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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.01.2006
Aktenzeichen: I ZB 64/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233 Fc
Zu den Anforderungen an eine Ausgangskontrolle bei der Versendung einer Rechtsmittelschrift per Telefax (hier: Einschaltung einer Auszubildenden in der Anfangsphase der Ausbildung im Rahmen der Ausgangskontrolle und zeitliches Auseinanderfallen der Kontrollmaßnahmen).
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

I ZB 64/05

vom 26. Januar 2006

in der Rechtsbeschwerdesache

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Januar 2006 durch die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg und Pokrant, die Richterin Ambrosius und die Richter Dr. Büscher und Dr. Schaffert

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 12. Mai 2005 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde beträgt 100.000 €.

Gründe:

I. Das Urteil des Landgerichts München I, durch das die Klage abgewiesen worden ist, ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24. November 2004 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin ist beim Berufungsgericht am Montag, 27. Dezember 2004, eingegangen.

Die Klägerin hat gegen die Versäumung der am 24. Dezember 2004 abgelaufenen Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu ausgeführt:

Ihr Prozessbevollmächtigter, Rechtsanwalt Dr. H. , habe die seit August 2004 in der Rechtsanwaltskanzlei beschäftigte, stets zuverlässige Auszubildende Frau K. am 23. Dezember 2004 angewiesen, die Berufungsschrift im vorliegenden Verfahren an das Berufungsgericht und ein Bestätigungsschreiben an die Klägerin jeweils per Telefax vorab zu übermitteln. Am späten Nachmittag desselben Tages habe Rechtsanwalt Dr. H. sich durch eine Rückfrage bei der Auszubildenden versichert, ob die Berufungsschrift an das Oberlandesgericht abgesandt worden sei, ein OK-Vermerk vorliege und sie die Fax-Nummern kontrolliert habe. Dies sei von der Auszubildenden bestätigt worden. Daraufhin habe ihr Prozessbevollmächtigter die Frist im Fristenkalender und auf seiner gesondert geführten Fristenliste abgehakt. Erst am 29. Dezember 2004 habe sich herausgestellt, dass die Auszubildende lediglich das Bestätigungsschreiben per Telefax übermittelt habe; die Berufungsschrift habe sie nur mit der Post versandt.

II. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe die erforderliche Sorgfalt vermissen lassen, weil eine Ausgangskontrolle gänzlich unterblieben sei. Zwar brauche sich ein Rechtsanwalt nicht über die ordnungsgemäße Erledigung einer jeden Einzelanweisung vergewissern. Von einer Verpflichtung, generell für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, sei er aber auch im Fall von Einzelanweisungen nicht entbunden. Er habe sicherzustellen, dass eine Frist im Fristenkalender erst dann als erledigt gekennzeichnet werde, wenn der Schriftsatz abgesandt sei. An die in der Rechtsanwaltskanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin bestehende allgemeine Anweisung, dass Fristen von der zuständigen Sekretärin erst nach vollständiger Erledigung, also erst nach dem Vorliegen des OK-Vermerks des Faxgerätes im Fristenbuch abzuhaken seien, habe sich ihr Prozessbevollmächtigter selbst nicht gehalten. Er habe die Frist gestrichen, ohne sich von der tatsächlichen Erledigung anhand des konkreten Sendeberichts zu überzeugen. Auf die bloße Nachfrage bei der mit der Versendung betrauten Auszubildenden, die erst wenige Monate in der Kanzlei beschäftigt und bislang nicht selbständig, sondern nur unter Aufsicht tätig gewesen sei, habe sich der Prozessbevollmächtigte nicht verlassen dürfen. Das Fehlverhalten des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei mitursächlich für das Fristversäumnis gewesen.

III. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO müssen auch bei einer Rechtsbeschwerde vorliegen, die sich gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss richtet (BGHZ 161, 86, 87). Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Streitfall nicht auszugehen. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht erforderlich. Es liegt weder eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor noch verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts Verfahrensgrundrechte der Klägerin, namentlich den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, den Anspruch auf ein willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG) oder auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip).

Die Klägerin war nicht ohne ihr Verschulden verhindert, die Berufungsfrist einzuhalten (§§ 233, 517 ZPO). Ihr Prozessbevollmächtigter hat die Berufungsfrist von einem Monat schuldhaft versäumt; sein Verschulden muss sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Prozessbevollmächtigte in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen (BGH, Beschl. v. 8.4.1997 - VI ZB 8/97, NJW 1997, 2120, 2121; Beschl. v. 4.10.2000 - XI ZB 9/00, BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 14). Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax kommt der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, nur dann nach, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (BGH, Beschl. v. 18.10.1995 - XII ZB 123/95, VersR 1996, 778 f. = BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 44; Beschl. v. 19.11.1997 - VIII ZB 33/97, NJW 1998, 907). Ob dem die allgemeine Anweisung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin (Ziff. 1.4.3) genügt, kann offen bleiben. Bedenken könnten sich daraus ergeben, dass die Anweisung allgemein gehalten ist und die vorstehend nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlichen Prüfungsschritte nicht im Einzelnen aufgeführt sind. Die Frage kann aber dahinstehen, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Berufungsfrist im Terminkalender als erledigt gekennzeichnet hat, ohne sichergehen zu können, dass die Einhaltung der Frist in der dargelegten Weise ausreichend kontrolliert worden war. Dies begründet ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin.

