmen treffen - beispielsweise zusätzliche Mitarbeiter heranziehen - müssen, um die zu erwartende Mehrarbeit fehlerfrei bewältigen zu können. Ihm ist anzulasten, daß er dies ein Vierteljahr nach dem Unfall seines Kollegen und der Bestellung zu dessen Vertreter noch nicht getan hatte.
Die Beklagte muß sich das Verschulden von Rechtsanwalt H. zurechnen lassen, da dieser als bestellter Vertreter (vgl. BGH, Beschl. v. 23.6.1994 - VII ZB 5/94, NJW 1994, 2957, 2958 m.w.N.) und Sozius (vgl. BGHZ 124, 47, 48 f. m.w.N.) ihres Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt P. ebenfalls Bevollmächtigter im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO ist.
III. Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist als unzulässig zu verwerfen, da sie erst am 4. September 2000 eingegangen ist, nachdem die zweiwöchige Notfrist zur Einlegung der Beschwerde (§ 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO) gegen den am 9. August 2000 zugestellten Beschluß bereits mit dem 23. August 2000 abgelaufen war.
Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei der gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zugelassenen weiteren Beschwerde um eine (befristete) sofortige und nicht etwa um eine (unbefristete) einfache Beschwerde. Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zugelassene Beschwerde ist allerdings eine weitere Beschwerde im Sinne des § 568 Abs. 2 ZPO. Dem steht nicht entgegen, daß sie sich erstmals gegen einen Beschluß richtet, mit dem über die Zulässigkeit des Rechtswegs entschieden worden ist. Denn dies ist nur darauf zurückzuführen, daß entgegen § 17a GVG nicht bereits das Landgericht durch Beschluß über die Zulässigkeit des Rechtswegs entschieden hatte (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 22. Aufl., § 17a GVG, Rdn. 16 m.w.N.). Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß es sich um eine einfache und nicht um eine sofortige Beschwerde handelt. Für die weitere Beschwerde ist regelmäßig dieselbe Art der Beschwerde wie für die erste Beschwerde gegeben, wenn nicht ausnahmsweise eine anderweitige gesetzliche Regelung besteht (Wieczorek, ZPO, 2. Aufl. 1988, § 568 Anm. B II a). Demnach gilt § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG, der gegen den Beschluß über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs die sofortige Beschwerde eröffnet, nicht nur für die erste, sondern auch für die weitere Beschwerde (vgl. Kissel, GVG, 2. Aufl., § 17 Rdn. 20).
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
V. Den Gegenstandswert der Beschwerde hat der Senat auf 1/5 des Wertes der Hauptsache festgesetzt (vgl. BGH, Beschl. v. 19.12.1996 - III ZB 105/96, NJW 1998, 909, 910).
Ende der Entscheidung
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