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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.06.2004
Aktenzeichen: II ZB 18/03
Rechtsgebiete: ZPO, GVO


Vorschriften:

ZPO § 238 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
GVO § 35 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

II ZB 18/03

vom

21. Juni 2004

in dem Rechtsbeschwerdeverfahren

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 21. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Kraemer, Dr. Strohn und Caliebe

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 20. Mai 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur Entscheidung über die Berufung und über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I. Die Kläger sind die Erben des während des Berufungsverfahrens verstorbenen früheren Klägers D. H.. Sie begehren die Feststellung, daß der Beschluß des beklagten Sportvereins vom 21. Januar 2002 über den Ausschluß des Erblassers unwirksam war und dessen Mitgliedschaft beim Beklagten bis zu seinem Tode fortbestand.

Das Amtsgericht hat die gegen seinen Ausschluß und das ihm erteilte Hausverbot gerichtete Klage des Erblassers mit Urteil vom 22. November 2002 abgewiesen. Gegen diese ihm am 27. November 2002 zugestellte Entscheidung legte der frühere Kläger fristgerecht Berufung ein. Am Abend des 27. Januar 2003 warf sein Prozeßbevollmächtigter die an das zuständige Landgericht adressierte Berufungsbegründung in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Amts- und Landgerichts Landau ein. Der Schriftsatz befand sich mit für die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle bestimmter Post in einem Sammelumschlag, der an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle adressiert war. Der Umschlag wurde am 28. Januar 2003 aus dem Nachtbriefkasten entnommen und ungeöffnet an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle übermittelt. Nachdem dort die für das Landgericht bestimmte Berufungsbegründung entdeckt worden war, wurde diese noch am gleichen Tag weitergeleitet.

Nachdem den Klägern der Eingang vom 28. Januar 2003 mitgeteilt worden war, haben sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung ausgeführt, die Berufungsbegründung sei fristgerecht am 27. Januar 2003 in den Nachtbriefkasten der gemeinsamen Annahmestelle gelangt, jedenfalls treffe sie aber an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.

II. 1. Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf einer Würdigung, die den Klägern den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 69, 381, 385; 77, 275, 284; 88, 118, 123 f.; BVerfG NJW-RR 2002, 1004; aaO 1005; aaO 1007). Mit dem - fristgerechten - Einwurf der in dem Sammelbriefumschlag befindlichen Berufungsbegründung in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Amts- und Landgerichts wurde zumindest Mitgewahrsam des Berufungsgerichts an dem Briefumschlag nebst Inhalt begründet. Ein zur Entgegennahme von Schriftstücken für alle beteiligten Gerichte bestellter Beamter hätte somit beim Öffnen des Umschlags den Schriftsatz sogleich für das Berufungsgericht entgegengenommen, auch wenn der Sammelumschlag vor seiner Öffnung nicht erkennen ließ, daß er die an das Berufungsgericht adressierte Berufungsbegründungsschrift enthielt. Mit der Entgegennahme der Berufungsbegründung durch den Beamten der gemeinsamen Annahmestelle wäre aus dem Mitgewahrsam Alleingewahrsam des Berufungsgerichts geworden, mit der Folge, daß die Berufungsbegründungsfrist gewahrt gewesen wäre (BGH, Beschl. v. 21. Oktober 1960 - V ZB 11/60, NJW 1961, 361; BAG AnwBl. 2001, 72; s. auch Jauernig, ZZP 74, 199).

An der Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründungsschrift durch die Einlegung in den Nachtbriefkasten ändert sich nicht etwa deshalb etwas, weil hier innerhalb der Gerichtsverwaltung die Anweisung bestand, Eingänge der Gerichtsvollzieherverteilungsstelle ungeöffnet dem Nachtbriefkasten zu entnehmen und der zuständigen Sachbearbeiterin zu übergeben.

Der Gesetzgeber hat in der Zivilprozeßordnung und in den dort in Bezug genommenen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches verbindlich festgelegt, wie und innerhalb welcher Zeit in einem Zivilprozeß Rechtsmittel eingelegt werden können. Daran sind die Gerichte gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Frage der Fristwahrung hängt allein von den im Gesetz genannten objektiven Voraussetzungen ab. Sie kann nicht von der jeweiligen, auf internen Anordnungen der Gerichtsverwaltung beruhenden Organisation der Behandlung der in den gemeinsamen Nachtbriefkasten gelangten Sendungen abhängig gemacht werden. Die Entscheidung, ob eine Rechtsmittelfrist gewahrt ist oder nicht, ergäbe sich dann nämlich nicht mehr aus dem Gesetz allein, sondern hinge zusätzlich von - der Partei regelmäßig unbekannten und bei einzelnen Gerichten teilweise unterschiedlichen - internen Anordnungen über die Behandlung der eingegangenen Postsendungen ab. Die an dem gemeinsamen Nachtbriefkasten beteiligten Gerichte könnten, würde man den internen Anweisungen Beachtung schenken, den bereits mit dem Einwurf in den gemeinsamen Nachtbriefkasten begründeten (Mit-) Gewahrsam des zuständigen Gerichts dadurch vereiteln oder rückwirkend wieder beseitigen, daß sie die gemeinsame Annahmestelle "hinter" dem Nachtbriefkasten dergestalt organisieren, daß verschlossene Umschläge nicht zu öffnen sind (BAG aaO).

Eine Berechtigung oder gar eine Verpflichtung zu der hier gegebenen gerichtsinternen Anordnung über die Behandlung der an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle adressierten Postsendungen folgt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht daraus, daß in § 35 Nr. 1 GVO geregelt ist, daß die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle den Zeitpunkt der Übergabe eines Auftrags auf dem Schriftstück zu vermerken hat. Damit wird lediglich eine Pflicht der Gerichtsvollzieherverteilungsstelle begründet. Wird Post für die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle in den Nachtbriefkasten eingeworfen, der, da die Verteilungsstelle bei dem Amtsgericht eingerichtet ist, auch für den Einwurf dieser Post bestimmt ist, läßt sich der Regelung in § 35 Nr. 1 GVO nicht entnehmen, daß allein die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle und nicht - auch - der Beamte, der zur Entgegennahme der Schriftstücke für alle an dem Nachtbriefkasten beteiligten Gerichte zuständig ist, seinerseits diese Post entgegennehmen und ihren Eingang bestätigen darf. Insofern unterscheidet sich der Fall von den den Entscheidungen BGH NJW 1994 aaO und BGH, Urt. v. 5. April 1990 - VII ZR 215/89, NJW 1990, 2822 zugrundeliegenden Fällen, da dort jeweils die Befugnis des Beamten, den Briefumschlag zu öffnen, aufgrund der nicht das Gericht betreffenden Adressierung des Umschlags ersichtlich nicht gegeben war.

Ende der Entscheidung

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