2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt es nicht darauf an, dass der Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass eine bislang zuverlässige Büroangestellte eine konkrete Einzelanweisung befolgt und bei mündlichen Anweisungen nur sichergestellt werden muss, dass diese nicht in Vergessenheit geraten. Die Einzelanweisung, die Berufungsschrift per Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln, machte die Ausgangskontrolle nicht entbehrlich (vgl. BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369; Beschl. v. 3.5.2005 - XI ZB 41/04, Umdruck S. 5). Zwar kann der Rechtsanwalt die Ausgangskontrolle auf zuverlässiges Büropersonal übertragen und braucht sie nicht selbst vorzunehmen (BGH, Beschl. v. 23.3.1995 - VII ZB 19/94, NJW 1995, 2105, 2106). Übernimmt der Rechtsanwalt aber generell oder im Einzelfall die Ausgangskontrolle selbst, muss er für eine wirksame Kontrolle Sorge tragen.

Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Ausgangskontrolle selbst übernommen, indem er anstelle der sonst zuständigen Sekretärin Frau Ky. die Berufungsfrist im Fristenkalender als erledigt vermerkte. Wie das Berufungsgericht zu Recht entschieden hat, war seine Ausgangskontrolle aber unzureichend, weil er das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Sendeprotokolls nicht selbst überprüfte, bevor er die Erledigung im Fristenkalender vermerkte. Die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxübermittlung (einschließlich der Kontrolle des Sendeprotokolls) kann der Anwalt allerdings grundsätzlich seinem Personal überlassen. Er braucht ihre Erfüllung dann nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren (vgl. BGH NJW 2004, 367, 368). Dies kann auch bei einer Auszubildenden der Fall sein, wenn diese mit einer solchen Tätigkeit vertraut ist und eine regelmäßige Kontrolle ihrer Tätigkeit keine Beanstandungen ergeben hat (vgl. BGH, Beschl. v. 11.2.2003 - VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durfte sich hier aber trotz seiner konkreten Nachfrage, ob die Berufungsschrift durch Telefax übermittelt worden sei, nicht allein auf die Auskunft der Auszubildenden verlassen. Diese war bislang nicht mit der Ausgangskontrolle als solcher befasst.

Nach den getroffenen Feststellungen bedurfte die Auszubildende, auch wenn sie sich bis dahin als zuverlässig erwiesen haben mag, selbst in Fragen ihres angestammten Zuständigkeitsbereichs, zu dem die Versendung von Telefaxen gehörte, noch der Anleitung, Begleitung und Überwachung durch die zuständigen Sekretärinnen und den jeweils sachbearbeitenden Rechtsanwalt. Dazu kam - wie das Berufungsgericht näher dargelegt hat - die für die Auszubildende noch ungewohnte besondere Situation des "vorweihnachtlichen Stoßgeschäfts" vor den Feiertagen und dem Jahreswechsel, bei dem in einer Anwaltskanzlei vermehrt Fristsachen anfallen und bei dem auch langjährig erfahrene und zuverlässige Kräfte einer gesteigerten Fehleranfälligkeit unterliegen.

Aber auch wenn die von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin beauftragte Mitarbeiterin mit der Ausgangskontrolle hinreichend vertraut gewesen wäre, genügte die praktizierte Verfahrensweise nicht den Anforderungen, die an eine ausreichende Ausgangskontrolle zu stellen sind. Zwischen der vermeintlichen Absendung der Berufungsschrift per Telefax am frühen Nachmittag und der Kontrolle des Absendevorgangs ausschließlich durch Nachfrage bei der mit der Versendung befassten Mitarbeiterin am späten Nachmittag lag eine nicht unerhebliche Zeitspanne. Hieraus ergeben sich zusätzliche Risiken, die bei einer im zeitlichen Zusammenhang mit dem Vorgang durchgeführten Kontrolle nicht bestanden hätten und die eine genügende Ausgangskontrolle nicht gewährleisteten, weil die gesamte Ausgangskontrolle auf dem Erinnerungsbild beruhte, das die Mitarbeiterin von dem von ihr ausgeführten, bereits einige Zeit zurückliegenden Vorgang der Telefaxversendung hatte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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