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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.11.2003
Aktenzeichen: II ZR 171/01
Rechtsgebiete: GmbHG


Vorschriften:

GmbHG § 30
Kreditgewährungen an Gesellschafter, die nicht aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen, sondern zu Lasten des gebundenen Vermögens der GmbH erfolgen, sind auch dann grundsätzlich als verbotene Auszahlung von Gesellschaftsvermögen zu bewerten, wenn der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter im Einzelfall vollwertig sein sollte.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

II ZR 171/01

Verkündet am: 24. November 2003

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. November 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Münke und Dr. Gehrlein

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Endurteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 19. April 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Durch Gesellschaftsvertrag vom 4. Dezember 1990 gründeten der Beklagte zu 1 und der Beklagte zu 2 die P. Immobiliengesellschaft mbH (P-GmbH), die sich mit Immobilien- und Bauträgergeschäften befaßte. Am Stammkapital der P-GmbH in Höhe von 50.000,00 DM war der Beklagte zu 1 mit einem Geschäftsanteil von 45.000,00 DM beteiligt, während der Beklagte zu 2 einen Geschäftsanteil in Höhe von 5.000,00 DM hielt. Zeitgleich mit der Gründung übertrug der Beklagte zu 1 seinen Geschäftsanteil treuhänderisch auf die Beklagte zu 3, seine Ehefrau, die den Geschäftsanteil durch notariellen Vertrag vom 11. Januar 1995 an den Beklagten zu 1 rückabtrat. Die Beklagte zu 3 war vom 15. Februar 1993 bis 2. März 1995 neben dem Beklagten zu 2 alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der P-GmbH.

Im Zeitraum vom 11. Oktober bis 9. November 1994 räumte die P-GmbH dem Beklagten zu 1 zwei Darlehen in Höhe von insgesamt 850.000,00 DM ein; dem Beklagten zu 2 gewährte sie am 11. Oktober 1994 ein Darlehen über 150.000,00 DM. Über das Vermögen der P-GmbH wurde am 4. März 1997 das Konkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Konkursverwalter bestellt.

Auf Antrag des Klägers hat das Landgericht den Beklagten zu 1 durch Anerkenntnisurteil zur Zahlung von 850.000,00 DM und den Beklagten zu 2 durch Versäumnisurteil zur Zahlung von 150.000,00 DM rechtskräftig verurteilt. Wegen der Vergabe der Kredite hat das Landgericht die Beklagte zu 3 zur Schadensersatzleistung von 1.000.000,00 DM verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten zu 3 hat das Oberlandesgericht die Klage insoweit abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren gegen die Beklagte zu 3 weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu 3 abgelehnt, weil sie die ohne ihr Wissen und Wollen durch die Beklagten zu 1 und 2 verfügten Zahlungen nicht habe verhindern können. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

II. Die Beklagte zu 3 ist aufgrund der bisherigen Feststellungen wegen der den Beklagten zu 1 und 2 aus dem gebundenen Vermögen der P-GmbH gewährten Darlehen zur Schadensersatzzahlung in Höhe von 1.000.000,00 DM an den Kläger verpflichtet (§§ 43 Abs. 2 und 3, 43 a, 31 Abs. 1, 30 Abs. 1 GmbHG).

1. Für den Beklagten zu 2 und das ihm gegebene Darlehen von 150.000,00 DM folgt dies bereits aus § 43 a GmbHG. Nach dieser Bestimmung ist jede Kreditvergabe aus gebundenem Vermögen an Geschäftsführer und ihnen gleichgestellte Personen "uneingeschränkt" verboten (BT-Drucks. 7/253, S. 124). Das Verbot gilt unabhängig von der Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs. Es erstreckt sich damit ohne weiteres auch auf Kredite, die einem kreditwürdigen, solventen Geschäftsführer gewährt werden oder die anderweit ausreichend besichert werden.

