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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.02.2008
Aktenzeichen: I ZB 53/06
Rechtsgebiete: ZPO, GVKostG


Vorschriften:

ZPO § 885 Abs. 4
GVKostG § 13 Abs. 1 Nr. 1
Bei den Kosten, die nach Ablauf der zweimonatigen Aufbewahrungsfrist des § 885 Abs. 4 Satz 1 ZPO für die weitere Einlagerung der dem Vollstreckungsschuldner gehörenden aufbewahrungspflichtigen Geschäftsunterlagen entstehen, handelt es sich nicht um notwendige Zwangsvollstreckungskosten, für die der Vollstreckungsgläubiger nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 GVKostG als Kostenschuldner einzustehen hat.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

I ZB 53/06

vom 21. Februar 2008

in der Rechtsbeschwerdesache

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Februar 2008 durch die Richter Dr. Bergmann, Pokrant, Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 26. Juni 2006 und der Beschluss des Amtsgerichts Moers vom 8. Mai 2006 aufgehoben.

Auf die Erinnerung der Gläubigerin wird die Gerichtsvollzieherin angewiesen, die für die Einlagerung der Geschäftsunterlagen der Schuldnerin entstandenen Kosten, soweit diese nach Ablauf der Frist des § 885 Abs. 4 Satz 1 ZPO angefallen sind, nicht dem von der Gläubigerin gezahlten Kostenvorschuss zu entnehmen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe:

I. Die Gläubigerin hat gegen die Schuldnerin einen Räumungstitel erwirkt. Bei der im November 2004 im Auftrag der Gläubigerin durchgeführten Zwangsräumung der Geschäftsräume der Schuldnerin fand die Gerichtsvollzieherin auch Geschäftsunterlagen vor, die nach § 257 Abs. 1 HGB, § 147 Abs. 1 AO einer mehrjährigen Aufbewahrungspflicht unterliegen. Diese Unterlagen lagerte die Gerichtsvollzieherin für 90 € netto monatlich bei einer Spedition ein. Am 15. März 2006 teilte die Gerichtsvollzieherin der Gläubigerin mit, sie habe dem von der Gläubigerin geleisteten Kostenvorschuss (insgesamt 7.000 €) einen Betrag von 1.461,60 € zur Begleichung der bis März 2006 angefallenen Einlagerungskosten entnommen.

Die von der Gläubigerin gegen die Verwendung des Kostenvorschusses für Lagerkosten eingelegte Erinnerung hat das Vollstreckungsgericht zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben.

Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Gläubigerin die Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse sowie eine Anweisung an die Gerichtsvollzieherin, die für die Einlagerung der Geschäftsunterlagen der Schuldnerin entstandenen Kosten, soweit diese nach Ablauf der Frist des § 885 Abs. 4 ZPO angefallen sind, nicht dem von der Gläubigerin gezahlten Kostenvorschuss zu entnehmen.

II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Gläubigerin sei gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 GVKostG Schuldnerin der weiteren Einlagerungskosten. Die Räumungsvollstreckung sei für die Gläubigerin mit Ablauf der Aufbewahrungsfrist des § 885 Abs. 4 ZPO noch nicht abgeschlossen. Eine Kostentragungspflicht des Staates komme nicht in Betracht, da es hierfür an einer rechtlichen Grundlage fehle.

Eine Vernichtung der Geschäftsunterlagen vor Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen scheide aus, weil dadurch eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB begründet werden könne. Dieser Gefahr dürfe ein Gerichtsvollzieher nicht ausgesetzt werden. Unerheblich sei, ob die Schuldnerin die Geschäftspapiere bei sich einlagern könnte, da sie dies nicht tue und die Gerichtsvollzieherin die Schuldnerin dazu nicht zwingen könne.

