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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.12.2005
Aktenzeichen: I ZR 95/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 254
BGB § 254 Abs. 1
BGB § 254 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I ZR 95/03

Verkündet am: 15. Dezember 2005

in dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Bornkamm, Pokrant und Dr. Schaffert

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 6. Zivilsenat, vom 6. März 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Transportversicherer der I. B.V. in Venlo/Niederlande (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin wegen des Verlusts von Transportgut im Rahmen eines im Jahr 2000 durchgeführten internationalen Straßengütertransports auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Versicherungsnehmerin kaufte bei der Y. GmbH (im Weiteren: Y. GmbH) in Berg Computer-Festplatten. Mit der Beförderung wurde die Beklagte beauftragt, die in ständiger Geschäftsbeziehung mit der Y. GmbH stand. Diese übergab der Beklagten Festplatten in zwei Sendungen zur Beförderung; Wertangaben erfolgten hierbei nicht. Die erste Sendung im Wert von 11.626,78 € ging teilweise - wertmäßig in Höhe von 7.751,18 € - verloren, die zweite Sendung im Wert von 34.032,61 € insgesamt.

Die Beklagte hatte sich zur Erbringung der Transportleistungen ihrer niederländischen Schwestergesellschaft bedient. Bei dieser durchgeführte Nachforschungen ergaben, dass die beiden Sendungen in deren Lager in Eindhoven eingegangen und danach außer Kontrolle geraten waren.

Die Klägerin zahlte an die Versicherungsnehmerin wegen der beiden Verlustfälle unter Berücksichtigung des vereinbarten Selbstbehalts insgesamt 41.330,05 €. Für ein Gutachten zur Feststellung der Schadensentstehung und des Schadensumfangs wandte sie weitere 1.785,63 € auf.

Das Landgericht hat der von der Klägerin wegen der beiden Schadensfälle aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin erhobenen Schadensersatzklage in Höhe von 43.115,68 € nebst Zinsen stattgegeben.

Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin (§ 284 des niederländischen Handelsgesetzbuches, der dem deutschen § 67 VVG entspricht) einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß Art. 17 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1, Art. 29 CMR zuerkannt. Dazu hat es ausgeführt:

Die Beklagte hafte gegenüber der Versicherungsnehmerin, die sie beauftragt habe, gemäß Art. 17 Abs. 1 CMR für den Verlust des übernommenen Gutes. Für das Verhalten ihrer niederländischen Schwestergesellschaft habe sie gemäß Art. 3 CMR einzustehen. Auf die Haftungsbegrenzung des Art. 23 Abs. 3 CMR könne sich die Beklagte nicht berufen, weil sie zum Transportablauf nichts dargelegt habe und daher gemäß Art. 29 CMR unbeschränkt hafte.

Die Klägerin müsse sich auch kein Mitverschulden anrechnen lassen, weil die Beklagte über den Wert der Sendungen nicht aufgeklärt worden sei. Der Beklagten sei dieser Wert aufgrund ihrer ständigen Geschäftsbeziehung zu der Y. GmbH bekannt gewesen.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat den von der Klägerin aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin geltend gemachten Schadensersatzanspruch jedenfalls im Ergebnis zutreffend für begründet erachtet.

Die Revision weist allerdings mit Recht darauf hin, dass die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen zu der Frage, wer Vertragspartner der Beklagten war, widersprüchlich sind: Das Berufungsgericht hat eine Auftragserteilung durch die Versicherungsnehmerin im Tatbestand zunächst als unstreitig dargestellt, im Weiteren aber ausgeführt, die Beklagte sei dem entgegengetreten, ohne dass es diesen Widerspruch in den Gründen seiner Entscheidung aufgelöst oder auch nur erörtert hat.

Die Haftung der Beklagten bleibt davon jedoch unberührt. Denn sie ergibt sich entweder aus dem mit der Versicherungsnehmerin geschlossenen Vertrag gemäß Art. 17 Abs. 1 CMR oder aber - da der Verlust des Gutes feststeht - bei einem Vertragsschluss der Beklagten mit der Y. GmbH aus Art. 13 Abs. 1 Satz 2 CMR.

2. Das Berufungsgericht hat zutreffend und von der Revision auch unangegriffen angenommen, dass die Beklagte gemäß Art. 29 CMR unbegrenzt haftet. Der Vorwurf qualifizierten Verschuldens trifft entweder sie selbst (Art. 29 Abs. 1 CMR) oder ihre Leute (Art. 29 Abs. 2 CMR).