2. a) Im Blick auf das dem Beklagten zu 1 eingeräumte Darlehen über 850.000,00 DM ergibt sich ein Verbot der Kreditgewährung nicht bereits aus § 43 a GmbHG. Der Regelungsbereich der Vorschrift beschränkt sich auf Geschäftsführer und die dort genannten weiteren Vertretungspersonen. Die Bestimmung kann entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (Scholz/Uwe H. Schneider, GmbHG 9. Aufl. § 43 a Rdn. 61 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht 4. Aufl. S. 1148 f.) nicht in analoger Anwendung auf Gesellschafter übertragen werden, weil der Gesetzgeber die Einbeziehung dieses Personenkreises in den Tatbestand der Vorschrift ausdrücklich abgelehnt hat (BT-Drucks. 8/1347, S. 74).

b) Vielmehr folgt im Falle des Beklagten zu 1 die Unzulässigkeit der Darlehenshingabe aus § 30 GmbHG. Zwar war der Beklagte zu 1 bei Abschluß der Kreditgeschäfte nicht Gesellschafter der P-GmbH; sein Geschäftsanteil wurde aber für ihn treuhänderisch von der Beklagten zu 3 gehalten. Aufgrund des Treuhandverhältnisses mit der Beklagten zu 3 ist der Beklagte zu 1 selbst als mittelbarer Gesellschafter der GmbH zu behandeln; als solcher haftet er in Einklang mit dem Revisionsvorbringen wie ein Gesellschafter für die Rückzahlung von Geldern, die ihm entgegen dem Verbot des § 30 GmbHG zugeflossen sind (BGHZ 107, 7, 11 f.; 75, 334, 335 f.; 31, 258, 266 f.).

c) Kreditgewährungen an Gesellschafter, die nicht aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen, sondern zu Lasten des gebundenen Vermögens der Gesellschaft bestritten werden, sind auch dann grundsätzlich als verbotene Auszahlung von Gesellschaftsvermögen im Sinne von § 30 GmbHG zu bewerten, wenn der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter vollwertig sein sollte.

aa) § 30 GmbHG verpflichtet die Gesellschafter nicht, das Gesellschaftsvermögen im Sinne eines gegenständlichen Eigentumsschutzes in einer bestimmten Zusammensetzung zu erhalten. Vielmehr untersagt § 30 GmbHG lediglich, das in der Satzung festgelegte Garantievermögen in seiner rechnerischen Wertbindung zugunsten eines Gesellschafters anzutasten. Die Gewährung eines Darlehens ist im Falle eines vollwertigen Rückzahlungsanspruchs als bloßer Aktiventausch bilanzrechtlich neutral. Mangels einer bilanziellen Vermögensminderung wird deshalb die Hingabe eines Darlehens verbreitet als mit § 30 GmbHG vereinbar erachtet, sofern das Darlehen angemessen verzinst und der Gesellschafter auf Dauer solvent und kreditwürdig, der Rückzahlungsanspruch also vollwertig ist (RGZ 150, 28, 34 ff.; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG 17. Aufl. § 30 Rdn. 16; Scholz/Westermann aaO, § 30 Rdn. 25; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Penz, GmbHG 4. Aufl. § 30 Rdn. 34; K. Schmidt aaO, S. 1134).

