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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 13.03.2008
Aktenzeichen: I ZR 116/06
Rechtsgebiete: HGB, BGB


Vorschriften:

HGB § 439 Abs. 3
BGB § 203
Die Verjährungsvorschrift des § 439 Abs. 3 HGB ist im Verhältnis zur allgemeinen Hemmungsregelung des § 203 BGB nicht lex specialis. Beide Bestimmungen stehen vielmehr uneingeschränkt nebeneinander.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I ZR 116/06

Verkündet am: 13. März 2008

in dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Bergmann für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 7. Juni 2006 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte, die D. AG, wegen des Verlustes von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch. Die auf den Verlust von vier Paketen gestützte Klage ist nur hinsichtlich eines Pakets im Wert von 500 € in die Revisionsinstanz gelangt. Der Kläger beauftragte die Beklagte am 13. Dezember 2003 mit der Beförderung von vier Paketsendungen zu verschiedenen Empfängern in Deutschland. Die Pakete kamen bei den Empfängern nicht an. Nach einem erfolglosen Nachforschungsauftrag vom 17. Dezember 2003 und einer Haftungsablehnung der Beklagten vom 22. Januar 2004 machte der Kläger mit Schreiben vom 24. Februar 2004 gegenüber der Beklagten wegen des Verlustes der vier Pakete eine Schadensersatzforderung in Höhe von 2.011,02 € geltend. Die Beklagte ließ das Schadensersatzverlangen unbeantwortet. Mit Anwaltsschreiben vom 10. September 2004 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und teilte ihr mit, dass deren Haftungsablehnung für ihn nicht nachvollziehbar sei. Darüber hinaus forderte er die Beklagte auf, ihm einen Ansprechpartner zu nennen, an den der Originaleinlieferungsschein übersandt werden könne. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 21. September 2004, sie benötige für die Einleitung des Ersatzanspruchsverfahrens eine vollständig ausgefüllte Schadensersatzmeldung über die Höhe der Ersatzforderung sowie eine Kopie der dem Warenempfänger erteilten Rechnung oder einen anderen Nachweis über den Paketinhalt. Daraufhin ließ der Kläger am 24. September 2004 durch seine damaligen Bevollmächtigten mitteilen, dass er den Originaleinlieferungsschein bei Benennung eines Ansprechpartners jederzeit übermitteln könne. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 15. Oktober 2004, da der Kläger ihrer Aufforderung bezüglich der Zusendung der erforderlichen Unterlagen nicht nachgekommen sei, sende sie ihm zu ihrer Entlastung seine eingesandten Unterlagen zurück und betrachte die Bearbeitung damit als abgeschlossen. Dieses Schreiben enthielt im Betreff unter anderem folgende Angaben: "Identcode 853718206741/Einlieferdatum: 13.12.2003 von ... Alexander S. ... an Christian K. ...". Der Kläger hat am 2. Februar 2005 wegen Verlustes des an den Empfänger G. adressierten Pakets eine Schadensersatzklage in Höhe von 506,60 € eingereicht. Er hat - soweit in der Revisionsinstanz von Bedeutung - beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 506,60 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagte hat gegenüber dem geltend gemachten Anspruch die Einrede der Verjährung erhoben. Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht dem Kläger unter Abweisung der Klage im Übrigen und Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels eine Ersatzforderung in Höhe von 506,60 € nebst Zinsen zuerkannt (LG Bonn, Urt. v. 7.6.2006 - 5 S 14/06, juris). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter. Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers in Höhe von 500 € aus § 425 Abs. 1 HGB wegen Verlustes der an den Empfänger G. adressierten Paketsendung für begründet erachtet. Darüber hinaus hat es dem Kläger einen Anspruch auf Rückzahlung des Beförderungsentgelts für diese Sendung in Höhe von 6,60 € zuerkannt. Dazu hat es ausgeführt: Das an den Empfänger G. adressierte Paket sei unstreitig am 13. Dezember 2003 bei der Beklagten eingeliefert worden und bei dem Empfänger nicht angekommen. Dadurch sei dem Kläger ein Schaden in Höhe von 500 € entstanden. Der Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 425 Abs. 1 HGB sei nicht gemäß § 439 HGB verjährt. Die Verjährungsfrist betrage ein Jahr, da der Kläger ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten nicht behaupte. Der Lauf der Verjährungsfrist habe am 17. Dezember 2003 eingesetzt und wäre danach am 16. Dezember 2004, also vor Einreichung der Klage am 2. Februar 2005, abgelaufen gewesen. Der Lauf der Verjährungsfrist sei nicht nach § 439 Abs. 3 HGB gehemmt gewesen. Durch den Nachforschungsauftrag des Klägers vom 17. Dezember 2003 sei keine Hemmung erfolgt. Ebenso wenig habe eine Hemmung der Verjährungsfrist durch das Anspruchsschreiben des Klägers vom 24. Februar 2004 eintreten können, da die Beklagte ihre Haftung bereits zuvor mit Schreiben vom 22. Januar 2004 abgelehnt habe. Die Beklagte sei jedoch durch ihr Schreiben vom 21. September 2004, mit dem sie auf das Schadensregulierungsverlangen des Klägers vom 10. September 2004 reagiert habe, in Verhandlungen über den Anspruch eingetreten. Dadurch sei die Verjährung gemäß § 203 BGB, der neben § 439 Abs. 3 HGB zur Anwendung komme, gehemmt worden. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beklagte ihre Haftung zuvor mit Schreiben vom 22. Januar 2004 bereits abgelehnt habe. Dementsprechend sei ab dem 10. September 2004, dem Datum des Schreibens der anwaltlichen Vertreter des Klägers, eine Hemmung der Verjährung eingetreten. Diese sei hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs wegen Verlustes des an den Kunden G. versandten Pakets nicht durch das Schreiben der Beklagten vom 15. Oktober 2004 beendet worden, weil sich dieses Schreiben auf ein anderes, ebenfalls verlorengegangenes Paket bezogen habe. Die Verjährungshemmung könne aber auch dadurch enden, dass ein Abbruch der Verhandlungen durch "Einschlafenlassen" erfolge. In einem solchen Fall komme es maßgeblich auf den Zeitpunkt an, zu dem der Berechtigte nach Treu und Glauben eine Antwort der Gegenseite spätestens habe erwarten dürfen. Unter den im Streitfall gegebenen Umständen sei eine Äußerung der Beklagten betreffend des bei dem Adressaten G. nicht angekommenen Pakets bis spätestens 15. November 2004 zu erwarten gewesen. Die Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 HGB sei danach ab dem 16. November 2004 weitergelaufen. Zu diesem Zeitpunkt seien acht Monate und 24 Tage von der Verjährungsfrist verstrichen gewesen, so dass diese am 22. Februar 2005 geendet habe. Die am 2. Februar 2005 eingereichte Klage wegen Verlustes der an den Kunden G. adressierten Sendung sei mithin rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist erhoben worden. Gemäß § 432 Satz 1 HGB stehe dem Kläger auch ein Anspruch auf Erstattung des für die Beförderung zu dem Adressaten G. entrichteten Entgelts in Höhe von 6,60 €. Die dem Kläger zuerkannten Zinsen seien gemäß § 353 HGB, §§ 280, 286, 288 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. II. Die Revision hat keinen Erfolg. 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend eine Haftung der Beklagten für den Verlust des an den Empfänger G. adressierten Pakets gemäß § 425 Abs. 1 HGB bejaht. Dadurch ist dem Kläger unstreitig ein Schaden in Höhe von 500 € entstanden. Die Revision erhebt insoweit auch keine Beanstandungen. 2. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass dieser von dem Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht verjährt ist. a) Gemäß § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB verjähren die Ansprüche gegen den Frachtführer aus einem Güterbeförderungsvertrag grundsätzlich in einem Jahr. Davon ist auch im Streitfall auszugehen, weil der Kläger ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten nicht dargelegt hat. Die Verjährungsfrist beginnt im Falle der unterbliebenen Ablieferung des Gutes nach § 439 Abs. 2 Satz 2 HGB mit dem Tag, an dem das Gut hätte abgeliefert werden müssen. Das war hier nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts der 16. Dezember 2003, so dass die Verjährungsfrist am 17. Dezember 2003 zu laufen begonnen hat und gemäß § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, Altern. 1 BGB am 16. Dezember 2004, mithin vor Einreichung der Schadensersatzklage, abgelaufen wäre. b) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Lauf der Verjährungsfrist nicht gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB gehemmt worden ist. Nach dieser Vorschrift wird die Verjährung eines gegen den Frachtführer gerichteten Anspruchs durch ein schriftliches Schadensersatzverlangen des Absenders bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, in dem der Frachtführer die Erfüllung des Anspruchs schriftlich ablehnt. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass der Nachforschungsauftrag des Klägers vom 17. Dezember 2003 nicht den an ein Anspruchsschreiben i.S. des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB zu stellenden Anforderungen genügt hat. Erst mit Schreiben vom 24. Februar 2004 hat der Kläger gegenüber der Beklagten hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er sie wegen des Verlustes von vier bei ihr eingelieferten Paketen auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. Dieses Schreiben konnte jedoch keine Verjährungshemmung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB mehr bewirken, weil die Beklagte bereits zuvor mit Schreiben vom 22. Januar 2004 eine Haftung für die in Rede stehenden Verluste abgelehnt hatte. Ein solches Verhalten rechtfertigt die Annahme, dass der spätere Anspruchsgegner, der schon vor Erhebung eines Schadensersatzanspruchs seine Haftung zurückgewiesen hat, sich auf ein Anspruchsschreiben hin nicht zu Verhandlungen bereit findet, die zu einer gütlichen Einigung zwischen den Parteien führen (vgl. Ramming, TranspR 2002, 45, 52; wohl auch Koller, Transportrecht, 6. Aufl., § 439 HGB Rdn. 44). c) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei eine Hemmung der Verjährung nach § 203 BGB bejaht. aa) Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass die allgemeine, die Hemmung der Verjährung regelnde Vorschrift des § 203 BGB nicht durch § 439 Abs. 3 HGB verdrängt wird. Die Bestimmung des § 439 Abs. 3 HGB ist nicht lex specialis im Verhältnis zu § 203 BGB. Vielmehr stehen beide Vorschriften uneingeschränkt nebeneinander (vgl. Koller aaO § 439 HGB Rdn. 31; ders., TranspR 2001, 425, 429; Gass in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 439 Rdn. 23; Heymann/Schlüter, HGB, 2. Aufl., § 439 Rdn. 8; MünchKomm.BGB/Grothe, 5. Aufl., § 203 Rdn. 13; Staudinger/Peters, BGB [Bearb. 2004], § 203 Rdn. 20; Ramming, TranspR 2002, 45, 52 f.; a.A. Harms, TranspR 2001, 294, 297; Drews, TranspR 2004, 340, 341 f.; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 203 Rdn. 1). Diese Annahme rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass die Anwendungsvoraussetzungen beider Vorschriften erhebliche Unterschiede aufweisen und § 439 Abs. 3 HGB nicht darauf abzielt, die allgemeinen Hemmungstatbestände einzugrenzen (vgl. MünchKomm.BGB/Grothe aaO § 203 Rdn. 13; Koller, TranspR 2001, 425, 429). Der Eintritt der Verjährungshemmung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB erfordert lediglich ein einseitiges Schadensersatzverlangen des Anspruchstellers. Demgegenüber knüpft § 203 BGB für die Hemmung der Verjährungsfrist an Verhandlungen zwischen den Parteien an. Damit erfordert die Anwendung des § 203 BGB - anders als § 439 Abs. 3 HGB - das Hervorrufen eines besonderen Vertrauens seitens des Schuldners beim Gläubiger (Koller aaO § 439 HGB Rdn. 31; Andresen/Valder, Speditions-, Fracht- und Lagerrecht, § 439 HGB Rdn. 34). Daher kann der Lauf der Verjährungsfrist gemäß § 203 BGB - sofern dessen Voraussetzungen gegeben sind - selbst dann noch gehemmt werden, wenn andere Hemmungstatbestände, die auf dem gleichen Rechtsgedanken beruhen, vom Anwendungsbereich her zwar eröffnet sind, ihre Voraussetzungen aber nicht (mehr) bestehen (vgl. MünchKomm.BGB/Grothe aaO § 203 Rdn. 13). Daraus ergibt sich, dass Verhandlungen nach formgerechter Zurückweisung eines Schadensersatzverlangens grundsätzlich erneut den Ablauf der Verjährungsfrist hemmen können (Koller aaO § 439 HGB Rdn. 31; Ramming, TranspR 2002, 45, 53). Das erfordert allerdings eine hinreichende Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs seitens des Gläubigers, damit der Schuldner - gerade wenn es sich dabei um einen Spediteur/Frachtführer handelt, der massenweise Paketsendungen befördert - den Anspruch zuordnen und prüfen kann, ob er die Forderung bereits zu einem früheren Zeitpunkt zurückgewiesen hatte. Die parallele Anwendung von § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB und § 203 BGB führt auch nicht zu einer Umgehung der erstgenannten Bestimmung. Im Falle des § 203 BGB muss es zu Verhandlungen zwischen den Parteien kommen. Erforderlich ist also eine Mitwirkung des in Anspruch genommenen Frachtführers. Reagiert dieser auf ein erneutes Schadensersatzverlangen nicht oder weist er dieses nochmals zurück, so verbleibt es bei der Regelung des § 439 Abs. 3 Satz 2 HGB, wonach durch die erneute Erhebung des Anspruchs keine (weitere) Verjährungshemmung eintritt. Tritt der Schuldner dagegen nach einer vorangegangenen Zurückweisung der Ansprüche erneut in Verhandlungen ein, so hat er sich des Schutzes, den ihm § 439 Abs. 3 HGB grundsätzlich gewährt, selbst begeben. Dies steht nicht im Widerspruch zum Zweck des handelsrechtlichen Hemmungstatbestandes. bb) Das Berufungsgericht hat auch zutreffend die Voraussetzungen für die Anwendung des § 203 BGB bejaht. Der Kläger hat der Beklagten in seinem Anspruchsschreiben vom 10. September 2004 ein Aktenzeichen, unter dem der Vorgang bei der Beklagten bearbeitet wurde, sowie vier Einlieferungsnummern und eine Kundenkennung mitgeteilt. Diese Angaben ermöglichten der Beklagten eine Zuordnung des Schadensersatzverlangens sowie die Prüfung, ob und mit welchem Ergebnis sie mit dem geltend gemachten Anspruch schon einmal befasst war. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 21. September 2004 in Verhandlungen über den vom Kläger erhobenen Schadensersatzanspruch eingetreten ist. Revisionsrechtlich ist schließlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht eine Hemmung der Verjährungsfrist hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs, den der Kläger auf den Verlust der an seinen Kunden G. adressierten Sendung stützt, bis zum 15. November 2004 angenommen hat. Insoweit wird von der Revision auch nichts erinnert. 3. Die Zuerkennung des Zinsanspruchs lässt ebenfalls keinen Rechtsfehler erkennen. III. Danach ist die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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