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Gläubigerin haftet nach Ablauf der zweimonatigen Aufbewahrungsfrist gemäß § 885 Abs. 4 ZPO nicht für die Kosten der Einlagerung der Geschäftsunterlagen der Schuldnerin.

a) Für die Aufbewahrung von Räumungsgut gilt § 885 Abs. 4 ZPO. Danach kann der Schuldner seine Sachen innerhalb von zwei Monaten nach Beendigung der Räumung abholen, wobei ihm unpfändbare Sachen, zu denen auch Geschäftspapiere zählen (§ 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO), gemäß § 885 Abs. 4 Satz 1, Halbs. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO ohne Weiteres herauszugeben sind. Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist hat der Gerichtsvollzieher die verwertbaren Sachen zu verkaufen. Unverwertbare Gegenstände sollen vernichtet werden, § 885 Abs. 4 Satz 2 ZPO.

Maßnahmen nach § 885 Abs. 4 ZPO sind allerdings unzulässig, wenn es sich bei den eingelagerten Sachen um Geschäftsunterlagen handelt, für die der Schuldner gemäß § 257 Abs. 1 HGB, § 147 Abs. 1 AO aufbewahrungspflichtig ist (LG Koblenz DGVZ 2006, 27 f.; Musielak/Lackmann, ZPO, 5. Aufl., § 885 Rdn. 16; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 885 Rdn. 44; Gilleßen, DGVZ 2006, 165, 167; Schultes, DGVZ 1999, 1, 7).

b) Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 GVKostG haftet der Vollstreckungsgläubiger als Auftraggeber (§ 3 GVKostG) neben dem Vollstreckungsschuldner für die notwendigen Kosten der Zwangsvollstreckung. Der Regelung in § 13 Abs. 1 Nr. 1 GVKostG liegt das sogenannte Veranlassungsprinzip zugrunde. Danach haftet ein Gläubiger, der zur Durchsetzung eines Räumungstitels die Hilfe eines Gerichtsvollziehers in Anspruch nimmt, grundsätzlich für alle Kosten, die durch eine ordnungsgemäße und zweckmäßige Durchführung des Auftrags notwendigerweise entstehen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl., § 13 GVKostG Rdn. 4 m.w.N.).

c) Umstritten ist allerdings, wer die Kosten der weiteren Verwahrung von aufbewahrungspflichtigen Geschäftsunterlagen nach Ablauf der zweimonatigen Frist des § 885 Abs. 4 Satz 1 ZPO zu tragen hat.

aa) Teilweise wird angenommen, dass es sich bei den für die Dauer der Aufbewahrungspflicht von Geschäftsunterlagen entstehenden Lagerkosten um notwendige Kosten der Räumung handele, so dass der Gläubiger für diese Kosten aufzukommen habe (LG Koblenz DGVZ 2006, 27 f.; AG Hamburg-Harburg DGVZ 2004, 173, 174; AG Bad Schwalbach DGVZ 2002, 189; vgl. auch MünchKomm.ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 885 Rdn. 57).

bb) Nach anderer Ansicht ist der Vollstreckungsauftrag nach Ablauf der Abholungsfrist des § 885 Abs. 4 Satz 1 ZPO beendet. Das Vollstreckungsgericht habe dann zu entscheiden, ob die Geschäftsunterlagen auf Staatskosten weiterhin bei einem Dritten eingelagert blieben oder zu vernichten seien. Die weitere Verfahrensweise gehe den Gläubiger nichts mehr an, weshalb er für die Kosten der Verwahrung von Geschäftsunterlagen des Schuldners über die in § 885 Abs. 4 Satz 1 ZPO festgelegte Frist hinaus nicht hafte (LG Berlin DGVZ 2004, 431; LG Frankfurt a.M. DGVZ 2002, 76; Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 885 Rdn. 26; Wieczorek/Schütze/Storz, ZPO, 3. Aufl., § 885 Rdn. 66, 75 f.; Stein/Jonas/Brehm aaO § 885 Rdn. 44; Gilleßen, DGVZ 2006, 165, 167).

d) Der Senat schließt sich der zweiten Auffassung an. Bei den Kosten, die nach Ablauf der zweimonatigen Aufbewahrungsfrist des § 885 Abs. 4 Satz 1 ZPO für die weitere Einlagerung der dem Vollstreckungsschuldner gehörenden Geschäftsunterlagen entstehen, handelt es sich nicht um notwendige Zwangsvollstreckungskosten, für die der Vollstreckungsgläubiger nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 GVKostG als Kostenschuldner einzustehen hat.