Die Beklagte hat den Schadenseintritt in zeitlicher, räumlicher und personeller Hinsicht nur dahin einzugrenzen vermocht, dass das Transportgut nach Eingang bei dem von ihr eingeschalteten Schwesterunternehmen im Lager Eindhoven verloren gegangen ist. Bei dem Umschlag von Gütern - wie hier im Lager Eindhoven - handelt es sich aber um einen besonders schadensanfälligen Bereich, der Eingangs- und Ausgangskontrollen zumal dann erfordert, wenn ein rechtlich selbständiges Drittunternehmen in die Erbringung der Transportleistung eingebunden wird (vgl. BGHZ 158, 322, 330). Die Beklagte hätte wegen ihrer besonderen Sachnähe zum eingetretenen Schaden Umstände darzulegen und zu beweisen gehabt, die gegen die Kausalität eines entsprechenden Sorgfaltsverstoßes bei den Kontrollmaßnahmen sprachen (vgl. BGH, Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 44/96, TranspR 1999, 19, 21 ff.; Urt. v. 20.1.2005 - I ZR 95/01, TranspR 2005, 311, 314). Da die Beklagte in dieser Hinsicht nichts vorgetragen hat, ist das Berufungsgericht zutreffend von einem qualifizierten Verschulden i.S. des Art. 29 CMR ausgegangen.

3. Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin müsse sich kein Mitverschulden wegen der unterlassenen Aufklärung der Beklagten über den Wert der beiden Sendungen anrechnen lassen.

a) Die Anwendung des § 254 BGB ist hier nicht deshalb ausgeschlossen, weil die CMR die Haftung des Frachtführers abschließend regelt. Unabhängig davon, ob das Haftungssystem der CMR im Rahmen der Haftung nach Art. 17 Abs. 1 CMR den Mitverschuldenseinwand nach § 254 BGB ausschließt, kann der Frachtführer jedenfalls im Rahmen der verschärften Haftung nach Art. 29 CMR einwenden, dass es der Ersatzberechtigte vor Vertragsschluss trotz Kenntnis oder Kennenmüssen der Tatsache, dass mit der Angabe des tatsächlichen Werts der Sendung gegen höheren Tarif auch eine sicherere Beförderung verbunden ist, unterlassen hat, den wirklichen Wert des zu transportierenden Gutes anzugeben (§ 254 Abs. 1 BGB). Im Rahmen der Haftung nach Art. 29 CMR kann sich ein anspruchsminderndes Mitverschulden zudem aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ergeben, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, den Schädiger im Hinblick auf den Wert des Gutes auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die dieser weder kannte noch kennen musste (vgl. BGHZ 149, 337, 353; BGH, Urt. v. 8.5.2003 - I ZR 234/02, TranspR 2003, 317, 318 = NJW-RR 2003, 1473). Insoweit ist lückenfüllend nationales Recht heranzuziehen (BGH TranspR 2005, 311, 314; Koller, Transportrecht, 5. Aufl., Art. 29 CMR Rdn. 8).

b) Die Obliegenheit zur Warnung gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB hat den Zweck, dem Schädiger Gelegenheit zu geben, geeignete Schadensabwendungsmaßnahmen zu ergreifen. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob der Auftraggeber Kenntnis davon hatte oder hätte wissen müssen, dass der Frachtführer das Gut mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, wenn er den tatsächlichen Wert der Sendung gekannt hätte. Den Auftraggeber trifft vielmehr eine allgemeine Obliegenheit, auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen, um seinem Vertragspartner die Möglichkeit zu geben, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines drohenden Schadens zu ergreifen. Daran wird der Schädiger jedoch gehindert, wenn er über die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens im Unklaren gelassen wird (vgl. BGH TranspR 2005, 311, 314 f.).

c) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht ein der Klägerin zurechenbares Mitverschulden zu Unrecht verneint.

aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, ein Mitverschulden scheide aus, weil die Beklagte aufgrund ihrer ständigen Geschäftsbeziehung zu der Y. GmbH gewusst habe, dass Güter von nicht unerheblichem Wert transportiert werden sollten. Die Beklagte habe in ihrer Preisvereinbarung mit der Y. GmbH keine Differenzierungen hinsichtlich der Warenwerte vorgenommen, sondern allein auf die Anzahl der versandten Pakete abgestellt. Die Y. GmbH habe nicht davon ausgehen müssen, auf weitere Besonderheiten Rücksicht nehmen zu müssen.