bb) Diese rein bilanzrechtliche Betrachtungsweise greift aber mit Rücksicht auf die Bedeutung des in § 30 Abs. 1 GmbHG verankerten Kapitalerhaltungsgrundsatzes zu kurz. Vermögensschutz erschöpft sich nicht in der Garantie einer bilanzmäßigen Rechnungsziffer, sondern gebietet die Erhaltung einer die Stammkapitalziffer deckenden Haftungsmasse (Schön, ZHR 159 [1995], 351, 362). Dementsprechend soll nach Sinn und Zweck des § 30 GmbHG das Vermögen der Gesellschaft bis zur Höhe der Stammkapitalziffer dem Zugriff der Gesellschafter entzogen werden; damit soll nach Möglichkeit der GmbH ein ihren Bestand schützendes Mindestbetriebsvermögen und ihren Gläubigern eine Befriedigungsreserve gesichert werden. Mit diesem Ziel wäre es nicht vereinbar, wenn die Gesellschafter der GmbH zu Lasten des gebundenen Gesellschaftsvermögens Kapital entziehen könnten und der GmbH im Austausch für das fortgegebene reale Vermögen (von etwaigen Zinsansprüchen einmal abgesehen) nur ein zeitlich hinausgeschobener schuldrechtlicher Rückzahlungsanspruch verbliebe (Stimpel, FS 100 Jahre GmbH-Gesetz 1992, S. 335, 349, 352). Der Austausch liquider Haftungsmasse gegen eine zeitlich hinausgeschobene schuldrechtliche Forderung verschlechtert, wie der Senat schon früher in bezug auf die Stundung der Entgeltforderung aus einem Veräußerungsgeschäft ausgesprochen hat (BGHZ 81, 311, 320 f.), die Vermögenslage der Gesellschaft und die Befriedigungsaussichten ihrer Gläubiger. Zu Recht ist in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen worden, daß durch die Darlehenshingabe die Gläubiger des Gesellschafters zum Nachteil der Gläubiger der Gesellschaft im Ergebnis einen vollstreckungs- und insolvenzrechtlich vorrangigen Zugriff auf Vermögenswerte der Gesellschaft erlangen (Schön aaO, S. 361). Bei Unterbilanz der Gesellschaft ist deshalb gegenüber den Gesellschaftern nicht nur der bilanzielle Wert des Gesellschaftsvermögens zu wahren, sondern auch dessen reale Substanz zusammenzuhalten und vor einer Aufspaltung in schuldrechtliche Ansprüche gegen die Gesellschafter zu schützen (Stimpel aaO, S. 352; Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG 4. Aufl. § 30 Rdn. 93; vgl. ferner Lutter/Hommelhoff, GmbHG 15. Aufl. § 31 Rdn. 10). Da dem Kapitalabfluß eine nur rechnerische, aber nicht sofort realisierbare Forderung gegenübersteht, ist schon aus diesen Gründen auch die Gewährung eines ordnungsgemäß verzinsten Darlehens an einen kreditwürdigen Gesellschafter mit § 30 GmbHG nicht zu vereinbaren (Stimpel aaO, S. 335 ff., 348-352; Schön aaO, S. 351, 359 ff.; Altmeppen in: Roth/Altmeppen aaO, § 30 Rdn. 91 ff.; Michalski/Heidinger, GmbHG 2002, § 30 Rdn. 49).

cc) Das Verbot der Kreditgewährung beugt zudem einer Aushöhlung des § 30 GmbHG durch Umbuchung verbotener Zahlungen in Darlehen vor.

Entgegen dem Verbot des § 30 GmbHG geleistete Zahlungen müssen der Gesellschaft erstattet werden. Der Erstattungsanspruch aus § 31 Abs. 1 GmbHG wird mit seinem Entstehen sofort fällig (Sen.Urt. v. 8. Dezember 1986 - II ZR 55/86, NJW 1987, 779) und kann dem Gesellschafter nicht erlassen werden (§ 31 Abs. 4 GmbHG). Ebenso wie die Einlageforderung darf der funktionell vergleichbare Erstattungsanspruch (BGHZ 144, 336, 341) nicht gestundet werden (Stimpel aaO, S. 350 f.; Schön aaO, S. 360 f.; Michalski/Heidinger aaO, § 31 Rdn. 74; Lutter/Hommelhoff aaO, § 31 Rdn. 23; Altmeppen aaO, § 31 Rdn. 29; Scholz/Westermann aaO, § 31 Rdn. 32; Ulmer in: Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz 1992, S. 363, 380 ff.; a.A. Baumbach/Hueck/Fastrich aaO, § 31 Rdn. 18; Hachenburg/Goerdeler/Müller, GmbHG 8. Aufl. § 31 Rdn. 59). Wegen der Gefahr einer Umgehung des Stundungsverbots kann die Gewährung eines Darlehens nicht gebilligt werden. Andernfalls wäre zu befürchten, daß verbotene Zahlungen aus dem Stammkapital bilanzneutral als Darlehen verschleiert werden (Schön aaO, S. 361; Stimpel aaO, S. 352; Hommelhoff in: Festschrift Kellermann 1991, S. 165 f.; Kühbacher, Darlehen an Konzernunternehmen 1993, S. 43 f.).