Nach § 885 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist der zur Räumung verurteilte Schuldner berechtigt, seine von dem Gerichtsvollzieher in Verwahrung gebrachten Sachen binnen einer Frist von zwei Monaten nach der Räumung gegen Zahlung der dafür entstandenen Kosten abzufordern. Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist hat der Gerichtsvollzieher die eingelagerten Sachen zu verkaufen oder zu vernichten (§ 885 Abs. 4 ZPO). Dementsprechend ist eine Einlagerung grundsätzlich nur für die Dauer der Abholungsfrist zuzüglich einer angemessenen Frist, die der Gerichtsvollzieher gegebenenfalls benötigt, um nach Ablauf der zwei Monate den Verkauf oder die Vernichtung zu veranlassen, notwendig.

Die Regelungen gemäß § 885 Abs. 3 und 4 ZPO gehen davon aus, dass Räumung und anschließende Verwahrung innerhalb des durch § 885 Abs. 4 ZPO vorgegebenen Zeitraums auch im Kosteninteresse des Gläubigers beendet sind (Regierungsentwurf zur 2. Zwangsvollstreckungsnovelle v. 27.1.1995, BT-Drucks. 13/341, S. 39). Ein darüber hinausgehender Verwertungsaufschub soll als unrichtige Sachbehandlung einen Kostenanspruch des Gerichtsvollziehers ausschließen (BT-Drucks. 13/341, S. 39).

Das gilt auch dann, wenn es sich bei den eingelagerten Sachen um Geschäftsunterlagen handelt, für die der Schuldner (etwa gemäß § 257 HGB oder § 147 AO) aufbewahrungspflichtig ist. In diesem Fall scheidet zwar eine Verwertung durch Veräußerung von vornherein aus. Eine Vernichtung kommt nicht in Betracht, sofern dadurch einem gesetzlichen Verbot zuwidergehandelt würde. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Aufbewahrungspflicht nach § 257 HGB, § 147 AO nicht den Gläubiger, sondern allein den Vollstreckungsschuldner trifft. Er hat für die ordnungsgemäße Erfüllung der ihm obliegenden Aufbewahrungspflichten zu sorgen. Wurden die Geschäftsunterlagen nach Durchführung der Räumungsvollstreckung zunächst bei einem Dritten eingelagert, so kann der Gerichtsvollzieher den Schuldner nach Ablauf der zweimonatigen Aufbewahrungsfrist des § 885 Abs. 4 Satz 1 ZPO auffordern, die Unterlagen binnen einer angemessenen Frist abzuholen. Sofern die Aufforderung des Gerichtsvollziehers an den Schuldner erfolglos bleibt, hat der Gerichtsvollzieher seinen Vollstreckungsauftrag nach § 885 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO zu beenden. Die Fassung des § 885 Abs. 4 Satz 2 ZPO ("sollen") beruht nach der Gesetzesbegründung darauf, dass dem Gerichtsvollzieher ermöglicht werden soll, in Ausnahmefällen von einer Vernichtung abzusehen. Dabei hat der Gesetzgeber den Fall, dass zum Räumungsgut gehörende Geschäftsunterlagen für die Dauer einer gesetzlichen Aufbewahrungsfrist auf Kosten der Staatskasse aufbewahrt werden müssen, wenn der Schuldner sie nicht abfordert, im Blick gehabt (vgl. BT-Drucks. 13/341, S. 40).

III. Danach sind die Beschlüsse des Vollstreckungsgerichts und des Beschwerdegerichts aufzuheben. Auf die Erinnerung der Gläubigerin ist die Gerichtsvollzieherin wie aus dem Tenor ersichtlich anzuweisen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Im einseitigen Erinnerungsverfahren nach § 766 Abs. 2 ZPO kommt eine Kostenentscheidung zu Lasten eines Beteiligten des Vollstreckungsverfahrens nicht in Betracht (vgl. OLG Hamm DGVZ 1994, 27; Zöller/Stöber aaO § 766 Rdn. 27, 34 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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