bb) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts kann allein aus der Tatsache, dass zwischen der Beklagten und der Y. GmbH eine ständige Geschäftsbeziehung bestanden hat, noch nicht auf eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen der Beklagten von dem erheblichen Wert der streitgegenständlichen Transportgüter geschlossen werden. Wie die Revision zu Recht rügt, konnte die Beklagte allenfalls davon ausgehen, dass die Y. GmbH von der Beklagten vor allem Computerzubehör befördern ließ. Da Computerzubehör im Wert aber erheblich differieren kann, kann daraus noch nicht auf die Kenntnis der Beklagten von dem erheblichen Wert des zu befördernden Gutes geschlossen werden. Besondere Umstände, die das Vorhandensein einer entsprechenden Kenntnis im vorliegenden Einzelfall nahelegen könnten, sind vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden.

cc) Der Wert der in Verlust geratenen Sendungen war erheblich, so dass die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens bestand.

Die Voraussetzung einer ungewöhnlichen Höhe des Schadens lässt sich nicht in einem bestimmten Betrag oder in einer bestimmten Wertrelation (z.B. zwischen dem unmittelbar gefährdeten Gut und dem Gesamtschaden) angeben (Staudinger/Schiemann, BGB [2005], § 254 Rdn. 75). Die Frage, ob ein ungewöhnlich hoher Schaden droht, kann vielmehr regelmäßig nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei ist maßgeblich auf die Sicht des Schädigers abzustellen (vgl. BGH, Urt. v. 18.2.2002 - II ZR 355/00, NJW 2002, 2553, 2554; OLG Hamm NJW-RR 1998, 380; Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, § 254 Rdn. 28). Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, welche Höhe Schäden erfahrungsgemäß - also nicht nur selten - erreichen. Da insoweit die Sicht des Schädigers maßgeblich ist, ist namentlich zu berücksichtigen, in welcher Höhe dieser, soweit für ihn die Möglichkeit einer vertraglichen Disposition besteht, Haftungsrisiken einerseits vertraglich eingeht und andererseits von vornherein auszuschließen bemüht ist. Angesichts dessen, dass hier in ersterer Hinsicht Beträge in Höhe von 1.000 DM und in letzterer Hinsicht 50.000 US-$ im Raum stehen, liegt es aus der Sicht des Senats nahe, die Gefahr eines besonders hohen Schadens i.S. des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB in solchen Fällen anzunehmen, in denen der Wert der Sendung 5.000 €, d.h. etwa den zehnfachen Betrag der Haftungshöchstgrenze gemäß der Nr. 10 der Beförderungsbedingungen übersteigt, die die Beklagte ihren Beförderungsleistungen zugrunde legt, soweit Vertragsfreiheit besteht.

dd) Da es bei einem Mitverschulden wegen des unterlassenen Hinweises auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens nicht auf die Kenntnis des Auftraggebers ankommt, dass der Frachtführer das Gut mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, ist es insoweit auch unerheblich, wer Vertragspartner der Beklagten war. Eine Wertangabe ist weder durch die Versicherungsnehmerin noch durch die Y. GmbH erfolgt.

4. Die Haftungsabwägung nach § 254 BGB obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (BGHZ 149, 337, 355; BGH, Urt. v. 17.6.2004 - I ZR 263/01, TranspR 2004, 399, 402).

Im Rahmen der Haftungsabwägung ist zu beachten, dass die Reichweite des bei wertdeklarierten Sendungen gesicherten Bereichs einen für die Bemessung des Mitverschuldensanteils relevanten Gesichtspunkt darstellt: Je größer der gesicherte Bereich ist, desto größer ist auch der Anteil des Mitverschuldens des Versenders, der durch das Unterlassen der Wertangabe den Transport der Ware außerhalb des gesicherten Bereichs veranlasst (BGH TranspR 2003, 317, 318).

Ferner ist der Wert der transportierten Ware von Bedeutung: Je höher der tatsächliche Wert der nicht wertdeklarierten Sendung ist, desto gewichtiger ist der in dem Unterlassen der Wertdeklaration liegende Schadensbeitrag. Denn je höher der Wert der zu transportierenden Sendung ist, desto offensichtlicher ist es, dass die Beförderung des Gutes eine besonders sorgfältige Behandlung durch den Spediteur erfordert, und desto größer ist das in dem Unterlassen der Wertdeklaration liegende Verschulden des Versenders gegen sich selbst.

III. Danach war das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird, soweit es zu der Beurteilung kommen sollte, dass der Klageanspruch nicht nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB zu mindern ist, auch die Möglichkeit zu prüfen haben, ob sich eine Minderung des Klageanspruchs aus § 254 Abs. 1 BGB ergibt.

Ende der Entscheidung

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