dd) Es kann dahinstehen, ob die Gewährung eines Darlehens aus gebundenem Vermögen ausnahmsweise zulässig sein kann, wenn die Darlehensvergabe im Interesse der Gesellschaft liegt, die Darlehensbedingungen dem Drittvergleich standhalten und die Kreditwürdigkeit des Gesellschafters selbst bei Anlegung strengster Maßstäbe außerhalb jedes vernünftigen Zweifels steht oder die Rückzahlung des Darlehens durch werthaltige Sicherheiten voll gewährleistet ist. Für die Voraussetzungen eines solchen Ausnahmetatbestandes, der im Streitfall ersichtlich nicht eingreift, wäre indes der Gesellschafter darlegungs- und beweispflichtig.

3. Der Beklagten zu 3 ist vorzuwerfen, die Darlehenszahlungen an die Beklagten zu 1 und 2 schuldhaft geduldet zu haben (§ 43 Abs. 1, 3 GmbHG). Sie kann sich zur Entlastung von ihrer Schadensersatzpflicht nicht darauf berufen, daß die Kredite ohne ihr Wissen und Wollen ausgereicht wurden.

a) Die Beklagte zu 3, die offenbar nur die Funktion einer "Strohfrau" einnahm und den Beklagten zu 1 und 2 bei der tatsächlichen Geschäftsführung freie Hand ließ, hätte durch geeignete Kontrollmaßnahmen (vgl. Sen.Urt. v. 20. März 1986 - II ZR 114/85, WM 1986, 789 = ZIP 1987, 1050) dafür sorgen müssen, daß sie die Auszahlung der das Stammkapital beeinträchtigenden Kredite an die Beklagten zu 1 und 2 erkennen und verhindern konnte. Die P-GmbH gewährte im Zeitraum von Juli 1992 bis Oktober/November 1994 dem Beklagten zu 1 Darlehen in Höhe von insgesamt 2.900.000,00 DM und dem Beklagten zu 2 in Höhe von insgesamt 425.000,00 DM. Gegenstand des Rechtsstreits bilden die zuletzt im Oktober/November 1994 an die Beklagten zu 1 und 2 gezahlten Darlehen. Für die Beklagte zu 3 bestand - wie die Revision mit Recht hervorhebt - folglich Anlaß, bereits ab dem Jahr 1992 die - erheblichen - Kreditleistungen an die Beklagten zu 1 und 2 unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Beeinträchtigung des Stammkapitals einer Prüfung zu unterziehen. Diese Kontrollpflicht hat die Beklagte zu 3 entgegen der Revisionserwiderung nicht ansatzweise wahrgenommen.

b) Die Beklagte zu 3 kann sich nicht darauf berufen, daß sie außerstande war, sich gegen ihren Mitgeschäftsführer, den Beklagten zu 2, durchzusetzen und die Kreditzahlungen zu unterbinden.

Eine erteilte Weisung der Gesellschafter, die Darlehensmittel auszukehren, wäre rechtswidrig gewesen; die Beklagte zu 3 wäre an sie nicht gebunden gewesen. Dies folgt für das dem Beklagten zu 1 gegebene Darlehen schon aus § 43 Abs. 3 GmbHG. Ebenso verhält es sich in analoger Anwendung der Vorschrift für den dem Beklagten zu 2 als Geschäftsführer gewährten Kredit.

4. Der Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 3 bemißt sich wegen der den Beklagten zu 1 und 2 gewährten Kredite auf insgesamt 1.000.000,00 DM. Falls der Geschäftsführer eine verbotene Zahlung geleistet oder zugelassen hat, entspricht der Schaden zumindest der erbrachten Leistung (Sen.Urt. v. 20. März 1986 - II ZR 114/85, WM 1986, 789 = ZIP 1987, 1050).

III. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen ergänzenden Feststellungen treffen kann. Einmal ist zu untersuchen, ob die Darlehen - wie von der Beklagten zu 3 behauptet - ganz oder teilweise zurückgezahlt wurden. Ferner ist zu klären, ob die Vergabe der Darlehen in der Zone der Unterdeckung der Stammkapitalziffer erfolgte.

Ende der Entscheidung

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